Martin B. soll zwei Frauen mit Rattengift getötet haben. Der Prozess geht dem Ende entgegen. Das mögliche Motiv? Rätselhaft.
Hürther KrankenpflegerWarum der Prozess um zwei mutmaßliche Morde mit Thallium so verworren ist
Seit neun Monaten sitzt ein Krankenpfleger aus Hürth wegen mutmaßlichem zweifachen Mordes und eines Mordversuches vor Gericht. Sein Motiv ist bis heute rätselhaft, die Beweislage scheint eindeutig, er leugnet bis zuletzt. Der Prozess ist auf der Zielgeraden. Der Staatsanwalt hat für Martin B. (42) lebenslange Haft, besondere Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung beantragt. Danach wurde wieder in die Beweisaufnahme eingetreten.
Martin B. bleibt an 32 Verhandlungstagen selbstbewusst
Ein Rückblick. Selbstbewusst betritt Martin B. im September 2022 den Saal. Daran wird sich auch an den kommenden 32 Verhandlungstagen nichts ändern. Zwei Menschen aus seiner unmittelbaren Umgebung sind tot, seine schwangere Freundin zu dem Zeitpunkt noch in Lebensgefahr – alle hatten Thallium im Blut.
Doch Martin B. hält die Anklagevorwürfe – zweifacher Mord, ein Mordversuch, ein versuchter Schwangerschaftsabbruch – für „surreal“. Dass er seine Ehefrau Britta laut Anklage „planmäßig“ mit dem Rattengift getötet haben soll und seine schwangere Freundin und deren Großmutter heimtückisch vergiftete, sei „völlig absurd, ja verrückt“.
Auf seinem Rechner hatten Ermittler die Rechnung von 25 Gramm Thallium sicher gestellt, vier Wochen vor dem Tod der Ehefrau war es an seinen Arbeitgeber, ein Krankenhaus, geliefert worden.Im Hausflur hing seine Jacke, in der Jackentasche befand sich eine Spritze mit Kaliumchlorid.
Die Verteidigung kämpft mit allen Mitteln gegen eine Verurteilung
Belastende Indizien auf der einen, ein inzwischen schweigender Angeklagter auf der anderen Seite und vor allem die Frage nach einem Motiv machen die Beweisführung für das Gericht schwierig.
Die Verteidigung kämpft mit allen Mitteln. Auch mit Blick auf eine mögliche Revision im Fall einer Verurteilung werden Beweisanträge gestellt, die auf den ersten Blick wenig zur Sachaufklärung beitragen. Mal verlangen sie den Austausch einer ehrenamtlichen, angeblich gelangweilten Schöffin, dann sollen die sterblichen Überreste von zwei Zwerghasen ausgebuddelt werden: „Unerheblich für das Verfahren“, entscheidet das Gericht.
Ob Freunde, Nachbarn, Kollegen – sie alle sind sich einig, sprechen im Zeugenstand nur positiv von Martin B. Die Rede ist vom „liebevollen Ehemann“, „fürsorglichen Partner“, „hilfsbereiten Nachbarn“, er wird als „sympathisch, zuvorkommend, hilfsbereit, kollegial“ bezeichnet. Kein böses Wort, auch strafrechtlich ist der Angeklagte ein unbeschriebenes Blatt.
Gutachter berichtet von „dunkler Seite“ des Angeklagten
Das Bild bekommt Risse, als Experten zu Wort kommen. Entscheidender Zeuge ist ein Psychiater. Der Gutachter spricht von der „dunklen Seite“ des Angeklagten, ergänzt: „Geprägt von einer rücksichtslosen und sadistischen Seite“ habe B. in „voller Schuldfähigkeit und Verantwortung gehandelt“.
Allerdings setzt der Psychiater den entscheidenden Satz hinzu, den Juristen klären müssen: „unter der Voraussetzung, die Anklagevorwürfe erweisen sich als wahr“. Der Gutachter hält B. für „voll schuldfähig“, mehr noch, er sieht „Wiederholungsgefahr“. Es droht somit bei einer Verurteilung nicht nur lebenslange Haft, die in der Regel nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wird, sondern Sicherungsverwahrung. Damit würde Martin B. wohl nie mehr einen Fuß in Freiheit setzen.
Martin B. wählt verzweifelt die Flucht nach vorn
Die Situation wird nun ernst für Martin B., er wählt die Flucht nach vorn. Aus der Haft schreibt er seiner Mutter und der Ex-Freundin einen Brief: „Ich habe in meinem Leben Fehler gemacht, aber ich habe nie jemanden ermordet, ich bin kein Monster.“
Als Martin B. registriert, dass seine Bekundungen ihre Wirkung verfehlen und eine Verurteilung wegen Mordes immer wahrscheinlicher wird, setzt er noch einen drauf: Auf 65 DIN-A-4-Seiten breitet er am 26. Verhandlungstag eine groß angelegte Unschuldsthese aus, die bei den Opferfamilien „unglaubliche Fassungslosigkeit“ hervorruft.
Nicht Mord, sondern Selbstmord und ein Unfall hätten zum Tod der Frauen geführt. Seine Ehefrau habe ihn angefleht, ihr heimlich Thallium zu besorgen, weil sie angeblich aus „Angst vor einem Siechtum als Pflegefall“ nicht mehr leben wollte. Britta L., eine allseits beliebte Gymnasiallehrerin und aktive Sportlerin, litt unter einer Histaminunverträglichkeit. Die Idee, sich mit Rattengift zu verabschieden, habe sie – so Martin B. – „aus einem Kriminalroman“.
Die zweite These des Krankenpflegers: Die Ex-Freundin und deren Großmutter hätten sich unfreiwillig mit Thallium infiziert, weil er im Haus der Seniorin Rattengift gefunden hatte, das gegen Ungeziefer eingesetzt worden sei. Die neuen Behauptungen sollen mit Beweisanträgen belegt werden – das Gegenteil ist der Fall. Theoretisch könnte jetzt das Urteil verkündet werden.