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75 Jahre KriegsendeForsbacher wird als Gefangener zum Bandmusiker in Frankreich

Lesezeit 5 Minuten

Als Posaunist begann Reiner Lüghausen 1942 seine Laufbahn. Die Musik begleitete ihn von der Heeresmusikschule (o.r. in Bückeburg), durch die Kriegsgefangenschaft und sein späteres Leben als Musiker, Komponist und Arrangeur bis heute (u.r.).

  1. In diesem Jahr jährt sich zum 75. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs.
  2. Wir blicken auf die Geschichten der Menschen aus der Region: Reiner Lüghausen erzählt seine Geschichte im und nach dem Zweiten Weltkrieg.
  3. Er kam in Kriegsgefangenschaft, doch sein musikalisches Talent brachte ihm eine besondere Rolle.

Rösrath/New York – Wenn Reiner Lüghausen aus Forsbach an das Kriegsende im Mai vor 75 Jahren zurückdenkt, dann kommt ihm das heute beinahe unwirklich vor. Als die deutsche Wehrmacht am 8. Mai kapitulierte, war er auf dem Weg nach New York. Unfreiwillig auf einem Kriegsgefangenenschiff – und durfte wegen der geänderten weltpolitischen Lage zwar noch die Freiheitsstatue aus der Nähe sehen, aber in den USA nicht mehr an Land gehen, bevor es zurückging über den Atlantik und Lüghausen eine ganz ungeahnte Karriere als Musiker begann.

Geige lernen während der Angriff auf Polen begann

Aber der Reihe nach: Als Hitler 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begann, hatte Reiner Lüghausen als Zwölfjähriger gerade begonnen Geige zu lernen. 1942 wurde er in die Heeresmusikschule in Frankfurt am Main aufgenommen, die nach einem Bombentreffer mit der Schule in Bückeburg zusammengelegt wurde. Lüghausen lernte im Hauptfach Tuba, im Nebenfach Kontrabass. Klavier war Pflichtfach. Bereits nach einem Vierteljahr wurde er in ein Symphonieorchester abgeordnet. Die Begleitung militärischer Anlässe gehörte schon bald zu seinem Arbeitsalltag. Der Einberufung entging er dennoch nicht. Anfang März 1945 war er zu Hause in Forsbach und wartete auf seinen Marschbefehl zu einem Musikkorps.

Als Posaunist begann Reiner Lüghausen 1942 seine Laufbahn. Die Musik begleitete ihn von der Heeresmusikschule (o.r. in Bückeburg), durch die Kriegsgefangenschaft und sein späteres Leben als Musiker, Komponist und Arrangeur bis heute (u.r.).

„Der aber kam nicht“, erinnert sich der heute 92-Jährige. Ein Lautsprecherwagen sei damals durch den Ort gefahren, alle „Soldaten auf Urlaub“ seien dazu aufgefordert worden, sich beim Ortskommandanten zu melden. „Ich wurde zu Hause einquartiert und noch rasch am Maschinengewehr ausgebildet“, erinnert sich Lüghausen. Für ihn ging es mit einer Einheit in Richtung Westerwald – als die amerikanischen Truppen bereits bei Remagen über den Rhein vorgestoßen waren. Mit einigen Kameraden setzte sich Lüghausen ab, versuchte, sich nachts in Richtung Forsbach durchzuschlagen. Vergebens. Am Ostermontag 1945 wurden sie von Amerikanern gefasst und kamen in Kriegsgefangenschaft. Auf Lastwagen wurden er und andere Richtung Rhein gebracht, in ein improvisiertes Kriegsgefangenenlager auf den Wiesen von Sinzig.

Per Eisenbahn ging’s weiter nach Lüttich und dann nach Calais. Mit rund 1000 weiteren Kriegsgefangenen ging’s auf ein Schiff – erst nach Southampton, dann gemeinsam mit zwei weiteren Kriegsgefangenen-Schiffen in einem rund 90 Marine- und Transportschiffe umfassenden Geleitzug über den Atlantik. „Am 4. oder 5. Mai gab es nachts Alarm, wir hörten eine Detonation“, erinnert sich Lüghausen. „Der Geleitzug war von einem deutschen U-Boot angegriffen worden.“ Drei Tage später war der Krieg vorbei. „Da war die Freude natürlich groß“, erzählt Reiner Lüghausen. Nochmals drei Tage später lief der Geleitzug in New York ein. Doch während die Transportschiffe mit Nachschub für Europa neu beladen wurden, blieben die Kriegsgefangenen an Bord und fuhren mit dem nächsten Geleitzug zurück.

Als Posaunist begann Reiner Lüghausen 1942 seine Laufbahn. Die Musik begleitete ihn von der Heeresmusikschule (o.r. in Bückeburg), durch die Kriegsgefangenschaft und sein späteres Leben als Musiker, Komponist und Arrangeur bis heute (u.r.).

Lüghausen hatte sich zwischenzeitlich bereits als Jazzfan zu erkennen gegeben, bei einem Stück das aus dem Transistorradio der GIs übers Deck schallte, mitgeschnippt. „Hey Man“, habe ein US-Soldat ihn daraufhin zu sich gewunken. Lüghausen wusste nicht, wie ihm geschah, konnte sich dem Bewacher aber ja auch nicht widersetzen und war erstaunt, als er von diesem heimlich Zigaretten zugesteckt bekam.

Elf Tage Hafenstopp in New York für 3000 Gefangene

Elf Tage nach dem „Hafenstopp“ in New York waren Lüghausen und die 3000 übrigen Kriegsgefangenen zurück in Europa. In einem Kriegsgefangenenlager in Le Havre war der junge Soldat dafür abgestellt, in Arbeitskommandos Schiffe zu entladen. Ein Knochenjob.

Und wiederum half Lüghausen die Musik. „Der Captain unseres Camps war Texaner und wollte unbedingt eine Band haben – aber außer der Orgel in der Kirche war kein Instrument da.“ Lüghausen meldete sich, bemühte sich, aus großen Büchsen, die er mit Regenmänteln bespannte, ein Schlagzeug zu bauen – und gemeinsam mit einem Schreiner einen Kontrabass. Allein die Eigenbauten klangen mehr als mäßig. Das hörte auch der Captain und nahm die aus den Reihen der Kriegsgefangenen ausgewählten Musiker im Jeep mit in eine der Lagerhallen am Hafen.

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„Die war voller Instrumente“, erinnert sich Lüghausen bis heute staunend. Fünf Saxofone, drei Trompeten, Klavier, Schlagzeug, Gitarre, Bass und Lüghausen an der Posaune – rasch war die Band zusammengestellt, die der Captain bald in Offiziers- und anderen Clubs auftreten ließ. „Für die damaligen Verhältnisse ein Leben wie Gott in Frankreich“, erinnert sich Lüghausen. Sein Instrument durfte er sogar mitnehmen, als er in ein anderes Lager verlegt und gleich wieder für eine Lagerband engagiert wurde. Im Herbst 1946 wurde der 19-Jährige schließlich in Bonn aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er schlug sich Richtung Forsbach durch, hätte gleich in Köln beim später als „singender Geiger“ bekannt gewordenen Fritz Weber als Posaunist anfangen können, wollte aber erst einmal nur nach Hause.

Die Musik jedoch ließ den jungen Heimkehrer nicht mehr los. Als Kontrabassist spielte er in Wiesbaden bald wieder fürs amerikanische Militär, später als Posaunist in einem Quintett bei den Engländern in Iserlohn, bevor er nach der Währungsreform eine Karriere als Musiker, Komponist und Arrangeur begann. Die brachte ihn ebenso ins Bonner Beethoven-Orchester, wo er seine Frau Hildegard kennenlernte, wie zu Studio-Aufnahmen mit Künstlern von Conny Froboess über Rex Gildo bis hin zum Hansen-Quartett. Aber das ist eine andere Geschichte, an die der Musiker, der lange das Rheinisch-Bergische Blasorchester Bensberg leitete, kurz nach dem 75. Jahrestag des Kriegsendes mindestens ebenso gerne zurückdenkt.