JubiläumPodiumsdiskussion in Altenberg über Bedrohungen für die Demokratie
Odenthal – Ein ehemaliger Bundestagspräsident, der bekennt, in der Generation der 68er „auf der vermeintlich falschen Seite der Barrikaden“ gestanden zu haben, eine Imamin, die das Grundgesetz und die Ehe für alle für vereinbar mit dem Koran hält, und der Vorsitzende der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands, der den Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft kommen sieht, sorgten für ein denkwürdiges „Forum Kirche und Politik“.
Superintendentin Andrea Vogel hatte zuvor als Vorsitzende des Ökumeneausschusses eine neue Kerze im Dom entzündet und damit unter den Augen von Pfarrerin Claudia Posche und Pfarrer Thomas Taxacher nach 25 Jahren „das Altenberger Feuer neu entfacht“.
Bereits seit einem Vierteljahrhundert
Bereits seit einem Vierteljahrhundert laden der Rheinisch-Bergische Kreis sowie der Ökumeneausschuss am Vorabend des Buß- und Bettags zu einer Podiumsdiskussion – ausgerechnet im Jubiläumsjahr coronabedingt ohne Publikum vor Ort. „Demokratie in Gefahr?“ lautet diesmal das Thema der Runde, die per Livestream aus dem Altenberger Dom übertragen wurde.
Landrat Stephan Santelmann freute sich über „ein hochkarätiges Podium“, das ein sehr wichtiges Thema erörtere in Zeiten, in denen rechtsextremistische Anschläge und Antisemitismus zum Stresstest für Kirche und Politik geworden sind.
Forderung nach mehr Diskussionskultur
„Leider gibt es keinen Impfstoff gegen Extremismus“, bedauerte Rabeya Müller, Islamwissenschaftlerin und Imamin der Liberalen Muslimischen Gemeinde Köln und forderte mehr Diskussionskultur. „Wir müssen Geduld aufbringen, einander zuhören, und das gilt für alle Seiten, auch Muslime müssen da noch an sich arbeiten.“ Wer keinen Absolutheitsanspruch habe, müsse ihn auch nicht durchsetzen.
Massive Kritik übte sie auch an Coronaleugnern, die bei Demos „neben Extremisten herlaufen“. Demokratie beinhalte immer ein Risiko, „und mit diesem Risiko müssen wir leben.“
Für Michael Rubinstein, den Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, ist steigender Antisemitismus, der sich „aggressiver, gewalttätiger, ungeschminkt und radikaler zeigt, ein massives Problem der deutschen Mehrheitsgesellschaft und zugleich eine Gefahr für uns, unsere Gesellschaft und die Demokratie“.
Angst mache ihm da nicht eine Partei wie die AfD, sondern die Menschen, die sie wählen. „Wir müssen wieder lernen, die Perspektive des anderen einzunehmen und nicht vom Gegenüber Dinge zu erwarten, die wir selber nicht zu tun bereit sind.“
„Wir halten die vertrauten Verhältnisse für eine Selbstverständlichkeit; historisch betrachtet leben wir jedoch in einem absoluten Ausnahmezustand europäischer Geschichte“, mahnte Professor Norbert Lammert im Gespräch mit Moderator Wolfgang Meyer vom WDR. Früher seien Demokratien an Bürgerkriegen und Militärputschen gescheitert, „heute lösen sie sich von innen auf“, sagte der ehemalige Bundestagspräsident und aktuelle Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, der zudem eine „zunehmende Neigung zum Fundamentalismus“ feststellte, „der die eigene Meinung für die einzig mögliche hält“. Viele seien nicht mehr bereit, Widerspruch auszuhalten.
Dass die Jugend früher politischer gewesen sei, wollte er nicht gelten lassen. „Bei einem Abitreffen haben wir über die 68er Generation gesprochen und festgestellt, dass damals gerade zwei von uns politisch engagiert waren.“ Eine Demokratie bleibe so lange stabil, wie die Mehrheit von der Überlegenheit des Systems überzeugt ist, „aber gegen die Selbstaufgabe von Demokraten ist das System machtlos.“
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Am Ende der zweistündigen Diskussion bat Kreisdechant Norbert Hörter zu einem gemeinsamen Nachtgebet. „Nicht alles ist kompatibel mit den eigenen Traditionen, aber wir können uns gegenseitig als Menschen annehmen.“
Dass die Hoffnungen nicht zuletzt auf der nachwachsenden Generation liegen, zeigte die Tatsache, dass Rubinstein für diesen Anlass ein jüdisches Nachtgebet für Kinder herausgesucht hatte und Rabeya Müller zweisprachig ein muslimisches Bittgebet vortrug, das ihre Enkel geschrieben hatten.