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Fachkräfte müssen kein Mangel seinHürther Unternehmen bietet doppelte Qualifikation

Lesezeit 4 Minuten

Im Technikum übt Azubi Sven Breuer mit Ausbildungsleiter Dirk Borkenhagen für den Einsatz an den großen Chemieanlagen.

Hürth – Nach der Realschule eine Ausbildung beginnen oder weiter zur Schule gehen und das Fachabitur oder Abitur machen? Sven Breuer hat sich entschieden: Er macht einfach beides. Nach dem Abschluss an der Elisabeth-von-Thüringen-Realschule in Brühl vor zwei Jahren begann der heute 18-jährige Hürther eine Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik bei Yncoris im Chemiepark Knapsack. Gleichzeitig büffelt er an der Rhein-Erft-Akademie für die Fachhochschulreife, muss dafür den Chemiepark nicht mal verlassen – und hält sich alle Optionen auf ein späteres Studium an der Fachhochschule offen.

„Der gesellschaftliche Druck, das Abitur zu machen, ist heute sehr groß“, sagt Dirk Borkenhagen, Ausbildungsleiter bei Yncoris. „Viele denken, dass sie ohne Abi nichts werden können.“ Gleichzeitig herrscht besonders in den Ausbildungsberufen ein Fachkräftemangel. Dass es für Berufseinsteiger mit Realschulabschluss die Möglichkeit gibt, neben der Ausbildung auch die Fachhochschulreife zu erwerben, sei zu wenig bekannt. Die „Doppelqualifikation“ biete viele Vorteile. Azubis fänden einen schnellen, praxisorientierten Einstieg ins Berufsleben, und der Arbeitgeber könne engagierte Nachwuchskräfte gewinnen.

Zusatzunterricht

„Wir haben das große Glück, die Rhein-Erft-Akademie auf dem Werksgelände zu haben“, berichtet Borkenhagen. Das erspart es Berufseinsteigern, die berufsbegleitend einen höheren Schulabschluss machen wollen, abends noch mal anderswo zum Berufskolleg zu fahren und die Schulbank zu drücken.

Während der mehrwöchigen Berufsschulblöcke an der Rhein-Erft-Akademie, die Teil der dualen Ausbildung sind, hängen die Azubis, die die Fachhochschulreife anstreben, an drei Tagen in der Woche nachmittags noch einmal zwei Stunden dran, erklärt Pablo Lopez, Schulleiter des Berufskollegs an der Rhein-Erft-Akademie. Im Zusatzunterricht werden Deutsch, Englisch und Mathematik vertieft. Nach drei Jahren wird die Prüfung zum Fachabitur abgelegt. Insgesamt dauert die Berufsausbildung dreieinhalb Jahre.

Für Azubis sei mit der Doppelqualifikation kein Risiko verbunden, sagt Stephan Groß, Maschinenbautechniker und Ausbilder bei Yncoris. Wer die Prüfung zum Fachabitur nicht schaffe, könne trotzdem die Ausbildung noch erfolgreich abschließen. „Das steht dann auch nicht im Lebenslauf“, erklärt Groß. Allerdings ergänzt Ausbildungsleiter Borkenhagen: „Es ist hier noch nicht vorgekommen, dass jemand durchfällt.“

Später dann ein Studium

Seit 2014 haben 39 Azubis, die bei Yncoris eine technische Ausbildung zum Elektroniker, Industriemechaniker oder Mechatroniker gemacht haben, parallel die Fachhochschulreife erworben. „Drei von ihnen haben anschließend an der Fachhochschule Elektrotechnik studiert“, sagt Borkenhagen. „Alle drei sind noch hier. Das ist eine echte Erfolgsstory.“

Sven Breuer wird im nächsten Jahr mit vier weiteren Yncoris-Azubis seine schulische Prüfung ablegen. Seine berufliche Zukunft sieht er bei Yncoris. Nach der Ausbildung will er berufsbegleitend ein duales Studium aufnehmen. Die Berufswahl hat er gut vorbereitet. „Ich habe ein Praktikum bei Yncoris und eins beim Finanzamt gemacht“, sagt der Azubi. „Den ganzen Tag im Büro zu sitzen, das ist aber nichts für mich.“ Der Mehraufwand für die Fachhochschulreife sei machbar. Am liebsten aber ist der Praktiker mit dem Schraubenzieher unterwegs, montiert und wartet Schaltschränke und sorgt mit dafür, dass die Anlagen laufen. „Was er hier im Technikum an der Rhein-Erft-Akademie im Puppenstubenformat gelernt hat, kann er dann gleich nebenan im Chemiepark in der großen Anlage anwenden“, sagt sein Ausbilder Stephan Groß.

Auch Carsten Berg, Leiter Ausbildung operativ bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Köln, wirbt für das Modell. „Die Doppelqualifikation ist für alle Realschüler sehr interessant, die nach der Mittleren Reife erst einmal auf eigenen Beinen stehen und ins Berufsleben einsteigen wollen, sich gleichzeitig aber die Möglichkeit zum Fachhochschulstudium offenhalten wollen“, so Berg. Wer nach der Ausbildung noch studieren wolle, könne seinem Betrieb häufig noch als Mitarbeitender oder Werksstudierender verbunden bleiben.

Grundsätzlich bricht Berg eine Lanze für die Ausbildung: „Der Weg über Gymnasium und Universität ist nicht für jeden der ideale Weg zum beruflichen Erfolg – insbesondere wegen des fehlenden Praxisbezugs.“ Eine Ausbildung könne „Sprungbrett für die weitere berufliche Entwicklung“ sein. Wer während oder nach der Ausbildung mehr machen wolle, dem böten sich viele Weiterbildungsmöglichkeiten. Berg: „Fachwirtinnen und Fachwirte sowie Meisterinnen und Meister sind dabei übrigens als »Bachelor Professional« den entsprechenden Hochschulabschlüssen gleichgestellt.“

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Für Berufseinsteiger, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, hat die IHK Köln bis zum 1. Juli eine Ausbildungshotline im Internet geschaltet. Mittlerweile würden freie Ausbildungsplätze häufig erst im Verlauf des Sommers gemeldet, so dass es auch für Spätentschlossene noch gute Möglichkeiten gebe. Ausbildungssuchende können zudem an einem der Online-Bewerbertage der IHK Köln teilnehmen. Die nächsten Termine sind am 1., 12. und 28. Juli jeweils von 10 bis 12 Uhr online über die Software Teams. Auch Yncoris im Chemiepark Hürth-Knapsack sucht für das nach den Sommerferien beginnende Ausbildungsjahr noch zwei Auszubildende zum Elektroniker für Automatisierungstechnik und zum Industriemechaniker.