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Kölner LandgerichtDas sind die Hauptakteure im spektakulären Prozess um die Hürther Giftmorde

Lesezeit 5 Minuten
Der Angeklagte steht zwischen seinen Anwälten Mutlu Günal und Martin Bücher.

Der Angeklagte (M) steht zwischen seinen Anwälten Mutlu Günal (l) und Martin Bücher (r).

Ursprünglich sollte der Prozess gegen einen 42-jährigen Krankenpfleger längst vorbei sein. Warum auch nach einem Dreivierteljahr kein Ende in Sicht ist.

Es ist einer der wohl ungewöhnlichsten Kriminalfälle. Nach mehr als acht Monaten vor dem Kölner Landgericht befindet er sich nach einer mehrwöchigen Unterbrechung möglicherweise auf der Zielgeraden: Im Rattengift-Fall ist nach Überzeugung der Kammer alles gesagt, die Beweisaufnahme könnte geschlossen werden. Doch damit hat das Gericht die Rechnung ohne die Verteidigung gemacht, die von Prozessbeginn an Zweifel an der Anklageschrift hegte, daher einen Freispruch des angeklagten Hürthers ins Visier nahm. Immer neue Beweisanträge legten die Verteidiger vor. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Der Angeklagte

Als Martin B. (42, alle Namen geändert) im September 2022 den Saal betritt, ist seine Miene unergründlich, seine Haltung selbstbewusst und aufrecht. Daran wird sich auch an den kommenden 26 Verhandlungstagen nichts ändern. Zwei Menschen aus seiner unmittelbaren Umgebung sind tot, seine schwangere Freundin zu dem Zeitpunkt noch in Lebensgefahr – alle hatten Thallium im Blut.

Doch Martin B. hält die Anklagevorwürfe – zweifacher Mord, ein Mordversuch, ein versuchter Schwangerschaftsabbruch – für „surreal“ und bezeichnet sich als unschuldig. Dass er seine Ehefrau Britta „planmäßig“ mit dem Rattengift getötet haben soll und mit ebensolcher „gefühlloser Gesinnung“ nach Überzeugung der Anklage seine schwangere Freundin und deren Großmutter heimtückisch vergiftete, bezeichnet der gelernte Krankenpfleger und Hygienefachwirt aus Hürth als „völlig absurd, ja verrückt“.

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Die Ermittler

Auf seinem Rechner hatten sie die Rechnung von 25 Gramm Thallium sichergestellt. Vier Wochen vor dem Tod der Ehefrau war es an seinen Arbeitgeber, ein Krankenhaus, geliefert worden.

Im Hausflur hing seine Jacke, in der Jackentasche befand sich eine Spritze mit Kaliumchlorid.

Belastende Indizien auf der einen Seite, ein inzwischen schweigender, gleichwohl von seiner Unschuldsthese überzeugter Angeklagter auf der anderen und vor allem die Frage nach einem Motiv machen die Beweisführung für das Gericht mehr als schwierig.

Die Verteidiger

Martin Bs. Anwälte kämpfen mit allen Mitteln. Auch mit Blick auf eine mögliche Revision im Fall einer Verurteilung werden Beweisanträge gestellt, die auf den ersten Blick nur wenig zur Sachaufklärung beitragen. Mal soll eine ehrenamtliche Schöffin ausgetauscht werden, weil sie angeblich gelangweilt und voreingenommen dem Verfahren folgt, dann sollen die sterblichen Überreste von zwei Zwerghasen ausgebuddelt werden, die möglicherweise vor mehr als zehn Jahren von ihrem Mandanten mit Thallium vergiftet wurden: Doch sämtliche Beweisanträge werden abgeschmettert, „für das Verfahren nicht erheblich“, entscheidet die Kammer.

Die Zeugen

Ob Verwandte, Freunde, Nachbarn, Bekannte, Kollegen – sie alle sind sich einig, sprechen im Zeugenstand ausschließlich positiv von Martin B. Vom „liebevollen Ehemann“ ist die Rede, „fürsorglichen Partner“, „hilfsbereiten Nachbarn“; er wird als „freundlich, nett, sympathisch, zuvorkommend, hilfsbereit, kollegial“ bezeichnet. Auch strafrechtlich ist der Angeklagte ein unbeschriebenes Blatt.

Die Sachverständigen

Das Bild bekommt Risse, als Experten zu Wort kommen. Ein erfahrene Psychiater spricht auf der Grundlage der Akten von der „dunklen Seite“ des Angeklagten, ergänzt: „Geprägt von einer rücksichtslosen und sadistischen Seite“ habe B. in „voller Schuldfähigkeit und Verantwortung gehandelt“.

Allerdings setzt der Psychiater den entscheidenden Satz hinzu: „Unter der Voraussetzung, die Anklagevorwürfe erweisen sich als wahr.“

Die mögliche Strafe

Der Gutachter hält B. für „voll schuldfähig“, mehr noch, er sieht „Wiederholungsgefahr“. Es droht somit bei einer Verurteilung nicht nur lebenslange Haft, die in der Regel nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wird, sondern Sicherungsverwahrung. Damit würde Martin B. wohl nie mehr einen Fuß in Freiheit setzen.

Die Wendung

Martin B. wählt nach zwei Dritteln der Verhandlungstage die Flucht nach vorn. Aus der Haft schreibt er seiner Mutter und der Ex-Freundin einen Brief, beteuert darin seine Unschuld: „Ich habe in meinem Leben Fehler gemacht, aber ich habe nie jemanden ermordet, ich bin kein Monster.“

Als der 42-Jährige registriert, dass seine mantraartigen Bekundungen ihre Wirkung verfehlen und eine Verurteilung wegen Mordes immer wahrscheinlicher wird, zieht er weitere Register: Auf 65 handgeschriebenen Din-A-4-Seiten trägt er am 26. Verhandlungstag mit stoischer Gelassenheit seine Unschuldsthese, die bei den Angehörigen der Opfer wie bei deren Anwälten „unglaubliche Fassungslosigkeit“ hervorruft.

Das Foto zeigt eine behandschuhte Hand, die eine Flasche mit Rattengift aus Thallium hält.

Eine Flasche mit Rattengift aus Thallium.

Nicht Mord, sondern Selbstmord und ein Unfall hätten zum Tod der Frauen geführt. Seine Frau Britta (Name geändert) habe ihn angefleht, ihr heimlich Thallium zu besorgen, weil sie angeblich aus „Angst vor einem jahrelangen Leiden und Siechtum als Pflegefall“ sich zum Suizid entschlossen hatte. Britta L., eine allseits beliebte Gymnasiallehrerin und aktive Sportlerin, litt unter einer Laktose- und Histaminintoleranz. Die Idee, sich mit Rattengift zu verabschieden, habe sie – so Martin B. - „einem Kriminalroman“ entnommen.

Genauso absurd klingt nach Überzeugung der Anklage die zweite These des Krankenpflegers: Die Ex-Freundin und deren Großmutter hätten sich unfreiwillig mit Thallium infiziert, weil er im Haus der Seniorin Rattengift gefunden hatte, das wohl gegen Ungeziefer eingesetzt worden sei. Beim Ausmisten habe er „im Keller, in der Küche“ Verpackungen, Schachteln, Dosen mit der Aufschrift „Gefahrengut“ entdeckt, diese auch genauer untersucht. Und vorsorglich darauf hingewiesen, dass seine Fingerabdrücke auf den möglichen Beweismitteln sind. Die Polizei hat bei der Wohnungsdurchsuchung nicht davon gefunden.

Ein Gespräch mit dem Seelsorger in der Justizvollzugsanstalt habe Martin B. veranlasst, erst jetzt seine Version der Wahrheit preiszugeben.

Der Ausblick

Durchaus möglich, dass jetzt der nächste Beweisantrag der Verteidiger auf dem Tisch liegt – um eben jenen Seelsorger im Zeugenstand zu hören. Der Prozess gegen Martin B. wird am Mittwoch, 14. Juni, um 14 Uhr vor dem Kölner Landgericht fortgesetzt.