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Serie

50 Jahre Kommunale Neugliederung
Serie:  Der Gesamtort Kürten wird geboren

Lesezeit 5 Minuten
Luftbild von Kürten mit Ober- und Unterdorf.

Eigentlich in Randlage - durch die kommunale Neugliederung dennoch zum Zentrum geworden: Kürten mit Ober- und Unterdorf.

Mit dem Bau des Schulzentrums hoffte man, die kommunale Eigenständigkeit zu retten. Der Plan ging auf. Federn lassen musste Kürten dennoch.

Als irgendwann in den späten 1960er-Jahren auch in Kürten die Kunde ankam, dass das Land NRW die Grenzen seiner Kommunen nachhaltig und dauerhaft verändern wolle, ging große Sorge in den Dörfern um. Zerrieben werden wollten die Kürtener nicht.

Aber im Grunde fehlte es an einer geeigneten Infrastruktur, um sich im Kräftefeld zwischen Bergisch Gladbach, Wermelskirchen, Overath, Lindlar und Wipperfürth zu behaupten. Die Kürtener entschlossen sich zur Flucht nach vorn: Sie bauten noch vor der zum 31. Dezember 1974 in Kraft getretenen Kommunalreform ihr schickes Schulzentrum an der Sülz, modern, zeitgemäß und für fünf Jahrzehnte das Bildungsquartier der jungen Kürtener (heute wird es saniert).

Das neue Schulzentrum sollte Kürtens Schutz vor der Eingemeindung sein

Das Schulzentrum sollte Kürtens Schutz vor der Eingemeindung sein. 1971 eröffnete die Grundschule, heute ist das flachgestreckte Gebäude Teil der Gesamtschule. Ab 1970 wurde die Hubert-Berger-Hauptschule errichtet, mit vier Geschossen damals das größte Gebäude in Kürten, heute ebenfalls Teil der Gesamtschule. 1975, mit Vorplanungen bis in den Anfang der 70er, folgten Sporthalle und Gymnastikhalle mit integrierter Schwimmhalle nach.

Die Gesamtschule Kürten aus der Luft fotografiert.

Das Schulzentrum ist heute Standort der Gesamtschule. Nach 50 Jahren werden die Gebäude gerade mit Millionenaufwand saniert.

Auch die ersten Gedanken für den Bau eines großen Rathaus-Gebäudes wurden damals diskutiert, es folgte aber erst 1983, man baute über der Sülz, das Bürgerhaus kam noch später, um 1989. Aber ohne die Kommunalreform würde es dies alles wohl nicht geben. Mit dem neuen Kräftefeld an der Sülz, der Infrastruktur für die Verwaltungs- und Schullandschaft, widerstand Kürten den Begehrlichkeiten der umliegenden Orte.

Aus fünf selbstständigen Amtsgemeinden entstand Kürten

Dennoch brachte die Kommunale Neugliederung der Kommune Veränderungen, die auch ein halbes Jahrhundert später nachhallen und ihre Konturen prägen: Aus fünf selbstständigen Amtsgemeinden entstand eine neue Kommune, flächenmäßig sogar recht groß. Aus fünf Amtsbürgermeistern wurde einer – einer für die neue Gemeinde Kürten.

Intern verschoben sich die Machtzentren: Der Ort Kürten, bislang einer unter Gleichen, rückte nach vorne, jedenfalls was die Infrastruktur betraf. Auch der erste Supermarkt entstand bald nach der Kommunalreform, 1985 am Ortsausgang, ein „Edeka“-Vorteilsmarkt, als direkte Konkurrenz zum eingeführten „Rewe“ in Eichhof. Auf einmal besaß die Gemeinde in drei Kilometern Abstand zwei moderne Einkaufsmöglichkeiten.

Spitze und Dürscheid wurden von Bensberg abgetrennt

Alles hatte 1974/75 mit allem tun. Bensberg und Bergisch Gladbach (alt) bildeten die neu gegründete Stadt Bergisch Gladbach (neu). Die alte Stadt Bensberg hätte aber das Gewicht des neuen Bergisch Gladbach in seine Richtung gezogen. Das war unerwünscht. Und so musste Bensberg seine östlichen Stadtteile komplett abtreten.

Luftbild von Kürten-Spitze.

Der Ortsteil Spitze gehörte bis zur Gebietsreform zu Bensberg.

Mit Folgen: Spitze und Dürscheid bis zur Ortslage Steeg, beide ehemals zu Bensberg gehörend, fanden sich auf einmal in der Gemeinde Kürten wieder. Aber die Kürtener mussten dafür im Osten Federn lassen. Der traditionsreiche Ortsteil Wipperfeld mit seiner uralten Kirche St. Clemens und den vielen Bindungen nach Westen wurde den Wipperfürthern zugeschlagen. Wipperfeld wechselte auch den Kreis, aus Rhein-Bergern wurden Oberberger.

Die Telefonvorwahlnummern sind Erbe früherer Zugehörigkeit

Wer heutzutage das große Lauten-Schmuckfenster am Alten Rathaus von 1956/57 (am Karlheinz-Stockhausen-Platz) betrachtet, wird als Porträt die Kirche St. Nikolaus zu Dürscheid vermissen, Dürscheid war ja Bensberger Gebiet. Er wird stattdessen die Silhouette der Wipperfelder Pfarrkirche St. Clemens entdecken.

Als vor rund zehn Jahren die Bewohner der Splittersiedlung Brochhausen, heute hart an der Grenze zu Bergisch Gladbach, um einen Anschluss ans Wassernetz kämpften, kam die Leitung natürlich aus westlicher Richtung, vom Gladbacher Energieversorger Belkaw. Das Kürtener Gemeindewasserwerk ist jenseits von Steeg auf Amtshilfe der Gladbacher Seite angewiesen. Dass in dieser Kürtener Ecke noch die Telefonvorwahl 02207 existiert, wobei die Kürtener doch auf die 02268 setzen, ist ebenfalls Folge der Veränderungen.

Die neue Gemeinde Kürten verrutschte nach Osten

Die neue Gemeinde Kürten verrutschte nach Osten. Die Planungen für den Hauptort brachten das neue Gemeinwesen irgendwie in Schieflage, was heute noch zu spüren ist. Rathaus und Gesamtschule liegen seit 50 Jahren am Ostrand der Gemeinde, nach Osten folgen nur noch Streusiedlungen. Mancher Kürtener wird eher selten bis nie in diese Richtung fahren.

Ältere werden sich noch daran erinnern, dass auch der erste Kürtener Gesamtbürgermeister aus dem ehemaligen Bensberger Teil von Dürscheid stammte. Dies war der Baustoffhändler Hubert Josten, ein Kommunalpolitiker alten Schlags, ehemals für die CDU im Bensberger Stadtrat und nach 1975 ins Kürtener Gebiet übergewechselt.

Die Wipperfelder mussten sich nach Oberberg orientieren

Die Wipperfelder trauern teils noch heute den untergegangenen Verbindungen nach Kürten nach, mit den Wipperfürthern fremdeln sie. Der Wechsel über die Ortsgrenze: Er ist schwierig geblieben. Dürscheid hingegen verschmolz in den Jahrzehnten zu einem gemeinsamen Ort.

Dass die eine Familie ehemals aus Kürten-Steeg und die andere aus Bensberg-Dürscheid stammt, das spielt heute kaum eine Rolle mehr. Die Zäsur ist allerhöchstens beim Überqueren der Dürschbach-Brücke an der Wipperfürther Straße zu spüren, der vormaligen Ortsgrenze. Und die meisten Jüngeren werden nur von ihren Eltern oder vom Hörensagen wissen, zu welchem Ort einst Dürscheid gehörte.

Was seit der Kommunalreform geblieben ist, sind die Begehrlichkeiten der Orte. „Hauptort Kürten“: Gegen diese Bezeichnung sträuben sich immer noch viele in der Gemeinde, die Dürscheider, Biesfelder, Bechener und Olpener wollen den Kürtenern nur ungern Vorrang gewähren. Mit Feuerwehr, Schulen, Kitas ist deshalb Wichtiges an Infrastruktur immer in allen fünf großen Ortslagen vollständig vertreten. Die Stellung des Hauptorts Kürten als bevorzugter Ortsteil ist auch ein Ergebnis der Kommunalreform vom 31. Dezember 1974.