In den neun Monaten nach Eröffnung des Verfahrens hielt der Prozess um zweifachen Mord und einen Mordversuch einige Überraschungen bereit.
Giftprozess in KölnErmittler übersehen Thallium auf Küchenschrank des Hürther Angeklagten
Eine Küche, ein Hängeschrank, ganz hinten links: Dort lag seit mehr als einem Jahr ein Karton mit brisantem Inhalt. Laut Aufschrift war es eine Verpackung für eine 200 Watt Glühbirne, tatsächlich hielt sich darin eine weiße Dose ohne Aufschrift versteckt, gefüllt mit wenigen Gramm eines weißen Pulvers – es war Thallium. Das hat die Polizei jetzt eingeräumt. Die Dose hatten die Ermittler bei der Wohnungsdurchsuchung im November 2021 offensichtlich übersehen.
Gefunden wurde das Gift nämlich erst jetzt, acht Monate nach Prozessauftakt gegen Martin B. (42), dem zweifacher Mord und ein Mordversuch mit Thallium vorgeworfen wird. Und zwar nicht von der Polizei, sondern vom Stiefvater eines der Opfer, in der Wohnung der Großmutter seiner Freundin. Dort lebte der 42-Jährige mit ihr nach dem Tod der alten Dame.
Laut Anklage soll B. seine Ehefrau, seine schwangere Freundin und deren Großmutter mit Thallium vergiftet haben. Die Ehefrau und die Seniorin hatten den Giftanschlag nicht überlebt.
Angeklagter hatte behauptet, er habe bei seiner Ehefrau Sterbehilfe geleistet
Der Angeklagte hatte am letzten Verhandlungstag vor der mehrwöchigen Pause mit einem 65 Seiten handgeschriebenen Traktat ausführlich seine Unschuld dargelegt und darin erklärt, bei seiner Ehefrau habe er auf deren inständiges Bitten Sterbehilfe geleistet, weil sie Folgeerkrankungen ihrer Histamin- und Laktoseunverträglichkeit fürchtete und deshalb lieber „in Würde aus dem Leben scheiden wolle“. Folglich habe er „aus Liebe“ ihr das verlangte Thallium besorgt.
Im zweiten Fall spricht er sinngemäß von einer Verkettung unglücklicher Umstände. Angeblich habe er im Haus der Großmutter beim Ausmisten der Immobilie nach dem Tod der Seniorin mehrfach in Dosen und Behältnissen „weißes Zeug“ gefunden, ohne zu wissen, worum es sich dabei gehandelt habe. Unter anderem verweist er eben auf jenes Behältnis auf dem Küchenschrank, das er genau untersucht habe, deshalb auch seine Fingerabdrücke darauf zu finden sind.
Verteidiger kündigen „ergänzende Angaben“ ihres Mandanten an
„Der DNA-Abgleich war positiv, konnte dem Angeklagten zugeordnet werden“, bestätigte am Mittwoch Jens Müller, der Leiter der Mordkommission, im Zeugenstand. Warum das Gift von den Ermittlern übersehen wurde, darauf antwortete er mit einem Schulterzucken: „Man hätte es finden können“. Eine chemisch toxikologische Untersuchung des Giftes beim LKA hatte ergeben, dass es sich bei dem mutmaßlich von B. benutzten Thallium und dem nun gefundenen Gift um die identische Zusammensetzung handelt.
Die Verteidigung hat für den nächsten Verhandlungstag am 15. Juni „ergänzende Angaben“ ihres Mandanten angekündigt.