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Tierischer BesuchOdenthaler Hühner sind Profis in therapeutischer Seniorenarbeit

Lesezeit 5 Minuten
Alte Menschen sitzen um einen großen Tisch. Darauf spazieren auf einer grünen Decke zwei große, braune Hühner.

Tierischer Besuch: Die Hühner von Vanessa Krämer und Lisa Dederichs sorgen für gute Stimmung im Seniorenheim in Dünnwald.

Vanessa Krämer und Lisa Dederichs betreiben tiergestützte Intervention. Zum Besuch im Seniorenheim in Dünnwald nehmen sie ihre Hühner mit.

Gisela, Waltraud, Babsi und Bärbel sind Profis – Besuchsprofis. Daher war Gisela tags zuvor noch beim Coiffeur zum Spitzenschneiden – jetzt sitzt die Frisur. Die vier Damen sind berufstätig und lassen sich regelmäßig von Vanessa Krämer und Lisa Dederichs zum Herz-Jesu-Stift in Köln-Dünnwald chauffieren.

Im dortigen Seniorenheim warten schon einige Bewohnerinnen und Bewohner gespannt auf die Gäste. Das lässt Gisela und ihre Freundinnen gutgelaunt gackern, denn der Tisch für sie ist bereits reichlich gedeckt. Mehlwürmer und Maiskörner sind bei ihnen so begehrt wie bei vielen Senioren Käsekuchen mit Sahne. Denn Gisela, Waltraud, Babsi und Bärbel sind Hühner. Allerdings nicht irgendein gewöhnliches Federvieh, sondern Hühner mit sozialpädagogischem Auftrag - zierliche Haubenhühner mit wildem Kopfputz und stattliche Brahmas mit vornehm-schreitendem Gang.

Auf dem Begegnungshof in Odenthal leben 34 Tiere

Die Vier sind Teil der tierischen Teams, das Vanessa Krämer (32) und Lisa Dederichs (33) für die tiergestützte Intervention einsetzen. Seit 2018 arbeiten die beiden Frauen - neben ihrer hauptamtlichen Beschäftigung in Einrichtungen der Jugendhilfe - zusätzlich mit Tieren. Und das nicht nur auf ihrem zertifizierten Begegnungshof in Voiswinkel, wo derzeit 34 Tiere aus neun Arten leben, sondern auch ambulant in sozialen Einrichtungen, in Kitas, Schulen und Altenheimen.

Zwei junge Frauen knien bei drei Schafen auf einer Wiese.

Lisa Dederichs (links) und Vanessa Krämer mit ihren Schafen auf dem Begegnungshof in Odenthal.

Eine Katze, mehrere Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen, Gänse, Wachteln, Schafe, Schnecken und eben Gisela, Waltraud, Babsi, Bärbel sowie weitere Hühner gehören zu den Mitarbeitern. Die meisten sind ursprünglich schlechter Haltung oder der Schlachtung entkommen. Bei ihren Hausbesuchen haben Krämer und Dederichs dann einen Teil ihrer Tiere im Gepäck – immer nur eine Art, je nach Aufgabenstellung. „Ihre positive Wirkung können die Tiere fast überall entfalten, im Kindergarten genauso wie im Seniorenheim“, sagen die Sozialpädagoginnen.

Die Hühner sind Spezialistinnen für die Seniorenarbeit

Dennoch gibt es Spezialisten. Die Hühner beispielsweise werden von Krämer und Dederichs vornehmlich in der Seniorenarbeit eingesetzt. Deshalb sind auch im Seniorenstift in Dünnwald Gisela, Waltraud und Co. dabei. Sie waren, wie es sich gehört, an diesem Tag schon mit den Hühnern auf und hatten freie Kapazitäten, weil sie mit ihrer ureigenen Beschäftigung, dem Eierlegen, derzeit pausieren: „In der Zeit der Mauser legen sie morgens kein Ei“, sagt Vanessa Krämer lächelnd. Das sei im Sommer anderes, da richteten sich die Besuchstermine nach den Legezeiten der Hühner.

Denn nicht nur die Senioren sollen sich beim Besuch wohlfühlen, auch die Tiere, das ist den beiden Sozialpädagoginnen sehr wichtig: „Wir achten sehr auf die Körpersprache. Und wer keine Lust hat mitzufahren, der wird auch nicht gezwungen und bleibt zu Hause.“ So wie die Hühner-Rentnerin Sprotte, „das beste Huhn im Stall“, das eines Tages beschloss, es sei Zeit für den Ruhestand.

Die therapeutische Stärke der Hühner liegt in ihrer Natürlichkeit

Gisela, Waltraud, Babsi und Bärbel sind aber noch unternehmungslustig. Wenig ladylike nehmen sie im Seniorenheim nicht am Tisch Platz, sondern laufen emsig über die große Tischplatte, die Krämer und Dederichs mit einem großen Tuch in eine künstliche, grüne Wiese verwandelt haben. Inklusive wasserdichter Unterlage, was sich als vorausschauend erweist, angesichts der verdauungsstarken und nicht eben stubenreinen Hühner. Da lassen auch die Brahmas ihre sonstige vornehme Attitüde einfach sausen.

Eine alte Frau streichelt ein Huhn.

Wie fühlt sich ein Huhn an? Die Senioren konnten die Erfahrung selbst machen.

Die Senioren am Tisch registrieren es halb entsetzt und halb belustigt. „Das haben wir ihnen noch nicht beibringen können“, kommentiert Krämer lächelnd das Geschehen. Und vielleicht ist das auch gar nicht gewünscht. Denn in der Natürlichkeit liegt die therapeutische Stärke des Huhns.

Die Tiere regen zu Erinnerungen und Gesprächen an

Die erste Zurückhaltung der Bewohner schwindet jedenfalls schnell angesichts der lebhaften Besucherinnen, die sich nicht um Konventionen scheren, sich füttern und sogar vorsichtig streicheln lassen. Die Tiere sorgten verlässlich dafür, dass bei älteren Menschen viele Erinnerungen hochkämen, Gespräche in Gang gesetzt würden, hatten die beiden Sozialpädagoginnen schon im Vorfeld erklärt.

„Tiere sind für viele ältere Menschen ein Gewinn“, sagt auch Sarah Laumen, Sozialdienstleiterin im Herz-Jesu-Stift. Daher sei die Einrichtung sehr aufgeschlossen: Mitarbeitende brächten ihre eigenen Hunde oft mit ins Haus und Bewohner, die ihr Tier noch selbst versorgen könnten, dürften es auch in der Dünnwalder Einrichtung halten. Neben der regelmäßig stattfindenden tiergestützten Intervention kämen auch mehrmals im Jahr Lamas und ein Esel zu Besuch.

Erinnerungen an das Leben im Forsthaus

Auch heute verfehlen die Tiere ihre Wirkung nicht: „Laufen die Hühner frei?“, möchte eine der alten Damen wissen und ist sichtlich erfreut, dass Dederichs das bestätigen kann. Im Freigehege in Voiswinkel passe ein Ganter auf die Hühner auf, damit kein Greifvogel zuschlägt und nachts seien die Tiere im Stall, erklärt Dederichs.

Das Thema Ganter begeistert eine andere Dame, die gegenüber am Tisch sitzt: Gänse seien schlau. Wie Hunde könnten sie bei Gefahr anschlagen, sagt sie und erzählt, dass sie früher in einem Forsthaus gewohnt und 54 Legehennen gehalten habe - und eben auch Gänse: „Die konnten meinen Mann nicht leiden, dem gingen sie an die Hosenbeine“ erzählt sie und lacht.

Die wilde Frisur der Haubenhühner lässt schmunzeln

Ihre Tischnachbarin blickt fasziniert auf die wild zu Berge stehenden Federn auf dem Kopf von Waltraud, dem Haubenhuhn. Eine Frisur, die schon mal zum Problem werden kann: „Bei Regen bekommt sie einen Mittelscheitel“, berichtet Vanessa Krämer und die Zuhörerschaft lächelt. Einer der beiden Herren am Tisch füttert „sein“ Huhn mit Begeisterung, das wird immer zutraulicher: „Ich habe zum ersten Mal ein Huhn gestreichelt“ sagt er am Ende und man sieht ihm an, dass dies eine schöne Erfahrung war.

Ganz nebenbei erzählen Krämer und Dederichs auch noch viele Fakten aus der Welt der Hühner. Etwa, dass die Tiere nicht nur die aus dem Supermarkt bekannten weißen und braunen Eier legen. „Je nach Rasse können sie auch rosa, olivgrün oder lila sein“, sagt Krämer. Diese Raritäten produzieren ihre vier Voiswinkler Hühnerdamen allerdings nicht. Sie legen klassisches Weiß ins Nest.

Schnell ist die tierische Stunde abgelaufen, länger sollen die Hühner nicht arbeiten, damit es kein Stress für sie wird, erklären Krämer und Dederichs. Doch Waltraud, Gisela und Co sehen das offensichtlich anders. Als es Zeit zum Aufbruch ist, haben sie keine Lust auf ihre Transportbox. Ein bis zwei Ausbruchsversuche glücken, doch am Ende überzeugt dann doch, dass auch die leckeren Mehlwürmer mit zurück nach Voiswinkel fahren.