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Wolfgang Bosbach im Interview„Innere Sicherheit ist ein Marathon, kein Sprint“

Lesezeit 7 Minuten
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CDU-Politiker Wolfgang Bosbach während des Gesprächs mit dieser Zeitung.

  1. Zwei Jahre lang hat Politiker Wolfgang Bosbach mit seinem Team Verbesserungen zur Sicherheit in NRW erarbeitet.
  2. Im Interview spricht der CDU-Politiker nun über die Ergebnisse der Kommission.
  3. Bosbach äußert sich zu Ausbildung und Struktur der Polizei, den 150 Empfehlungen der Kommission und der Zusammenarbeit mit der Justiz.

Bei der Vorstellung des Abschlussberichts haben Sie gesagt, Sie hätten einige Kompromisse eingehen müssen. Hatten Sie mehr erwartet?

Bosbach: Im Gegenteil. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir uns in so vielen, auch umstrittenen Punkten einigen würden. Der große Vorteil der Kommission war, dass Parteipolitik komplett außen vor war. Ich sage immer: Das waren 16 Hochkaräter und ich.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse?

Alles zum Thema Wolfgang Bosbach

Die Erkenntnis, dass es bei der Polizei ganz entscheidend auf die Ausbildung, Fortbildung und Spezialisierung der Einsatzkräfte ankommt. Und auf eine moderne technische Ausstattung, die häufig noch sehr stark hinter der Organisierten Kriminalität herhinkt. Die Organisierte Kriminalität schafft an, der öffentliche Dienst schreibt aus. Und die dritte wichtige Erkenntnis ist, dass wir einen enormen Nachholbedarf bei der Bekämpfung von Geldwäsche haben. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Hotspot der Geldwäsche entwickelt, bei der es auch eine Verbindung zur Clan-Kriminalität gibt, zu der die Kommission ja ebenso einen Zwischenbericht geliefert hat wie zum Thema „Besserer Schutz vor Kindesmissbrauch“.

Der Bericht enthält 150 konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der Sicherheitsarchitektur in NRW. Ein Dauerbrenner, bei dem sich die Kommission allerdings nicht eindeutig festlegt, ist die seit Jahren immer wieder diskutierte Organisationsstruktur der Polizei...

Wird er auch bleiben.

...verbunden mit der Frage, ob die NRW-Polizei nicht mit weniger, aber größeren und spezialisierten Einheiten schlagkräftiger wäre?

Richtig.

Das würde aber auch heißen, kleinere Polizeibehörden wie die rheinisch-bergische Kreispolizei hätten bei einer solchen Reform keine Zukunft.

Die rein fachliche Bewertung in der Kommission ging in die Richtung, die Polizei statt in den zurzeit 47 Kreispolizeibehörden landesweit in größeren, regionalen Polizeipräsidien zu organisieren.

Was spräche fachlich dafür?

Denkbar wäre beispielsweise eine regionale Deckungsgleichheit von Präsidien und Landgerichtsbezirken inklusive den jeweiligen Staatsanwaltschaften, die ja eng mit den Polizeibehörden kooperieren müssen. Wichtig wäre eine Konzentration von Kompetenz, Erfahrung und hervorragender technischer Ausstattung.

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Bosbach erklärt einige Kernpunkte des Kommissionsberichts.

Warum?

Es ist in Nordrhein-Westfalen gar nicht so leicht feststellbar, bei welchem Tatkomplex, welche Behörde zuständig ist. Dafür gibt es extra eine Kriminalhauptstellenverordnung. Ich kann Ihnen sagen: Das ist was für juristische Feinschmecker. Nimmt man zum Beispiel den Überfall auf einen Pensionär vor einigen Monaten hier in Bergisch Gladbach, bei dem der mutmaßliche Täter nachher tot an seinem Auto gefunden wurde. Zu dem Überfall ermittelt die Kreispolizei in Bergisch Gladbach.

Klar.

Die Ermittlungen zum Tod des mutmaßlichen Täters aber gehen erst einmal nach Köln.

Dann wird also in Bergisch Gladbach und Köln ermittelt.

Ja! Dann aber stellen die Kölner fest: Todesursache war kein Fremdverschulden, sondern ein Herzinfarkt. Dann geht der Fall wieder in die Obhut der Kreispolizeibehörde zurück. Das macht deutlich, dass schon bei relativ schlichten Fällen zwei Behörden involviert werden müssen, obwohl es sich um ein einheitliches Tatgeschehen gehandelt hat. Und ein drittes Argument für größere Einheiten ist die reine Fachlichkeit: Das gilt weniger für die Verkehrspolizei, aber für die kriminalpolizeiliche Arbeit ist von überragender Bedeutung die personelle Expertise, die Erfahrung, die mit der Zahl der Fälle permanent wächst, die technische Ausstattung und die Bildung von Ermittlungskommission.

Zum Beispiel?

Im großen Komplex Geldwäsche brauchen Sie eine enge Zusammenarbeit nicht nur mit den Staatsanwaltschaften, sondern auch mit den Finanzbehörden, mit dem Zoll, den Banken, die ab einer bestimmten Summe Finanztransaktionen melden müssen

Auch bei den Ermittlungen zum Kindesmissbrauch in Lügde ist ja bei den Ermittlungen vor Ort zunächst nicht alles rund gelaufen.

Gerade der Fall Lügde hat deutlich gemacht, dass größere, erfahrenere Einheiten besser in der Lage sind, solche Tatkomplexe aufzuklären, als die jeweilige Einheit, die vor Ort zuständig ist.

Als nach der Festnahme des Bergisch Gladbachers im Oktober öffentlich wurde, dass man hier auf ein bundesweites Geflecht von Kindesmissbrauch gestoßen war, hat das Innenministerium die Ermittlungen aber sehr schnell nach Köln überwiesen.

Ja, gerade solche Ermittlungen sind ja unfassbar personalintensiv. Da hat man mehrere Terabyte Daten gefunden, die ausgewertet werden mussten. Nicht umsonst haben da in der Ermittlungsgruppe Berg in Köln wenig später mehr als 300 Polizeibeamte dran gearbeitet. Es geht ja dann auch nicht allein darum, Täter zu überführen, sondern auch darum, möglichst schnell die Opfer ausfindig zu machen, um sie aus den Klauen der Täter zu befreien.

Wenn es so viele fachliche Gründe für eine Strukturreform bei der Polizei gibt, warum hat sich Ihre Expertenkommission dann am Ende nicht einhellig dafür ausgesprochen?

Die Frage war am Ende: Ist eine Reform mehrheitsfähig oder bleibt es bei der bisherigen Form in Nordrhein-Westfalen, die übrigens bundesweit einzigartig ist?

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Mehr als zwei Jahre arbeitete Wolfgang Bosbach mit seinem Team am Thema Innere Sicherheit in NRW.

Und ist eine Reform mehrheitsfähig?

Stand heute: Nein. Und das liegt auch – nicht alleine, aber auch – an meiner Partei. Die CDU hat sich immer dafür eingesetzt, dass die Landräte Polizeibehörden sind und bleiben.

Warum?

Für die jetzige Struktur, wie wir sie hier im Rheinisch-Bergischen Kreis mit eigener Kreispolizeibehörde haben, gibt es auch Argumente, die man nicht zu geringschätzen sollte. Zum einen: die Ortsnähe. Deshalb muss man den Menschen die Angst davor nehmen, dass eine Neuorganisation der Polizei einen Verlust von Bürgernähe bedeuten würde.

Wie kann das gelingen?

Die Polizeistationen, die jetzt vor Ort sind, dürfen einer Neuorganisation nicht zum Opfer fallen. Das heißt: Die Polizei muss in der Fläche präsent bleiben. Und eine zweite Sorge ist, dass bei größeren Einheiten eine Konzentration der Polizeikräfte in Ballungszentren mit einer besonderen Kriminalitätsbelastung stattfinden könnte.

Die Sorge also, dass bei der Frage, wo Polizeikräfte eingesetzt werden, Kürten-Biesfeld mit Köln-Chorweiler konkurrieren müsste?

Ja, bei der Frage: Wo geben wir die Polizeikräfte jetzt als erstes hin? Die Kriminalitätsbelastung hier im Rheinisch-Bergischen Kreis ist natürlich deutlich geringer als in der Millionenstadt Köln. Wir haben aber auch in Nordrhein-Westfalen an einigen Stellen schon einen anderen Behördenaufbau. So ist z.B. das Polizeipräsidium Köln seit einigen Jahren auch für die kreisfreie Stadt Leverkusen zuständig.

Ist das denn ein gutes Beispiel dafür, dass Polizei in größeren Einheiten schlagkräftiger ist? In Leverkusen haben ja doch viele Menschen das Gefühl, dass sie seit der Fusion der Polizeibehörden nur noch ein Anhängsel von Köln sind . . .

Das Polizeipräsidium Köln wird sagen „Es war richtig“ – viele in Leverkusen werden das anders sehen. Für mich ist immer eine rein fachliche Beurteilung entscheidend und die sprach für die größere Einheit des Polizeipräsidiums Köln. Ich weiß, wie schwierig es ist, mit objektiven Zahlen gegen Gefühle anzutreten. Deswegen ist es ja so wichtig, dass die Polizei auch in der Fläche sichtbar präsent bleibt. Gelingen muss die Kombination von Erfahrung, spezieller Expertise beispielsweise bei der IT-Kriminalität und sichtbarer Präsenz .

Ist eine Polizei-Strukturreform nach dem Kommissionsergebnis nun vom Tisch?

Ich bin davon überzeugt, dass – wenn der Untersuchungsausschuss Lügde seine Arbeit abgeschlossen hat – sich diese Frage noch einmal neu stellen wird – rein unter fachlichen Gesichtspunkten. Ich würde meinen Kollegen im Landtag empfehlen, in jedem Fall einmal mit denen zu sprechen, die eine solche Strukturreform ihrer Polizei bereits hatten, zum Beispiel mit Vertretern aus Baden-Württemberg oder Bayern, die von der Struktur her mit Nordrhein-Westfalen zu vergleichen sind. Da könnte man dann auch einmal fragen, ob sich Befürchtungen des Verlusts der Flächenpräsenz von Polizei bestätigt haben.

Die Beschäftigung mit der Sicherheit in NRW soll mit dem Abschlussbericht Ihrer Kommission nicht zu Ende sein.

Das bleibt eine Dauerbaustelle: Landtag und Landesregierung werden permanent das Kriminalitätsgeschehen beobachten müssen und sich die Frage stellen: Sind wir personell und technisch so ausgestattet, dass wir den neuen Herausforderungen erfolgreich begegnen können?

Haben Sie Interesse, das weiter zu begleiten?

Ich würde sagen: Schon viel geschehen, aber auch noch viel zu tun! Innere Sicherheit ist Marathon, kein Sprint. Meine Arbeit ist allerdings erledigt. Ich bin nur noch interessierter Beobachter.