Dietmar Tönnies betreibt seit vielen Jahren die Eingliederung von Menschen in den ersten Arbeitsmarkt. Doch die Bürokratie macht ihm zu schaffen.
InklusionOdenthaler Supermarkt will noch mehr Mitarbeiter mit Handicap fördern

Stefanie Laudenberg ist gehörlos und arbeitet im Supermarkt von Dietmar Tönnies (rechts). Roderich Dörner von der Rewe Group unterstützt die Bemühungen um Inklusion.
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Stefanie Laudenberg arbeitet konzentriert am Kühlregal. Neue Ware muss eingeräumt werden, Lücken müssen gefüllt, Mindesthaltbarkeitsdaten kontrolliert und Produkte ausgetauscht werden. Im Supermarkt im Zentrum von Odenthal ist zu dieser Zeit am Vormittag viel los, es geht lebhaft zu, doch den Lärm um sie herum nimmt sie nicht wahr. Denn Stefanie Laudenberg ist gehörlos.
Seit Sommer vergangenen Jahres ist sie in dem Lebensmittelgeschäft beschäftigt. Zunächst probeweise mit 18 Stunden gestartet, ist sie seit Jahresbeginn mit 30 Stunden Teil des Teams. Eine Erfolgsgeschichte, meint ihr Chef Dietmar Tönnies. Acht seiner insgesamt 65 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben ein Handicap, verfügen aus körperlichen, geistigen oder seelischen Gründen über einen Schwerbehinderungsgrad, gehen aber trotzdem bei Tönnies einer geregelten Arbeit nach.
Vor allem die Bürokratie ist ein Hindernis für Inklusion
Lange hat der Kaufmann diese besonderen Arbeitsverhältnisse in Eigenregie organisiert, die Einarbeitung begleitet und die Mitarbeiter qualifiziert. Mit über zwölf Prozent liegt seine Quote weit über der vom Gesetzgeber geforderten Verpflichtung, mindestens fünf Prozent der Stellen an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Seit einiger Zeit wird Tönnies von Roderich Dörner unterstützt. Er ist bei der Rewe-Gruppe als „HR Partner Inklusion“ tätig, koordiniert also das inklusive Personalmanagement des Unternehmens.
Dörner steht Geschäftsinhabern wie Dietmar Tönnies zur Seite. Er kann Fahrdienste zwischen Berufsschule und Arbeitsplatz organisieren, coachen und beraten, auch für eine Assistenzkraft im Laden sorgen, falls benötigt. Vor allem aber auch helfen, um „die Herausforderung an Formularen“ zu bewältigen. Eine Flexibilisierung der Vorgaben wäre hier hilfreich, meint Dörner.
Dietmar Tönnies scheut das persönliche Risiko nicht
Denn es gebe sehr viele sinnvolle Hilfen, aber viel zu viele bürokratische Hürden. „Wenn Beamtentum auf Unternehmertum trifft, dann gibt es Reibungspunkte.“ Stelle Tönnies vier Menschen mit Behinderung ein, könne es passieren, dass er es mit vier verschiedenen Trägern zu tun habe, die die Menschen vermittelten. Tönnies rollt die Augen….
Den Verwaltungsaufwand scheut Tönnies, das persönliche Risiko hingegen nicht: „Mit Menschen zu arbeiten, ist immer ein Risiko“, so der Kaufmann. Bei jedem Mitarbeiter könnten unvorhergesehene Probleme auftauchen, die Mutter sterben, das Kind erkranken oder der Mann in die Insolvenz gehen. „Als Chef nimmt man an vielem Anteil“, sagt Tönnies, „da kann ich nicht sagen, das interessiert mich nicht.“ Natürlich gebe es auch Fälle, das müsse man sich am Ende doch trennen, schränkt er ein. „Wir sind ein soziales Unternehmen, aber kein Sozialunternehmen.“
Eine „Inklusionsabteilung“ ist nicht mehr geplant
Auf das Klima in der Belegschaft habe der Umgang mit Menschen, die oberflächlich betrachtet vielleicht nicht der Norm entsprechen, einen durchaus positiven Effekt, meint Tönnies: „In vielen Situationen wird Druck rausgenommen.“ Mit Unterstützung von Roderich Dörner möchte Tönnies die inklusiven Bemühungen noch verstärken.
Eine „Inklusionsabteilung“ will er allerdings nicht mehr gründen. Für sie müsse man mindestens drei Menschen mit Behinderung für mindestens fünf Jahre beschäftigen, erklärt Dörner. Im Rahmen der Unterstützungsmöglichkeiten der beruflichen Teilhabe könne man eine öffentliche Förderung von 20.000 Euro pro Person beantragen, erhalte zudem 30 Prozent vom Arbeitnehmer-Bruttolohn ersetzt und 300 Euro im Monat für die pädagogische Begleitung.
Ein Unterstützungspaket, das aber einen „überbordenden Verwaltungsaufwand“ bedeute, kritisiert Tönnies. Er setzt lieber auf direkte Kontakte zu wichtigen Trägern, etwa zu Berufs- oder Förderschulen. Mit dieser Vorgehensweise habe er schon in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Vor vielen Jahren habe ihm die Integrierte Gesamtschule Köln-Holweide einen Praktikanten geschickt. Trotz einer Einschränkung habe der es zum Verkaufshelfer gebracht, schließlich einen ganz normalen Abschluss als Verkäufer gemacht. Der Mitarbeiter sei jetzt seit 15 Jahren in Vollzeit im Haus beschäftigt.
Als kurzfristige Lösung zur Behebung des Fachkräftemangels eigne sich Inklusion nicht, meint Dörner, langfristig aber schon, sofern es „gute Strukturen in den Märkten“ dafür gebe. Als Unternehmer müsse er langfristig denken, sagt auch Tönnies: „Ich will keinen Sprint laufen, sondern Marathon.“