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Herstatt-PleitePlötzlich durfte Wilhelm Schmitz in Rösrath kein Geld mehr auszahlen

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Wilhelm_Schmitz_Herstattfiliale

Wilhelm Schmitz' alter Arbeitsplatz an der Rösrather Hauptstraße ist heute ein Friseursalon.

Siegburg/Rösrath – „Was war das denn für ein Bekloppter?“ fragte Wilhelm Schmitz sich noch und seine Kollegen, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Gerade hatte ihn ein Anrufer aus Köln streng angewiesen, keine Ein- und Auszahlungen mehr zu tätigen. Doch der junge Bankkaufmann in der Rösrather Filiale der Herstatt-Bank hatte es nicht mit einem Verrückten zu tun, sondern sah sich, an diesem Nachmittag des 26. Juni 1974, unverhofft in der größten Bankenpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Kurz darauf riefen die ersten Kunden an, die von der Insolvenz der Bank gehört hatten und jetzt um ihr Erspartes bangten. Schmitz’ Vorgesetzter Manfred Nagel rief sogar die Polizei an: „Der hatte Angst, dass die Kunden die Bank stürmen könnten.“

Der Abend war gelaufen: Dabei hatten die Kollegen schon Schnittchen vorbestellt, um das Fußball-Weltmeisterschaftsspiel Deutschland gegen Jugoslawien zu sehen. „Die konnten wir irgendwann noch essen“, erinnert sich Schmitz.

Von dem 2:0 und den Toren von Breitner und Müller bekamen die Banker allerdings nichts mit. Und zu gern hätte der sportbegeisterte Schmitz den Siegburger Wolfgang Overath spielen gesehen, als „uneingeschränkten Herrscher im Mittelfeld“, wie es später in einem Spielbericht hieß.

Devisenhändler trieben die Bank in den Ruin

An all dass musste der 79-Jährige jetzt wieder denken, als die ARD mit dem Film „Goldjungs“ die größte Bankenpleite der deutsche Nachkriegsgeschichte als Satire noch einmal lebendig werden ließ. Genussvoll fährt die Kamera unter der Regie von Christoph Schnee über die bonbonfarbenen Karosserien von sechs Porsche 911, im Film das Standardfahrzeug der jungen Devisenhändler, die das Geldhaus in den Ruin treiben sollten.

Iwan_Herstatt

Iwan David Herstatt beteuerte bis zum Tod 1995 seine Unschuld an der Bankeninsolvenz.

„Wir haben uns damals immer gefragt, woher das Geld für die teuren Autos auf dem Parkplatz in Köln stammte“, erinnert sich Schmitz, der damals ganz anders zur Arbeit kam: Tag für Tag lief er von Wolsdorf aus hinunter in die Stadt zur Haltestelle an der Johannesstraße. Immerhin: „Der Bus nach Rösrath brauchte nur 20 Minuten.“

Ausgebildet bei der Kreissparkasse, war er 1969 zur Herstatt-Bank gewechselt, damals die größte Privatbank der Republik, hatte dort auch in der Zentrale gearbeitet. Dort sah er den Saal der Devisenhändler, der bei den Mitarbeitern den Spitznamen „Raumschiff Orion“ bekam. Die Praxis, Strohmänner unter den Mitarbeitern für die Devisen-Ankäufe zu suchen, drang nicht bis zu ihm durch: Im Film führt die Praxis zum Suizid einer hoch verschuldeten Chefsekretärin.

Wilhelm Schmitz bangte um sein Gehaltskonto

Schmitz, Vater zweier Söhne und eines Pflegekinds, musste um sein Gehaltskonto bangen und um zwei Sparbücher, die er für den Kirchenchor und die Freiwillige Feuerwehr angelegt hatte. „Meine Frau hatte zum Glück ein Konto bei der Sparkasse.“ Davon, dass Iwan David Herstatt, Bankvorstand und persönlich haftender Gesellschafter, bei wichtigen Besprechungen einnickte, war Schmitz nichts bekannt; persönlich kennengelernt hatte er ihn nicht.

Historischer-Zeitungsausschnitt

Eine Woche nach der Pleite waren Wilhelm Schmitz (Zweiter von links) und seine Kollegen Thema in der Lokalpresse.

Aber zu der rauschenden Geburtstagsparty Herstatts, um die sich der Banker laut Drehbuch mehr sorgte als um die gefährlichen Machenschaften seiner jungen Devisenexperten, war Schmitz als einer von 850 Gästen eingeladen. Und er bekam wie andere aktuelle Geburtstagskinder auch einen Blumenstrauß: Schmitz wurde am 15. Dezember 1942 geboren, Herstatt am 16. Dezember 1913. Die Feier des begeisterten Karnevalisten – Herstatt war eine Größe der Kölner Gesellschaft – habe durchaus etwas von einer Karnevalssitzung gehabt.

Komödie arbeitet die Pleite satirisch auf

Die Komödie „Goldjungs“ greift als Satire die Herstatt-Bankpleite im Sommer 1974 auf, Regie führte Christoph Schnee. Das Drehbuch schrieben Eva und Volker A. Zahn nach einer Idee von Filmproduzent Uwe Kersken.

Bis auf das Ehepaar Hans und Irene Gerling (dargestellt von Martin Brambach und Leslie Malton) sowie Iwan David Herstatt (Waldemar Kobus) sind die Figuren frei erfunden. Als „Goldjungs“ wurden die jungen Devisenhändler der Bank bezeichnet. Der Film wurde am 5. Mai im Ersten gezeigt und kann als Stream in der ARD-Mediathek abgerufen werden. (ah)

Dass Herstatt in den Jahren danach nur dank seiner Familie nicht in völlige Armut abstürzte, hat Schmitz bewegt, auch Berichte, dieser könne sich nur noch Kartoffelsuppe leisten. Nach dem schweren Tag ging es für Schmitz noch eine Zeit lang beruflich relativ normal weiter. „Nur die Staatsanwaltschaft stellte regelmäßig Unterlagen sicher.“

Schmitz bekam seine Einlagen und auch die kleinen Beträge von den beiden Sparbücher wieder. Damit profitierte er von den Rückzahlungen, für die Kommandit-Aktionär Hans Gerling geradestand und einen Großteil seines Versicherungskonzerns opferte.

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Schmitz bewarb sich zunächst ohne Erfolg bei der Kreissparkasse – „die übernahmen gerade 15 oder 16 neue Auszubildende“ – und meldete sich für kurze Zeit arbeitslos. Dann kam ein Anruf von der Volksbank Siegburg, für die Schmitz bis zur Rente weiterarbeitete.

Zeitungsartikel über das Schicksal Herstatts, der immer wieder seine Unschuld beteuerte, bis er 1995 starb, hob er auf, auch das Schreiben über den Vergleich, der den vielen Gläubigern der Bank unterbreitet wurde. „Herstatt wollte auch in Siegburg eine Filiale eröffnen, aber daraus wurde nichts“, erinnert er sich. „Da ist den Siegburgern wohl einiges erspart geblieben.“