Familie aus Brühl berichtetSo ist das Leben mit einem Kind, das Down-Syndrom hat
Brühl-Pingsdorf – Der Wandkalender in der Küche zeigt noch den Februar an. „Ich bin wohl nicht dazu gekommen umzublättern“, sagt Sabine Hinseln und lacht. Sie hat sich einen Milchkaffee zubereitet und ist im Begriff, den ersten Schluck zu nehmen. „Und irgendwie ist es ja auch egal.“
Das Kalenderversäumnis nimmt sie gelassen, ebenso die Tatsache, dass Töchterchen Paula im selben Moment in die Küche gewetzt kommt und stolz ihre pink glitzernden Händchen präsentiert.
„Okay, sie hat das Bastelfach entdeckt“, murmelt die Mutter und stellt die Kaffeetasse ab, bevor sie überhaupt daran nippen konnte. „Auf zum Waschbecken, Hände waschen.“ Sie schiebt der Zweijährigen einen Hocker vor das Spülbecken. Doch diesen peilt bereis die größere Schwester Anna an.
Die Vierjährige klettert hoch. Und gerade als die Mutter ihre beiden Töchter sortieren möchte, ertönt ein freudiger Schrei aus dem Wohnzimmer. Tochter Nummer drei, Emma (5), hat einen Haufen Glitzerpulver auf dem Boden entdeckt und diesen gleichmäßig verteilt.
„Manchmal nenne ich meine Familie einen Chaoshaufen“, erklärt Sabine Hinseln. „Das finden manche Menschen ganz schlimm. Aber das ist natürlich lieb gemeint.“ Sie vermutet, dass einige Menschen empfindlich auf diese Worte reagieren, weil Klein-Anna eine Behinderung hat. Das Mädchen hat das Down-Syndrom.
Anna ist aufgrund der Chromosomenstörung körperlich und geistig eingeschränkt. „Das ist aber nicht schlimm, sie ist wirklich gut drauf“, versichert Sabine Hinseln. Sie muss bei ihren eigenen Worten schmunzeln. „Es passiert mir immer wieder, dass ich das Gefühl habe, mein Gegenüber beruhigen zu müssen.“
Down-Syndrom-Tag
Das Down-Syndrom wird auch Trisomie 21 genannt, weil der Betroffene drei Exemplare des Chromosoms Nummer 21 besitzt, das üblicherweise nur zweifach vorhanden ist.
Jedes Jahr wird am 21. März der Welt-Down-Syndrom-Tag begangen. Die Brühler Selbsthilfegruppe 21mal3, die von den Hinselns gegründet wurde, lädt deshalb für Samstag, 25. März, 15 bis 18 Uhr, zu einem Eltern-Seminar „Nie mehr sprachlos – souveräne Kommunikation für Eltern behinderter Kinder“ ein.
Anmeldungen für das Seminar, das im SkF-Familienzentrum St. Margareta, Mühlenstraße, stattfindet, und Informationen zur Selbsthilfegruppe bei Sabine Hinseln, 01515/2107730. (hc)
Denn viele Menschen reagieren betroffen, unbeholfen oder gar sprachlos, wenn die dreifache Mutter erzählt, dass Anna das Down-Syndrom hat. Sie schweigen, fangen an zu stottern, wissen nicht, was sie sagen sollen.
„Angestarrt zu werden, finde ich eigentlich am Schlimmsten“, sagt Sabine Hinseln. Sie ist ein Freund der direkten Worte. „Ich finde es am besten, wenn mich die Menschen ansprechen. Und dabei können sie auch gerne den Begriff »behindert« verwenden. Das tue ich auch“, sagt sie. „Schließlich ist es ja so: Anna ist behindert.“ Dass andere Eltern von Kindern mit einer Behinderung dies anders sehen, dafür hat sie Verständnis. „Das muss jeder so machen, wie er es für richtig hält. Ich komme am besten auf diese Weise mit der Situation zurecht.“
Gesichstmaske aus Apfelpüree
Emma hat es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht und futtert Apfelstücke. Paula hockt zufrieden auf Mamas Schoß, Anna hat ein Babygläschen für sich entdeckt und löffelt genüsslich das Mus – und kleckert dabei was das Zeug hält. Sabine Hinseln stellt Paula auf den Boden und eilt zum Kinderstuhl, um Anna daran zu hindern, sich eine Gesichtsmaske aus Apfelpüree aufzulegen. „Heute ist mal wieder ein wilder Tag“, erklärt die dreifache Mutter und schüttelt den Kopf. Ihr Kaffee – nach wie vor unangetastet – ist nur noch lauwarm. „Es läuft nichts nach Plan.“
Dass sich die gebürtige Frechenerin täglich um einen bunten Haushalt kümmern muss, sieht sie als besondere Aufgabe an. Und sie ist glücklich. Und doch versetzt es ihr immer wieder einen Stich, wenn ihr Menschen „komisch“ begegnen. Wie oft sie, wenn sie von Anna und dem Down-Syndrom berichtet, von einem Gegenüber gefragt wurde: „Habt ihr das denn nicht vorher gewusst?“, weiß sie schon gar nicht mehr.
Auch wenn jemand Anna „mongoloid“ nennt, zuckt sie zusammen. „Aber das ist keine Boshaftigkeit der Leute“, so die Mutter. „Es ist Unwissenheit.“ Sie und ihr Mann David hatten nach der Geburt des Mädchens erfahren, dass der Verdacht auf Trisomie 21 bestünde. Untersuchungen bestätigen es. Sie selbst habe mindestens zwei Wochen gebraucht, um das zu verarbeiten.
Endgültig kalter Kaffee
Auch wenn in dem kleinen Haus in Pingsdorf kein Tag wie der andere abläuft: Mit Annas Behinderung kann Sabine Hinseln arbeiten. „Ich weiß jeden Morgen, was auf mich zukommt. Anna ist Anna.“ Größere Sorgen macht ihr die größere Tochter Emma, die an Epilepsie leidet und zusätzlich der Verdacht auf Autismus besteht. „Ich habe permanent Angst, dass sie wegen eines Anfalls einfach umfällt“, sagt die Mutter.
„Das kann von einer Sekunde auf die andere passieren.“ Während sie spricht, ertönt von der Treppe ein Wimmern, und sie hastet nach oben. „Festhalten“, ruft sie Emma zu, die mit Schwindel kämpft. Sabine Hinseln eilt zu ihrer Tochter. Ihr Kaffee ist endgültig kalt.
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