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PogromGedenkfeiern in Königswinter und Bad Honnef warnen vor zunehmendem Antisemitismus

Lesezeit 3 Minuten
Zahlreiche Menschen stehen auf der unteren Kirchstraße in Bad Honnef, wo sich die Synagogen-Gedenktafel befindet.

Mehr Menschen als in den Vorjahren nahmen an der Gedenkfeier an der Synagogen-Tafel in Bad Honnef teil.

In beiden Siebengebirgsstädten fanden 85 Jahre nach der Reichspogromnacht Gedenkfeiern statt.

Königswinters Bürgermeister Lutz Wagner machte bei seiner Ansprache im Siebengebirgsmuseum deutlich, wie schwer es ihm gefallen sei, angesichts der Ereignisse in Israel und dem Gazastreifen die richtigen Worte zu finden für ein Gedenken an den 9. November 1938.

Vor 85 Jahren – in der Nacht vom 9. auf den 10. November – markierte das Pogrom den Anfang der Judenverfolgung in Deutschland, Synagogen und jüdische Einrichtungen brannten, Menschen wurden gedemütigt, misshandelt, verhaftet oder getötet und Geschäfte und Wohnungen demoliert und zerstört.

Auch in Königswinter tobte sich 1938 der Mob aus

„Wir dürfen nicht nachlassen, daran zu erinnern“, mahnte Lutz Wagner, „und wir müssen uns fragen, ob wir genügend tun, wenn Jüdinnen und Juden angegriffen werden.“

Laut dem Bundeskriminalamt seien in Deutschland seit Oktober 2023 mehr als 2600 Straftaten im Zusammenhang mit Antisemitismus verzeichnet, eine erschreckende Zahl und ein großes Problem für diejenigen, die demokratische Werte leben wollen.

Zwei Schüler stehen an Mikrofonen im Foyer des Siebengebirgsmuseums; unter den Zuhörern ist Bürgermeister Lutz Wagner.

Im Siebengebirgsmuseum fand die Gedenkfeier der Stadt Königswinter statt, die von Schülern gestaltet wurde.

Er dankte allen, die die Erinnerungen wachhalten und machte deutlich, dass sich vor 85 Jahren der Mob auch in Königswinter austoben konnte. Wagner schloss mit „Shalom“, was nicht nur Frieden, sondern auch Toleranz und Respekt heißt.

Musikalisch wurde die Veranstaltung von Johanna Fante, Violine, und Desar Sulejmani, Klavier, begleitet, die neben Hebräischen Volksliedern, Stücke von Friedrich Gernsheim und Felix Mendelssohn-Bartholdy darboten.

„Heimat und der Verlust von Heimat, was bedeutet das?“ Dieser Frage waren vier Schülerinnen und Schüler der Theater-AG des Gymnasiums am Oelberg nachgegangen und erinnerten in ihren Vorträgen an rheinische Dichterinnen und Dichter wie Else Lasker-Schüler, Hilde Domin, Ernst Bloch und Heinrich Heine. Intensiv hatten sich Cenk, Ida, Moritz und Carina mit den Texten auseinandergesetzt und rezitierten diese eindrucksvoll.

Mehr Menschen als in den Vorjahren bei der Gedenkfeier in Bad Honnef

Der Terrorangriff der Hamas auf Juden in Israel und dessen Folgen waren nach Einschätzung von Bürgermeister Otto Neuhoff wohl der Grund, dass zur Bad Honnefer Gedenkfeier an der Synagogentafel in der unteren Kirchstraße mehr Menschen kamen als in den Jahren zuvor.

„Wir setzen uns ohne Wenn und Aber gegen Antisemitismus ein“, betonte das Stadtoberhaupt und gab sich fassungslos angesichts des wachsenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft.

Schülerinnen und Schüler von Schloss Hagerhof, der Gesamtschule St. Josef und des Siebengebirgsgymnasiums gestalteten die Stunde mit, indem sie beispielsweise an berühmte Persönlichkeiten jüdischen Glaubens aus Musik, Literatur, Wissenschaft oder Politik erinnerten, das Gedicht „Diese Toten“ von Erich Fried vortrugen oder zu antisemitischen Angriffen auf jüdische Menschen und Einrichtungen der vergangenen Jahre recherchiert hatten.

Es gibt keinen Zweifel: Der Antisemitismus ist zurück.
Rolf D. Cremer, Vorsitzender des Vereins „Jüdische Vergangenheit und Gegenwart in Bad Honnef"

„Es gibt keinen Zweifel: Der Antisemitismus ist zurück und mit ihm auch eine verächtliche und korrosive Haltung zu unserer Demokratie“, sagte Rolf D. Cremer, der Vorsitzende des Vereins „Jüdische Vergangenheit und Gegenwart in Bad Honnef“.

Darin zog er einen Bogen zur Gegenwart und wies auf Artikel 1 des Grundgesetzes hin: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Man müsse aus der Vergangenheit „für die konkrete Gestaltung eines Lebens in Freiheit und Würde lernen“.

Mehre junge Frauen spielen Querflöten.

Schüler der Musikschule Bad Honnef wirkten an der Gedenkfeier auf der Kirchstraße mit.

Cremer erinnerte beispielhaft an das Schicksal der Familie Levy, die unweit der Bad Honnefer Synagoge, die am 10. November 1938 vollständig niederbrannte, einen Pferdehandel betrieben habe. Und die ab 1939 erst in eine Sammelunterkunft, 1941 in das Barackenlager nach Much und 1942 in den Osten deportiert wurde.

Cremers Onkel, der mit Sohn Erich Levy befreundet war, berichtete 2005 in der Honnefer Volkszeitung über die brennende Synagoge: „Das Haus stand lichterloh in Flammen, daneben stand die Feuerwehr und tat nichts. Als das Türmchen der Synagoge schließlich einstürzte, klatschte die Menge.“

Rolf D. Cremer: „Die Geschichte Erich Levys ist eine der schrittweisen Ausgrenzung, dann gewaltsamen Entwurzelung und schließlich der Verschleppung und Ermordung eines Honnefer Kindes.“