Im Nyltest-Hemd unter der DiscokugelSo lebte es sich in Frechen in den 60er-Jahren
Frechen – „Nur tanzen, flotte Platten hören und sich in der Freizeit ein wenig unterhalten. Das suchen die jungen Leute. Sie wollen im Wirtshaus keine teuren Getränke bezahlen und sind mit ihren 16, 17 Jahren auch noch zu jung, um abends zum Tanz zu gehen“, so beschrieb ein unbekannter Chronist im März 1960 in einer Kölner Tageszeitung die Wünsche der Frechener Jugend. Nach seinen Recherchen war sie „ein wenig zornig“ über die fehlenden Möglichkeiten und griff zur Selbsthilfe. Heraus kam dabei der wohl Ende der 50er-Jahre gegründete „Peter-Kraus-Club“, wo man sich einmal wöchentlich nach Herzenslust austoben konnte – so, wie man es sich damals vorstellte.
„Teenager-Ball“ im „Peter-Kraus-Club“ nannte sich das sonntags in einer Frechener Gaststätte abgehaltene Beisammensein. Der Chronist im damaligen Sprachgebrauch: „Das, was früher zuweilen der Jünglingsverein als Tanzbelustigung veranstaltete, tauft man heute treudeutsch »Teenager-Ball« und ahnt, dass wohl hier junge Leute ein wenig die Geselligkeit pflegen.“
Wo genau die Wiege dieses Jugendtreffs stand, ist nicht genau zu belegen. Es gibt Aussagen von Zeitzeugen, die berichten, dass die Gaststätte an der Ecke Hubert-Prott-Straße/Kapfenberger Straße, in der heute ein griechischer Imbiss betrieben wird, die Keimzelle des Clubs war. Bekannt aber ist, dass das Domizil ziemlich bald die Gaststätte „Em Dreieck“ in Bachem wurde, wo sich die Jugendlichen auf der Kegelbahn im Keller trafen. Und es ist auch zu hören, dass der Club sich erst den Sänger Ted Herold auf die Fahne geschrieben hatte, bevor man auf Peter Kraus umschwenkte, der als der deutsche Elvis galt.
Schauen wir zurück in das alte Manuskript: „Die Peter-Kraus-Anhänger fühlen sich schon lange wohl in einem großen Kellerraum der Gaststätte und haben als neue Masche in ihr Programm besagten Ball aufgenommen, den sie jedes Vierteljahr einmal abhalten wollen. Sie tun an sich auf dem Ball nichts anderes als an all den anderen Sonntagen im Jahr, sie unterhalten sich. Nur, das Kind muss einen Namen haben.“
Sie waren Schüler oder Lehrlinge, suchten für das Wochenende Abwechslung. In ihrem Keller trafen sie sich, um zu tanzen, zu diskutieren und Freundschaften zu schließen. Der Chronist ist positiv beeindruckt: „Der erste Eindruck, der einem vom Peter-Kraus-Club mit seinen etwa 50 Mitgliedern zuteil wird, verwischt sich auch nicht im Laufe des Nachmittags. Sie zeigen Benehmen und sind stolz auf ihre Bude. Jungen und Mädel sitzen in dem netten Kellerraum an Tischen und trinken Limonade und Bier. Jede freie Fläche der Wand ist mit Großaufnahmen ihres Idols und anderer Stars ausgenutzt. Die Beleuchtung ist hell und freundlich gehalten und die »Teenager«, durchweg Mitglieder des Clubs, sind sauber und ansprechend gekleidet. Die 14- bis 20-Jährigen halten etwas auf ihr Äußeres. Gewiss, sie ahmen ihre Idole nach und wirken, was die Jungen angeht, zuweilen wie in einer Uniform. Aber moderner Haarschnitt und Blue-Jeans kleiden nicht schlecht.“
Der damals 18-jährige Maurergeselle Hermann Gimborn war der Vorsitzende des Clubs. „Mein Mann wurde respektiert von den Jungs und Mädels“, erzählt Marie-Luise „Marlies“ Gimborn. Sie stammt aus Lövenich und kam mit ihrer Freundin regelmäßig sonntags um 14 Uhr mit dem Bus nach Bachem. „Die Bachemer Jungs hatten bei uns in Lövenich Werbung gemacht, weil sie zu wenig Mädchen hatten“, erinnert sie sich. Mit 15 Jahren hatte sie dort ihren späteren Mann kennengelernt.
Gimborn, der den Klub gemeinsam mit Hans Reinartz gegründet hatte, hielt auch den Kontakt zu Peter Kraus und durfte bei Konzerten mal hinter die Bühne, um das Idol zu begrüßen, was den normalen Clubmitgliedern verwehrt blieb.
Zu den regelmäßigen Gästen im Partykeller gehörte auch der damals 16-jährige Helmut Meller. Er machte in Köln eine Ausbildung zum Rundfunk- und Fernsehtechniker, konnte dem Club auch einen Mikrofonverstärker besorgen, der gebraucht wurde für die Auftritte. Denn es wurde nicht nur nach den Klängen vom Plattenspieler, den „Schallplattenjockey Manfred (19)“ bediente, Rock’n’Roll und andere Modetänze getanzt, es gab neben Quizabenden oder Ausflügen auch kleine Konzerte. „Damit das Ganze atmosphärisch besser rüber kam, haben wir die Birnen der Kellerlampen bunt angepinselt, später kam auch noch eine Discokugel und Schwarzlicht dazu“, erzählt Meller. Das ließ die damals modernen Nyltest-Hemden erstrahlen.
„Du musst alles vergessen, Amigo“
Auf einem alten Foto in der Zeitung sieht man Meller an der Gitarre. Zusammen mit dem Gitarristen Hans Linke begleiten sie den 17-jährigen Schmied Peter Alstädten, der einen Song von Peter Kraus anstimmt. Dazu der Chronist aus dem Jahre 1960: „Peter tritt mit der Hausband, den »Little Boys«, auf. Das Licht verlöscht, nur Peter ist matt beleuchtet. Breitbeinig, ein wenig mit den Hüften wackelnd und mit vorgeschobenen Fäusten singt er »Du musst alles vergessen, Amigo« und versucht, es seinem Vorbild Peter Kraus gleich zu tun. Seine Stimme ist heiser, und er ist lange nicht so gut wie sein Vorbild. Aber das stört seine Kameraden nicht.“ Der junge Mann hat später das Singen gelassen und widmete sich mehr dem Boxsport.
Marlies Gimborn erinnert sich gern an den Club und die Zeit damals mit ihrem Mann, der vor zwei Jahren gestorben ist. „Wir waren wie eine Familie. Wir machten Ausflüge und Schiffstouren, besuchten zusammen die anderen Fan-Clubs, die auch zu uns nach Bachem kamen. Ein Treffen mit Peter Kraus wurde damals leider kurzfristig abgesagt.“ Es ging zu Rock’n’Roll-Tanzwettbewerben, bei denen sie mit Hans Gimborn vordere Plätze belegte. „Dabei konnte ich gar nicht tanzen, ich hab das erst im Club gelernt“, sagt sie schmunzelnd.
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Für Helmut Meller war der Peter-Kraus-Club auch der Start in die musikalische Karriere. Und er spielte im Bachemer Grachtenhof, dem damaligen Stammsitz des Elvis-Presley-Clubs. „Mein Vater wollte nicht, dass ich dahin ging. Da waren viele Kölner, und es gab oft Schlägereien.“ Helmut Meller gründete zusammen mit Hans Linke die Beat-Band „Charly and his Explorer“, der als Schlagzeuger der Berrenrather Hans „Frank“ Barani angehörte.
Nach dem Sieg bei einem Talentwettbewerb in Kerpen gewannen sie 1964 beim Auftritt in der Kölner Sporthalle ebenfalls einen vorderen Platz und einen Plattenvertrag mit der Ariola. Da war der Peter-Kraus-Klub schon ein Jahr Geschichte, und Marlies Gimborn heiratete ihren Hermann.