Bergisch Gladbach – Gut möglich, dass die Bergisch Gladbacher Stadtgeschichte in nicht unerheblichen Teilen umgeschrieben werden muss. Das nämlich, was Archäologen in den vergangenen Tagen im Lerbacher Wald ausgegraben haben, lässt nicht nur die Experten staunen.
„Das hier sind eindeutig römische Ziegel“, sagt Dr. Erich Claßen, Leiter der Außenstelle Overath des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege, und hebt ein Stück gebrannten Ton vom Boden auf. Gleich daneben schaufelt einer seiner Mitarbeiter in einem Graben Kalksteine an die Oberfläche. „Das Ganze hier war ein Kalkofen“, deutet Claßen auf die am Hang gut zu erkennende Vertiefung, „insgesamt lagen hier vier nebeneinander in einer Batterie.“
Auch römische Siedlung denkbar
„Die Römer im Rechtsrheinischen?“, fragt der Vorsitzende der LVR-Landschaftsversammlung Professor Dr. Jürgen Wilhelm, der an diesem Morgen die Ausgrabung besucht. „Ob die gesamte Anlage römisch ist, muss noch geprüft werden“, sagt Claßen, der mittlerweile Kollegen von der Universität Köln eingeschaltet hat.
Sie sollen untersuchen, wann der Kalkofen zuletzt befeuert worden ist. Historische Belege für Kalköfen hier im Lerbacher Wald gibt es bislang nirgends. Sollten die Öfen aus der Römerzeit stammen, wäre die gewerbliche Kalkherstellung im Raum Bergisch Gladbach, deren Anfänge man bislang im 15. Jahrhundert annahm, mindestens 1200 Jahre älter. Möglicherweise wäre sogar eine Siedlung aus der römischen Kaiserzeit des ersten bis vierten Jahrhunderts nach Christus denkbar.
Entdeckt hat den außergewöhnlichen archäologischen Fund der Geschichtsforscher Herbert Selbach aus dem nahen Bergisch Gladbacher Stadtteil Sand. Und eher durch Zufall. „Ich habe eigentlich nach Rennöfen gesucht, in denen Erz verhüttet wurde“, erinnert sich der 67-Jährige. „Dabei bin ich über einen Klumpen gestolpert.“ Herbert Ommer vom Bergischen Museum in Bensberg habe den Fund untersucht. Ergebnis: „Das ist keine Schlacke, aber ein Stein, der sehr heiß geworden sein muss.“
Selbach forschte nach, ob in dem Gelände Bombentrichter aus dem Zweiten Weltkrieg sein könnten. Fehlanzeige. Auch ein möglicher Erzabbau ließ sich nach Archivrecherchen für das Gelände nicht nachweisen. Selbachs Vermutung: Er könnte auf römische Ziegelöfen gestoßen sein. Vielleicht sogar auf die bis heute nicht ausfindig gemachte Ziegelei transrhenana (siehe Kasten)? „Da habe ich die Bodendenkmalpflege informiert“, erinnert sich Selbach. Die Archäologen waren überrascht, als sie in den offenbar gleichmäßig am Hang angelegten Vertiefungen die Reste eines Kalkbrennofens ausgruben und zugleich an der Oberfläche überall römische Ziegel fanden. „Da gibt es nur drei Möglichkeiten“, zählt Claßen auf: Entweder sei Abbruchmaterial aus einer römischen Siedlung wie Köln verwendet worden, um die alten Gruben aufzufüllen. „Dann aber hätte man sie sicher ganz aufgefüllt“, so Claßen. Zweite Möglichkeit: Römischer Ziegelbruch wurde zur Beimischung beim Kalkmörtel verwendet. Dann hätte man den Ziegelbruch aber wohl nicht nur ohne Kalk an der Oberfläche gefunden, überlegt Claßen. Für ihn die wahrscheinlichste These: Es handelt sich um Kalköfen, die ein Dach aus römischen Ziegeln hatten. Damit könnten auch die Öfen aus der Römerzeit stammen. Letzte Gewissheit sollen die Untersuchungen der Uni Köln ergeben.
„Die Römer müssen natürlich nicht selbst hier gewesen sein, sondern können mit einheimischen Betreibern der Kalköfen gehandelt haben“, überlegt Jürgen Wilhelm. „In jedem Fall sprechen die vier parallel angelegten Gruben für einen gewerblichen Betrieb“, sagt Erich Claßen nach Vergleichen mit Grabungsbefunden aus Iversheim in der Eifel. Er will die nun zur Winterpause unterbrochenen Grabungen im nächsten Jahr nach Rücksprache mit den Grundeigentümern unbedingt fortsetzen.
Herbert Selbach hat in der Nähe noch weitere symmetrische Grubenanlagen festgestellt. Eine Batterie auch auf einer ebeneren Fläche. „Möglicherweise ist dort ja eine Ziegelei gewesen“, gibt er nicht auf. „Lehm gibt es jedenfalls hier am Scheidtbach genug.“