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Eröffnung im Freilichtmuseum KommernBrühler Milchbar ist zurück

Lesezeit 4 Minuten

Die alte Milchbar am neuen Ort: Der Förderverein des Museums spendierte den geschwungenen Neonschriftzug.

Brühl/Kommern – Beinahe wäre die in zwei Jahren museal aufgearbeitete Brühler Milchbar kurz vor der Eröffnung noch Opfer des Hochwassers geworden. Doch zum Glück habe man in letzter Sekunde noch einen Graben ziehen können, der die Wassermassen ableitete, erzählte Carsten Vorwig. Vorwig ist Bauhistoriker und Kurator der Ausstellung im Freilichtmuseum Kommern. Und so konnte die Eröffnungsfeier des neuen Museumsstückes wie geplant am Freitagabend stattfinden. Und die Leute konnten sich die Nasen am großen Fenster unter dem erleuchteten Neonschriftzugs der Milchbar platt drücken, um einen Blick ins Innere des Schankraumes zu erhaschen.

Viele Gäste schauten schon mal durch das Fenster, um einen ersten Blick in den Schankraum der Milchbar zu werfen.

Viele standen Schlange vor dem einstmaligen Kiosk mit Klappfenster zur Brühler Carl-Schurz-Straße hin. Dort löffelte eine Frau mit strahlendem Lachen gebrannte Mandeln, Bonbons und Lakritzpfeifen in Papiertütchen, so wie damals. Ein Griff zu den Schachteln der Zigarettenmarken Juno oder Overstolz im Regal an der Rückwand des Raumes, kaum größer als eine Abstellkammer, blieb freilich vergebens, die Schachteln sind festgeklebt.

Toast Hawaii und Brühwurst

Die Rockband „Teddy Technik’s Effekthascher“ spielte „Rote Lippen soll man küssen“ und anderes Musikgut der 50er-Jahre. Am Schaustellerwagen servierten die Köche Lothar und Pascal einen Imbiss, passend zu den kulinarischen Gepflogenheiten der damaligen Zeit: Toast Hawaii, Geflügelsalat auf Weißbrot, Brühwurst oder Pflaumenkuchen. Dazu gab es Milchmixgetränke unterschiedlicher Geschmacksrichtungen.

Die Milchbar

Der Pavillon wurde 1955 an der Carl-Schurz-Straße in Brühl errichtet und am 12. August eröffnet. Zur Bar gehörte ein Kiosk mit Zigaretten, Bier und Süßigkeiten. In den 60er Jahren entwickelte sich die Milchbar zur Musikkneipe und zum Stammlokal der Motorradrockerszene. Inhaber Mike Smith ließ 1961 ein Billardzimmer anbauen. Ende der 60er-Jahre ging der Betrieb an die Folgegeneration, der letzte Wechsel war 1998. Nach dem Tod des letzten Inhabers im Januar 2018 war die weitere Nutzung lange unklar. (Quelle: LVR)

Zwischen historischen Zweirädern der 50er-Jahre hatten Jakob und Brigitte Holz-Schöttler, einstmalige Gäste und Freunde des letzten Milchbar-Wirtes Mike Smith, ihren amerikanischen Feuerstuhl gleich neben der Milchbar geparkt, eine „Boss Hoss“.

Die Theke erstrahlt im Babyblau der Anfangsjahre, das zuletzt hinter Holzpappe verborgene Wandbild ist wieder freigelegt.

Die Wiedereröffnung der Milchbar, diesmal als historisches Museumsstück auf dem Marktplatz Rheinland des Freilichtmuseums Kommern, ähnelte atmosphärisch ein wenig der Eröffnung der neuen Brühler Attraktion am 12. August 1955, der Milchbar von Josef und Gertrud Eich.

Und zumindest die Neugier auf die Milchbar verband wohl die heutigen Gäste mit denen, die, wie der Bauhistoriker und Kurator der Ausstellung, Carsten Vorwig, schilderte, an einem lauen Freitagabend 1955 ihren Weg durch die immer noch von Kriegsschäden gezeichnete Brühler Innenstadt zur Milchbar genommen hatten. „Die Damen in Petticoat, die Herren im Anzug mit Krawatte. Fein zurechtgemacht, wie es sich für Mitte der 1950er-Jahre gehört.“ Tochter Elly habe in weißer, gestärkter Schürze Milchmixgetränke wie „Weißer Traum“ und „Blauer Mond“ mit Curaçao und Zuckerrand serviert.

Im Kiosk gab es gebrannte Mandeln und Lakritzpfeifen.

250 Menschen begrüßte der Direktor des Freilichtmuseums, Josef Mangold, auf dem Marktplatz Rheinland. Unter ihnen Janette Muschenich, die Schwester von Mike Smith, die nach dessen plötzlichem Tod dem Vorschlag des Brühler Rechtsanwaltes Hubert Poëtes einer Translozierung des Gebäudes ins Museum alsbald zugestimmt hatte. Gekommen waren viele, die im August vor zwei Jahren den Abtransport des 72 Tonnen schweren Gebäudes gefeiert hatten. „Tschö Milchbar“, hatte der Senatschor der Fidelen Bröhler Falkenjäger zur Melodie „Amazing Grace“ da gedichtet, diesmal hieß es aus vielen Kehlen „Hallo Milchbar“.

Ein versteckter Stromkasten

Mangold erinnerte sich an ein lautes Krachen an jenem Abend 2019, als das sorgfältig eingekofferte Gebäude beim Anheben mittels zweier Kräne wider Erwarten zunächst nicht ganz frei schwebte. Die Ursache war ein alter Stromkasten, den man in der Nachkriegszeit an die Mauer des Nachbarhauses montiert und später dann mit einer Putzschicht überzogen hatte.

Der Senatschor der Fidelen Bröhler Falkenjäger sang im Freilichtmuseum Kommern „Hallo Milchbar“ zur Melodie von „Amazing Grace“.

Gekommen zur Eröffnungsfeier waren auch viele Zeitzeugen, die den Historikern mit Fakten und Erlebnisschilderungen eine geschichtliche Aufarbeitung ermöglicht hatten. Das Gebäude war Milchbar, Rockerkneipe, gutbürgerliche Gaststätte und Musikszenekneipe von Mike Smith. Ihren Erzählungen begegnen die Besucher heute in gefilmten Interviews, die per Knopfdruck an einem Display abrufbar sind, gleich neben der Eismaschine. Früher im Keller untergebracht hat man ihr am alten Kellerabgang einen Platz reserviert.

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Im Gastraum schlägt sich die Geschichte der Milchbar in zwei Zeitschnitten nieder. Als „Meilenstein in der Museumsgeschichte“ würdigte die Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland, Anne Henk-Hollstein, die Arbeit des Museumsteams. An der einen Seite des Gastraums zeigt sich der Glanz des Jahres 1955 mit Nierentisch und Stühlen und im ursprünglichen in Babyblau restaurierter Kühltheke. Das Wandgemälde ist eine Unterwasserlandschaft des Malermeisters Franz Vogel. Es war Jahrzehnte hinter Holzpappe verborgen und hat nun eine restaurierte Oberfläche. An der anderen Seite des Gastraums zeigt sich die Musikszenekneipe von Mike Smith mit Plattencovern an der dunkelrot lackierten Wand und „Eiche-rustikal“-Möbeln. Das 1961 angebaute Billardzimmer haben die Handwerker des Museums neu entstehen lassen. Neben dem Billardtisch findet sich ein Teil der Schallplattensammlung von Mike Smith hinter Museumsglas. Es sind Singles aus dem jahrzehntelangen Betrieb der Jukebox. Da seien teils rare Schätze zu finden, weiß Josef Mangold. Schade sei nur, dass man die Musiktruhe nicht rechtzeitig ans Spielen gebracht habe, denn die Mäuse hätten sich früher in der Elektrik breitgemacht.