AboAbonnieren

Serie „Ein Tag in...“Overaths ältester Eismann denkt ans Aufhören

Lesezeit 6 Minuten
Ein Tag in Overath Reportage
Eisdiele Otello Meneghetti

Ein Tag in Overath Reportage Eisdiele Otello Meneghetti

Außerdem beschäftigt die Overather der Verkehr und der schmutzige Bahnhof. Ein Tätowierer berichtet, wie sich das Geschäft seit Corona verändert hat.

Hier ist der Name heute Programm – zumindest zum Teil: Vor dem „Höllenregen“ steht ein Kunde und schützt sich vor dem Wetter: Es regnet an diesem Tag in Overath und die Menschen, die es nicht vermeiden können, sich draußen aufzuhalten, eilen über die Straßen oder suchen sich einen Unterschlupf.

Der „Höllenregen“ ist nicht etwa eine religiöse Vereinigung, sondern ein Tattoo-Studio. Die Motive, die im Eingangsbereich ausgestellt werden, sind zwar teilweise nicht gerade christlich, aber sonst erinnert erinnert in dem Studio nicht viel an die Hölle. Die Mitarbeitenden sind sehr freundlich und auch wenn Inhaber Lesie Mackie auf dem Foto nicht lächeln möchte weil „das nicht zum Tattoo-Studio passt“, wird im Gespräch mit dieser Zeitung schnell klar, dass hinter dieser harten Fassade ein lieber Kern steckt.

Lesie Mackie betreibt das Tattoo-Studio Höllenregen.

Lesie Mackie betreibt das Tattoo-Studio Höllenregen.

Mackie erzählt, dass sich das Geschäft seit Corona verschlechtert habe. „Wir haben weniger Neukunden. Und die Menschen haben weniger Geld. Da stehen Tattoos auf der Prioritätenliste recht weit unten“, sagt er. Die Lage des Studios sei nicht dramatisch, „aber es ist weniger.“ Anders, als es medial manchmal aufgebauscht werde, gebe es keine Trend-Motive, die plötzlich alle haben möchten. „Unsere Kundschaft ist da recht konstant. Einige Medien dichten sich diese ‚Trends‘ selbst zusammen“, sagt er.

Der Standort direkt neben dem Overather Rathaus habe sich zufällig ergeben: Er und seine Frau hätten das Studio früher in Herkenrath betrieben. Dort habe sich aber etwas an dem Mietverhältnis geändert. Auf der Suche nach einem neuen Laden, hätten sie das aktuelle Studio gefunden, und das habe gut gepasst.

„Es ist egal, wo das Studio ist. Wenn du gut bist, kommen die Leute von überall“, erklärt er. Das laufe auch ohne Werbung, der gute Ruf würde über Mund zu Mund Propaganda und über Social Media entstehen. In der Branche würde aber selten negativ über andere gesprochen werden. „Kunden sprechen nur schlecht über andere Tätowierer, wenn sie unzufrieden bei ihnen waren und ich das ausbessern muss“, erzählt er.

Diese fehlerhaften Arbeiten entstünden meistens, wenn Tätowierer nicht wüssten, wie gute Tätowierungen aufgebaut seien: „Zu viel Motiv auf zu wenig Raum funktioniert nicht“, erklärt Mackie. Das sähe dann erstmal ganz gut auf einem Foto aus, aber langfristig würden die Kunden nicht glücklich damit.

Guido Windscheif ist froh, dass der Baumarkt wieder geöffnet hat.

Guido Windscheif ist froh, dass der Baumarkt wieder geöffnet hat.

Weiter geht es zum Baumarkt. Hier erinnert von außen nichts mehr daran, dass das Lager hinter dem Markt vor rund einem Jahr komplett niedergebrannt ist. Auf dem Parkplatz läuft Metallbauer Guido Windscheif gerade zu seinem Auto. Er brauchte nur Kleinigkeiten aus dem Baumarkt und sei froh, dass er die jetzt wieder ohne große Umstände besorgen könne.

„Es war schon schade, dass man nicht mehr eben schnell hinfahren konnte“, sagt er. Auf der anderen Seite sei er flexibel und könne „durch die halbe Weltgeschichte“ fahren. „Allerdings nervt der Verkehr. Wenn ich es vermeiden kann, durch Overath zu fahren, mache ich das“, sagt er. Abgesehen davon, würde er die Stadt aber sehr schätzen. „Ich wohne hier schon seit 50 Jahren. Es ist grün und ruhig. Und ich habe alles in der Nähe, was ich brauche“, findet er.

Ältester Eismann überlegt, aufzuhören

Vom Baumarkt führt der Weg zum Bahnhof an der Eisdiele Cortina vorbei. Das Ehepaar Meneghetti betreibt sie seit 56 Jahren, „aber meine Frau ist krank und kann nicht mehr. Und ich werde auch nicht mehr jünger und schaffe nicht alles alleine“, sagt Otello Meneghetti. Es stünde jeden Tag viel Arbeit an, da sie das Eis nicht nur verkaufen, sondern auch traditionell und mit alten Maschinen selbst herstellen. „Das kostet Zeit. Und mein Rücken macht langsam auch Probleme“, sagt er.

Die Meneghettis haben keine Nachfolger: „Unsere Söhne möchten nicht, sie haben auch ganz andere Berufe. Und gute Leute zu finden, ist fast unmöglich“, sagt er. Wer eine Eisdiele betreibt, müsse jeden Tag arbeiten, auch an Sonn- und Feiertagen. Das schrecke potenzielle Mitarbeitende oder Nachfolger ab. Deswegen wüssten sie nicht, ob sie nach dieser Saison wieder eröffnen.

„Wir machen diese Saison zu Ende und fahren danach, wie sonst auch, nach Italien. Im nächsten Jahr schauen wir dann weiter“, erklärt Meneghetti. Der Schritt würde ihnen nicht leicht fallen: „Das tut mir wirklich wirklich leid, aber was sollen wir machen?“ Die beiden hätten immer für die Arbeit gelebt – seine Frau käme sogar aus einer Eismacher-Familie. „Ihr Opa hat schon in den 30er Jahren in Frankreich eine Eisdiele betrieben. Meine Schwiegermutter ist auch noch in Frankreich geboren“, erzählt er.

Am Anfang war Overath ein Kuhdorf. Der alte Kippels fuhr noch mit der Kutsche durch das Dorf
Otello Meneghetti, Eismann

In den über 50 Jahren an der Hauptstraße habe er auch einiges erlebt und viele Menschen kennengelernt. „Am Anfang war Overath ein Kuhdorf. Der alte Kippels fuhr noch mit der Kutsche durch das Dorf. Jetzt ist alles anonymer geworden. Aber wenn man Stadt sein möchte, muss man wohl groß denken“, sagt er.

Als Overath noch ein „Kuhdorf“ war, habe man sich wohl nicht vorstellen können, dass eines Tages einmal so viele Autos durch den Ort fahren. „Der Verkehr nervt echt“, findet der Eismann. Wenn die Türe zur Eisdiele offen steht, muss man sich anstrengen, um sich gegenseitig zu verstehen. Fast pausenlos fahren Autos an dem Laden vorbei. Wollen Fußgänger die Straßenseite wechseln, müssen sie einige Minuten warten, um eine Lücke im Verkehr zu erwischen. „Wir merken es doll, dass in Untereschbach gebuddelt wird“, sagt Meneghetti.

Am Overather Bahnhof stapeln sich Zigarettenkippen

Den Verkehr werde er jedenfalls nicht vermissen. Von Oktober bis März würden sie in Italien wohnen. Dort hätten sie zwar Ruhe, da sie an einem Wald wohnen, „um den müssen wir uns aber auch kümmern. Wenn wir hier nicht weitermachen, werden wir nicht ohne Arbeit bleiben“, erzählt er. 1959 sei der gebürtige Italiener im Ruhrgebiet gelandet. Da sei er 13 Jahre alt gewesen. „Seitdem habe ich jeden Tag gearbeitet“, sagt er. Daran wolle er im Ruhestand auch nichts ändern: „Ich möchte nicht einfach nur aus dem Fenster gucken und Zeitung lesen“, erklärt er. Er wird sicherlich genügend Aufgaben finden, mit denen er sich die Zeit vertreiben kann.

Nun geht es zum Bahnhof: Hier wartet eine Overatherin, die anonym bleiben möchte, gerade auf ihren Bus. „Schauen sie sich um. Hier liegt überall Müll. Da stehe ich jeden Tag drin“, sagt sie. Das sei „sehr ärgerlich“, findet sie. Als sie in ihren Bus steigt, kommt ein Mann an den Bahnsteig. Er hat zwischen Müll, Regen und Ärger noch einen Blick für Situationskomik. Er deutet auf Maler, die die Unterführung streichen und sagt: „Bei dem Regen können die das doch gleich lassen. Das kommt doch alles wieder runter.“