AboAbonnieren

Hilfsgüter aus Rhein-BergIm Schutz der Nacht über die ukrainische Grenze

Lesezeit 5 Minuten

Ukrainischer Grenzübergang in der rumänischen Stadt Sighetu Marmației.

Rhein-Berg/Rumänien – „Peng, Peng, Peng.“ Der kleine Junge, der mit einer Spielzeugpistole über den Hof läuft, ist gerade mal fünf oder sechs Jahre alt. Sein Spiel allerdings ist seit fünf Wochen grausame Realität geworden, ein paar Kilometer weiter, hinter der ukrainischen Grenze.

„Erst heute Morgen um sieben Uhr haben auch wir hier die Sirenen des Luftalarms gehört“, sagt Ionela Bumbar von der Initiative, die auf dem Lagerhof im rumänischen Sighetu Marmației unmittelbar an der ukrainischen Grenze eine Hilfsgüterzentrale betreibt.

Von hier aus bringen Kleinlaster die Lebensmittel, Hygieneartikel und Wasser über die Grenze bis in die Kriegsgebiete. „Auch hier haben die Menschen Angst“, sagt Ionela Bumbar, „Angst, dass der Krieg über die Grenze kommt, Angst vor einem dritten Weltkrieg.“

Der Konvoi mit zehn Lkw nach dem Start aus Overath auf dem Weg zur A3.

Die Krankenschwester und angehende Ärztin strahlt dennoch, als der Lastzug des ersten gemeinsamen Hilfskonvois der Hilfe Litauen Belarus aus Bergisch Gladbach und der Humanitären Hilfe Overath auf den Hof der Lagerhalle einbiegt. Denn die Halle ist seit dem Vorabend komplett leer.

„Dabei brauchen wir dringend Lebensmittel und Wasser, um die Menschen auf der anderen Seite der Grenze zu versorgen“, sagt die 33-Jährige, „Dort sind in vielen Dörfern und Kleinstädten bereits Tausende Flüchtlinge angekommen.“ Sie berichtet von Hunger und Leid in eilig eingerichteten Notunterkünften.

Lebensmittel und Wasser werden in der Ukraine dringend gebraucht

„Food, Food“ (Essen, Essen) bemüht ein Mann Mitte 50, der gerade mit einem verbeulten Lieferwagen und ukrainischem Kennzeichen auf den Hof gefahren ist, ein paar Brocken Englisch, um sich verständlich zu machen: Er braucht dringen Lebensmittel für die Menschen in Solotwyno direkt hinter der ukrainischen Grenze.

Es sind Szenen wie diese, die nicht nur Norbert Kuhl von der Humanitären Hilfe Overath und Ulrich Gürster vom Verein Hilfe Litauen Belarus, sondern auch Stefan Malczewksi, der den 40-Tonner mit Lebensmitteln über die Karpaten an die ukrainische Grenze gelenkt hat, und mich, der ich den Hilfskonvoi in meinem Urlaub als Fahrer mit nach Rumänien steuern durfte, nachdenklich machen – und zugleich froh, dass die Hilfsgüter, die Hunderte Menschen in Bergisch Gladbach und Overath gestiftet haben, nun bald ihr Ziel erreichen werden.

Konvoi in Zahlen

102 Tonnen Hilfsmittel hatte der Hilfstransport der Humanitären Hilfe Overath und des Vereins Hilfe Litauen Belarus an Bord, darunter mehr als 20 Tonnen Lebensmittel für die Ukraine.

21 Fahrer und Helfer begleiteten die sieben Sattelzüge, einen Möbelwagen und ein Begleitgespann.

15 000 Euro Spenden benötigt die Humanitäre Hilfe, um einen Hilfskonvoi nach Sibiu und an die ukrainische Grenze zu schicken. Allein die Maut durch Österreich kostet rund 3000 Euro. (wg)

Noch während wir die Paletten mit Mehl, Nudeln, Reis, Wasser und anderen Lebensmitteln abladen, fahren weitere Kleinlaster mit zerborstenen Windschutzscheiben in den Hof, die erste Hilfsmittel in der Nacht über die Grenze bringen werden.

Knapp drei Tage nach dem Start in Overath werden die 20 Tonnen Lebensmittel an der ukrainischen Grenze ausgeladen . . .

 . . und mit Kleinlastern über die Grenze gebracht. Auch auf rumänischer Seite ist der Luftalarm von jenseits der Grenze zu hören.

Der Sattelzug mit den bei einem Spenden-Drive-In vor der Johannes-Gutenberg-Realschule in Bensberg gesammelten Lebensmitteln ist nur einer von insgesamt acht, die sich knapp vier Tage zuvor zusammen mit einem Möbelwagen und einem Begleit-Gespann von Overath aus auf den Weg ins rumänische Sibiu und von dort weiter bis an die auf diesem Weg mehr als 2000 Kilometer entfernte ukrainische Grenze gemacht haben. Mit einigen Hindernissen.

So fehlt noch wenige Stunden vor der Abfahrt immer noch eine Zugmaschine. „Der Markt ist derzeit absolut leer“, sagt Martin Dickmann, der für die Wartung und Reparaturen an den Lkw-Aufliegern der Humanitären Hilfe ebenso aktiv ist wie beim Check von Leihmaschinen.

Liveblog mit Videos vom Hilfskonvoi

Bereits von unterwegs hat der Autor wie angekündigt via Liveblog im Internet berichtet. In diesem sind auch Videos von der Hilfskonvoi-Tour zu sehen. Weitere sollen in den kommenden Tagen folgen. Zu sehen ist der Live-Blog hier.

Fuhrunternehmer Heinz-Willi Mürkens stellt schließlich neben der bereits avisierten eine weitere Zugmaschine zur Verfügung, die allerdings bereits seit längerem abgemeldet war. In Windeseile wird sie wieder flott gemacht und durch die technische Abnahme gebracht.

Norbert Kuhl holt keine 15 Stunden vor der Konvoi-Abfahrt sogar flugs noch ein Ersatzteil aus dem westfälischen Hamm. Der 81-jährige Overather Ehrenbürger ist auch beim 67. Hilfskonvoi, den er mit der Humanitären Hilfe Overath auf den Weg bringt, nicht kleinzukriegen.

Freiwillige Feuerwehr verstärkt Fahrergruppe beim Hilfskonvoi

Kurz nach 1 Uhr in der Nacht steht er mit dem Funkgerät auf dem Ladeplatz im Overather Gewerbegebiet Hammermühle und lotst einen Fahrer nach dem anderen auf die Straße: „Weiter raus, weiter, weiter, weiter“, gibt er Anweisungen über Funk. Karin Fischer und Astrid Vogel haben derweil Verpflegungspakete und Kaffee an die Fahrer verteilt.

Norbert Kuhl (l.) von der Humanitären Hilfe Overath und Ulrich Gürster vom Bergisch Gladbacher Verein Hilfe Litauen Belarus.

Mit dabei im Konvoi sind auch sieben Feuerwehrleute, von denen fünf zum ersten Mal am Steuer eines Sattelzugs sitzen. Mit Florian Eschbach von der Humanitären Hilfe haben sie daher eine Woche zuvor nach dem Beladen des letzten Aufliegers einige Probefahrten unternommen. „Klappt prima,“ ist Michael Beck vom Löschzug Overath positiv überrascht, während die insgesamt zehn Konvoi-Fahrzeuge in Richtung österreichische Grenze rollen.

Von der Feuerwehr unterstützen Fahrer wie Michael Beck die Tour.

„Faust auf Faust“ tönt aus dem Radio der Song von Klaus Lage. Irgendwie passt das zu dieser aktuell besonders rauen Welt, in der wir mit mehr als 100 Tonnen Hilfsgütern in den Teil Europas unterwegs sind, in dem die Not aktuell am größten ist.

Übliche Begegnung auf der Fahrt durch Rumänien.

Was wir da noch nicht wissen: Wenige Stunden später droht dem Hilfskonvoi in Ungarn bereits das vorzeitige Aus. Aber das ist eine andere Geschichte und nicht die einzige Überraschung dieses Hilfskonvois . . .

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie der Krieg in der Ukraine den Konvoi aus dem Bergischen beinahe bereits in Ungarn gestoppt hätte und welche Not die Humanitäre Hilfe in Rumänien erwartet, lesen Sie hier.