Hopfen und MalzOdenthalerin präsentiert als Bier-Sommelière die Vielfalt des Getränks
- Man kennt es, man trinkt es, und vor allem die Deutschen lieben es: die Rede ist vom Bier.
- Dass das Getränk viel mehr kann, als nur ein Durstlöscher zu sein, möchte die Odenthaler Bier-Sommelière Anja Kober-Stegemann den Leuten näher bringen.
- Sie präsentiert die Vielfalt des Biers – das nicht unbedingt immer kalt serviert werden muss.
Odenthal – „Gebt meinen Leuten reichlich Bier, gutes Bier und billiges Bier, und es wird unter ihnen keine Revolution geben.“ Königin Victoria von England hatte offenbar ihre ganz eigene Version von „Brot und Spielen“ zur Sicherung ihrer Herrschaft. Ganz falsch lag sie damit wohl nicht. Denn erstens endete ihre Regentschaft nicht auf dem Schafott, sondern gilt als „goldenes viktorianisches Zeitalter“ und zweitens war Bier eben immer mehr als nur ein Getränk. Es galt früher als wichtiges Grundnahrungsmittel, um das Kriege, Fehden und Klagen geführt wurden. Für Anja Kober-Stegemann ist Bier Passion, sinnliches Erlebnis und Entdeckungsreise zugleich.
„Alles begann mit einem Glas ...“, erinnert sich die Odenthalerin an ihre erste Begegnung mit einem Fruchtbier aus Belgien. Damit machte sie ein Fass auf: Die bisher bekannte enge Bierwelt aus Hopfen und Malz weitete sich schlagartig um ungeahnte Aromen von Aprikose bis Banane, Holunderblüte bis Geranie, Honig, Lakritz und Schokolade. Und da die heute 51-Jährige, lange im Management eines großen Unternehmens tätig, gerade auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld war, beschloss sie, nicht nur selbst nach allen Regeln der Kunst Bier zu brauen, sondern auch eine Ausbildung zur Diplom-Bier-Sommelière zu machen.
Bier muss bei der Verkostung auch geschluckt werden
Den Sommelier bringt man gewöhnlich eher mit edlen Weinen in Verbindung. Der Spezialist für feine Tropfen informiert und berät die Gäste über Rebsorten, Lagen, Jahrgänge und Aromen, schlägt passende Menüfolgen vor. „Das ist beim Bier kaum anders“, sagt Anja Kober-Stegemann. Sie bietet Bier-Tastings, Vorträge und Brau-Kurse bei privaten Feiern, Firmenveranstaltungen und auch im heimischen Odenthal an. So steht das nächste offene Tasting am 7. und 8. Februar beim 5-Gänge-Menü im Hotel Wißkirchen in Altenberg an. Im April informiert die Sommelière Am Berg in Odenthal über Bio-Biere, im Mai über „Spritzige Biere“.
starkes Gebräu
Bier wird durch Gärung aus stärkehaltigem Getreide (selten aus Kartoffeln oder anderem Gemüse) gewonnen und nicht destilliert. Das Deutsche Reinheitsgebot von 1516 schreibt als Zutaten ausschließlich Wasser, Hopfen, Malz und Hefe vor, „bio“ muss es aber dennoch nicht sein, denn die Zutaten dürfen durchaus behandelt sein. Bier kann aber auch unter Zusatz von Früchten, Kräutern und Gewürzen gebraut werden. Der Alkoholgehalt der meisten Biersorten in Deutschland liegt zwischen 4,5 und sechs Prozent, daneben gibt es aber auch Starkbiere und alkoholfreie Biere. Das meist gebraute und getrunkene Bier im Land ist das Pils. Auf dem Markt sind aber noch zahllose weitere Bierstile wie Weizenbiere, Helles, Starkbiere, Kölsch und Altbier, Export und Schwarzbier und viele Spezialbiere. Der Bierverbrauch in Deutschland ist seit Jahren rückläufig, dennoch hat jeder deutsche Einwohner im Jahr 2018 statistisch gesehen mehr als 94 Liter Bier getrunken. (spe)
Bier beschreibe man genauso wie Wein, begutachte die Farbe, die von weißlich-gelb bis fast schwarz reichen kann, betrachte die Blume, schwenke das Glas und spüre den Aromen nach, sagt die Sommelière. Einen wichtigen Unterschied bei der Verkostung gebe es allerdings: „Wein muss man nicht hinunterschlucken, Bier schon.“ Im sogenannten Abgang schmecke man weitere Stoffe; Würze, Geschmack und Röstaromen würden freigesetzt.
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6000 bis 8000 Inhaltsstoffe
Dabei muss die Sensorik fein arbeiten. Denn das vielfach unterschätzte Bier enthält „6000 bis 8000 verschiedene Inhaltsstoffe – Wein hingegen nur 2000 bis 3000“, so die Sommelière. Selbst in Deutschland, wo die Vielfalt durch das Deutsche Reinheitsgebot von 1516 stark eingeschränkt ist, werden 90 unterschiedliche Malzsorten zum Brauen verwendet, 200 verschiedene Hopfensorten angebaut und die zur Gärung eingesetzte Hefe gibt es in noch mehr Variationen.
Wem das nicht genügt, der kann auch in Deutschland weitere Zutaten in den Braukessel werfen – „nur darf dann nicht Bier draufstehen“, erklärt Anja Kober-Stegemann. Doch keine Regel ohne Ausnahme: So enthält die Gose, ein traditionsreiches obergäriges Weizenbier, das ursprünglich aus Goslar stammt, unter anderem Salz und Koriander. „Da die Gose aber vermutlich schon um das Jahr 1000 gebraut wurde und damit älter als das Deutsche Reinheitsgebot ist, darf sie sich trotzdem Bier nennen.“
Aus einem Unfall entstanden?
In Deutschland gibt es rund 150 verschiedene Bierstile, sagt die Brauerin, von Pils bis Schwarzbier, und daraus entwickeln die Brauereien mehrere Tausend unterschiedliche Biersorten. Und der Markt ist im Fluss: Die Craft Beer-Bewegung erfindet das Bier komplett neu“, sagt die Odenthalerin. Brauer, die handwerkliche Biere herstellen und innerhalb oder außerhalb des Rahmens, den das Deutsche Reinheitsgebot setzt, Kreativbiere brauen, alte oder ausländische Bierstile aufgreifen und neu interpretieren. „Es gibt eine Renaissance von alten Biersorten.“
Tödliche Bierflut
Die Kulturgeschichte des Bieres, die eine Sommelière fast nebenbei vermittelt, ist lang und enthält viele Absonderlichkeiten. Zu ihnen gehört die ebenso kuriose wie tragische Geschichte von der Londoner Bier-Überschwemmung anno 1814.
Damals platzte in einer Brauerei ein großes Fass mit mehr als 610000 Litern Bier. Die Wucht war so groß, dass weitere Fässer barsten. Es gab einen Dominoeffekt, in dessen Verlauf schließlich fast 1,5 Millionen Liter Bier aus der Brauerei in die umliegenden Straßen strömten. Die alkoholische Flutwelle zerstörte zwei der ärmlichen Häuser des Viertels und eine Kneipe, Kellerbehausungen liefen voll. Mindestens acht Menschen und ein Pferd konnten nicht gerettet werden und ertranken im Bier. (spe)
Denn Bier hat eine lange Geschichte, die vermutlich bis in die Zeit zurückreicht, als die Menschen sesshaft wurden und Getreide anbauten. „Viel spricht dafür, dass Bier aus einem Unfall entstand, als Brot im Regen nass wurde“, sagt Anja Kober-Stegemann. Im Mittelalter war das Bierbrauen meist Frauensache und die Mitgift enthielt nicht selten eine Sudpfanne. Das Wasser wurde häufig aus einem nahen Fluss genommen. Mancherorts war es daher am Tag vor dem Bierbrauen bei Strafe untersagt, „in den Bach zu pissen“.
Diese derben Zeiten sind für das Bier längst vorbei, das heute etwa mit dem leicht perlenden „Champagner-Bier“ auch eine äußerst elegante Seite hat. Zudem eine versöhnliche: Mit dem „Költ“ braut sich zwischen Düsseldorf und Köln nicht weiteres Unheil zusammen. Im alten Zwist um Alt und Kölsch versöhnt das „Költ“ nicht nur nament-, sondern auch geschmacklich: ein süffiges Bier mit bräunlicher Tönung und leicht bitterem Abgang.