Grabungen zeigen, dass die Anlage in Sürth schon früh als Versteck für Siedler gedient haben dürfte. Doch wer sie waren, ist unbekannt.
ArchäologieDie mittelalterliche Ringwallanlage in Kürten gibt noch viele Rätsel auf
Das feuchte Laub schmatzt unter den Schuhsohlen. Es ist feucht in diesen Tagen im bergischen Wald. Bergauf geht es, immer weiter. Der Spazierweg windet sich die Höhe. Zwei Kilometer hinter Kürten heißt die Ortslage Eulensiefen, es gibt sogar eine Bushaltestelle im Nirgendwo. Unten rauschen die Autos auf der Wipperfürther Straße schnell vorbei.
Früher, das heißt vor rund 1000 Jahren, zogen Händler, Soldaten und Bauern anderswo vorbei, über die Höhe, den Heerweg, heute die Bundesstraße 506 Richtung Wipperfürth und Köln. „Hier ist es“, sagt Kunibert Förster plötzlich und weist mit dem ausgestreckten Arm auf eine Art „Höhenzug“. Steil läuft der Weg weiter, deutlich ist ein Plateau erkennbar und dahinter, noch eine Überraschung, eine kleine Wiese.
Hinter dem Wall haben sich vermutlich Menschen in Sicherheit gebracht
„Die Menschen können sich hier sehr gut in Sicherheit gebracht haben. Niemand wird vermuten, dass es hinter dem Wall ein Versteck geben könnte“, sagt Hans Reck, auch engagiert im Geschichtsverein. Hinter dem vermeintlichen „Höhenzug“ verbirgt sich die Ringwallanlage Sürth/Neuenhaus, der sogenannte „Burgring“, eines der herausragenden Bodendenkmäler auf Kürtener Gemeindegebiet, mit großem Hauptwall und kleinerem Vorwall.
Bekannt dürften die beiden Relikte aus langer Vorzeit allerdings nur den wenigsten Kürtenern sein. Wer in der Landschaft unterwegs ist, erkennt aber sofort, dass es hier Besonderes gibt. Die meterhohen Anschüttungen, die sich über nahezu hundert Meter Länge erstrecken, sind von Menschenhand entstanden, mit sehr viel Energie wurde gebaut. „Die Menschen haben hier Zuflucht genommen, wenn Feinde kamen“, sagt Hans Reck, dies sei sicher der Zweck der Anlage gewesen.
Viele Menschen vagabundierten damals durch das Land
Und Feinde, die kamen zu allen Zeiten im Mittelalter vorbei. Unlautere Gesellen, Ritter, Spielleute und Gaukler, vagabundierende Germanenhorden, Ausgestoßene und Entrechtete, Quacksalber und Räuberbanden. Siedler, die ohne Schutz waren, drohten ausgeplündert zu werden.
Auch Ärgeres mag man sich vorstellen in diesen finsteren Zeiten, bevor sich die Landes- und Grundherrschaften verfestigten. Urkundliches ist aus diesen Zeiten nicht viel überliefert, für das schon weit entfernte Volberg bei Rösrath etwa das „vogelberhc“ des Prümer Klosterurbars von 893.
In den vergangenen Jahren fanden Grabungen am Ringwall statt
Förster und Reck haben in den vergangenen drei Jahren umfangreiche Untersuchungen und Grabungen am Ringwall durch den Landschaftsverband Rheinland begleitet. Die Fachleute vom Amt für Bodendenkmalpflege sind mit einem Magnetometer über das Wieschen auf der Anhöhe gegangen.
Gehofft hatten sie auf Strukturen im Untergrund, bauliche Überreste, die die vielen Jahrhunderte überstanden haben. 80 Meter mal 40 Meter, auf dieser Fläche gingen Mess-Sonden Anomalien und Unklarheiten auf den Grund. Manches deutet für die Forscher auf Gruben hin, die es hier in der Tiefe geben könnte, vor dem westlichen Wall, vielleicht ein verfüllter Erdkeller tief im Untergrund. Eindeutige Belege für eine Innenbebauung der Anlage habe es aber nicht gegeben, sagt Förster.
Ans Tageslicht kamen auch Keramikscherben
Die beiden Heimatfreunde erklimmen die Anhöhe, es geht bergauf zwischen Geäst und Blattwerk. Die Grabungen des Landschaftsverbands sind mittlerweile wieder verfüllt, mehrere Grabungsschnitte quer zum Hauptwall nahmen die Experten vor. Bis zu einer Tiefe von 1,80 Meter wurde gegraben, die Breite der Grabung betrug zwei Meter. Und tatsächlich stießen sie dabei auf lose Bruchsteine, die eine durchgängige Trockenmauer am Fuße des Hauptwalls bilden. Auch Keramikscherben, das Siegburger Steinzeug, kamen ans Tageslicht.
Es war die erste Grabung hier überhaupt. Im Innern des Hauptwalls fanden die Grabenden Rückstände von Holzkohle. Sie sind wichtig, weil aus ihnen die Datierung der gesamten Anlage erschlossen werden kann, über die sogenannte Radiokarbon-Methode. Die „kalibrierte Datierung“ der Holzkohle konnte auf die Jahre von 890 bis 1115 und 680 bis 950 als Bauzeit der Wallanlage ermittelt werden.
Die Anlage entstand vermutlich nach dem 8. Jahrhundert
Für einen bis dato unerforschten Vorwall ermittelten die Forscher den Zeitraum von 600 bis 775 als „terminus post quem“: Nach dieser Zeit entstand die Anlage. Das lasse, so die Überzeugung von Reck und Förster, auf eine generelle Bauzeit im 9. und 10. Jahrhundert schließen, vielleicht noch zu Zeiten Karls des Großen, im Jahr 814 verstorben.
Die gefundene Keramik sei jüngeren Datums, stamme aus dem Spätmittelalter oder der Frühen Neuzeit, also 14. bis 17. Jahrhundert. Aber dies zeige: Der Wall könnte über Jahrhunderte als Schutzschirm genutzt worden sein. Über Tage und Wochen harrten die Menschen, Männer, Frauen und Kinder dann mit ihrem Vieh hier aus, sie müssen Katen oder Behausungen als Schlafstätten und zum Wetterschutz provisorisch errichtet haben. Die Gefahr war offenbar allgegenwärtig.
Wer die Siedler waren, das liegt im Dunkel der Geschichte
Wer aber waren die Menschen, die hier siedelten und bei Gefahr Schutz suchten im sicheren Wall? Die ersten überlieferten Urkunden aus der Umgebung datieren aus dem Hochmittelalter. Für Bechen steht mit der Erwähnung 1225 die 800-Jahr-Feier an. Die Siedler des „Burgrings“ waren aber viel, viel früher an dieser entlegenen Stelle im Bergischen. In Köln siedelten die Römer, da liegt auch der Gedanke an geflüchtete Söldner, an entlaufene Soldaten nahe. „Das ist im Reich der Spekulation“, meint Förster.
Er steht auf dem Vorwall, von dort kann weit ins Tal der Sülz geschaut werden. In Nähe des Walls gab es Wasser, Wild sowieso. Förster und Reck vermuten mögliche Kleinsiedlungen höher in Richtung Heerweg, nicht im Talgrund. Der Wall sei mit enormer Energie entstanden, meinen die Heimatexperten übereinstimmend. Ein Späher habe vom Vorwall die Landschaft beobachten können, eine Möglichkeit. Durch Rufen oder andere Signale könnte er die Warnung an die Siedler gegeben haben.
Die Wallanlage war ein gutes Versteck
Mit Kind und Kegel eilten die Menschen dann in die Wallanlage, während die Horden an ihnen ahnungslos vorbeizogen. Über die Strukturen dieser Siedlung wisse man nichts, sagen Reck und Förster. Die vom Wall geschützte Wiese sei jedenfalls groß genug, um einigen Dutzend Menschen Schutz zu gewähren. Heute fällt zur Straßenseite der Hang steil ab, zur Zeit der Ottonen und Karolinger im Frühmittelalter hat es hier nach Überzeugung der Forschenden einen weiteren Wall gegeben.
Dass aus Köln Siedler ins Bergische gekommen seien, auch das wäre wohl zu vermuten. Ebenso war die spätere Hansestadt Wipperfürth, rund 30 Kilometer entfernt, Umschlagplatz für Waren aller Art, Menschen kamen und gingen in großer Zahl. Auch von dort könnten irgendwann erste Siedler gekommen sein. Am Lüderich sei auch römischer Bergbau überliefert, sagt Förster. Wann der Wall oder auch die vermutete Siedlung aufgegeben wurden, ist nicht bekannt. Über die Jahrhunderte hat sich der Wald das Land zurückerobert. Was geblieben sind, sind die Wälle am „Burgring“.