„Ältere Frauen werden mutiger“„Frauen helfen Frauen“ Bergisch Gladbach im Interview
Über häusliche Gewalt und die aktuelle Situation der Frauenberatungsstelle für den Rheinisch-Bergischen Kreis, die der Verein Frauen helfen Frauen in Bergisch Gladbach betreibt, spricht Leiterin Magdalene Holthausen. Die Fragen stellt Doris Richter.
Frau Holthausen, hat die Frauenberatungsstelle für dieses Jahr schon Projekte geplant, zum Beispiel zum Internationalen Frauentag am 8. März?
Da sind wir, wie schon im vergangenen Jahr, sehr zurückhaltend. Offen gesagt, wir können es personell im Moment nicht leisten, eine gute Öffentlichkeitsarbeit aufzubauen. Ganz klar: Es wird Aktivitäten der Frauenberatung im Jahr 2022 geben. Wir planen kurzfristig und wie es die Ressourcen und auch die Pandemie zulassen.
Die Zahl der ratsuchenden Frauen mit 464 und die Anzahl der geführten Gespräche der Frauenberatung Rhein-Berg hat sich 2021 gegenüber 2020 nur unwesentlich verändert. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Die Zahlen zeigen ganz deutlich, es gibt unter den bedrohten und hilfesuchenden Frauen weiterhin einen hohen Bedarf. Wir sind als Beratungsstelle etabliert und bekannt. Die Frauen brauchen uns!
Es melden sich mehr ältere Frauen über 60 Jahren bei der Frauenberatung – das war auch 2021 so. Können Sie Gründe dafür nennen?
Zum einen informieren sich ältere Frauen mittlerweile mehr über ihre Rechte, zum anderen werden sie mutiger. Denn meist leben die Frauen in langjährigen Beziehungen und haben über diese lange Zeit vielfach psychische Gewalt ertragen.
Häusliche Gewalt ist immer noch häufigste Form von Gewalt gegen Frauen in Rhein-Berg. Haben sich das Ausmaß und die Brutalität in den zwei Jahren unter den Lebensbedingungen der Pandemie verändert?
Mein Eindruck ist, die Häufigkeit gewalttätiger Handlungen hat sich in der Pandemie nicht verändert. Allerdings waren die veränderten Lebensbedingungen seit Frühjahr 2020 Auslöser für Trennungen und Scheidungen. Zum Teil kommen die Frauen sehr sortiert zu uns.
Erinnern Sie sich an einen Fall, der Sie im vergangenen Jahr nachhaltig berührt hat?
Ja, es ging um eine verheiratete Frau Ende 50. Sie ist in ihren mehr als 25 Ehejahren vielfach von ihrem Partner körperlich misshandelt worden. Mehrfach war die Polizei vor Ort, die Frau musste im Krankenhaus behandelt werden, der Mann wurde für gewisse Zeit der Wohnung verwiesen. Die Polizeibeamten haben die Frau bei jedem Einsatz gefragt, ob sie ihre Kontaktdaten an unsere Beratungsstelle weitergeben dürfen. Das hat die Betroffene jedes Mal abgelehnt. Die Beamten blieben hartnäckig und fragten nach jedem Übergriff wieder. Im vergangenen Jahr willigte sie endlich ein, wir nahmen Kontakt auf und die Frau kam mit ihrer Tochter zur Beratung.
Haben Sie nochmal von der Frau gehört?
Nein. Sie war entschlossen, hat sich über die rechtlichen Schritte einer Trennung oder Scheidung informiert. Ob sie sich getrennt hat, weiß ich nicht.
Die Frauenberatungsstelle wirkt bewusst im Stillen. Wie sichern Sie die Anonymität für die Klientinnen?
Wir verlangen keine Angaben. Für unsere Statistik fragen wir die Klientin nach dem Ort, aus dem sie kommt. Alles andere sind freiwillige Auskünfte.
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Gibt es Neuerungen in der Organisation?
Wir werden die Online-Beratung für Frauen und für Mädchen zusammenlegen. Das Geld für zwei getrennte Stellen in diesem Bereich vorzuhalten, ist wenig effektiv. Die Ersparnis können wir sinnvoller woanders einsetzen. Unser Team mit drei Sozialarbeiterinnen und -pädagoginnen in der Frauenberatung und einer Fachkraft in der Mädchenberatung gehen mit gutem Gefühl in dieses Jahr.
Partnerschaftsgewalt steigt bundesweit
Das Ausmaß der Gewalt in Partnerschaften zeigt die jährliche statistische Auswertung des Bundeskriminalamtes. Allerdings sind nur die polizeilich bekannten Fälle abgebildet. Danach wurden im Jahr 2020 bundesweit 148 031 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Im Jahr 2019 waren es 141 792. Obwohl auch Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt werden, ist nach der Kriminalstatistik in vier von fünf Fällen eine Frau betroffen, teilt das Bundesfamilienministerium mit.
Die Dunkelziffer ist weit höher, da viele Straftaten nicht polizeilich angezeigt werden. Im Bereich männlicher Gewaltbetroffenheit wird ebenfalls eine große Dunkelziffer angenommen, da das Anzeigeverhalten von Männern schambehaftet sein kann. Um aktuelle valide Daten zur Gewaltbetroffenheit von Frauen, aber auch von Männern zu erhalten, ist eine repräsentative Befragung unter Beteiligung des Bundesfamilienministeriums in der Vorbereitung.
Die Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ aus dem Jahr 2014 belegt, dass auch Frauen in mittleren und hohen Bildungs- und Sozialschichten Opfer von Gewalt werden, so das Ministerium. Und sie endet nicht im Alter. Für ältere Frauen ist es häufig schwieriger, eine Gewaltbeziehung zu beenden und eine eigenständige Perspektive zu entwickeln. (dr)