Prozessauftakt in BonnMutter soll Säugling geschlagen und geschüttelt haben
Bonn – Die junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz kam am Freitag nicht alleine in den Gerichtssaal im Bonner Landgericht: Sigried Aretz, ihre Verteidigerin, nahm die 27-Jährige schützend an die Hand und führte sie zur Anklagebank – ihr weinendes Gesicht vor den Blicken der Kameras durch einen blauen Aktendeckel geschützt.
Der jungen Mutter von drei Kindern wird eine erschreckende Tat vorgeworfen: Im Februar 2019 soll die Angeklagte ihre neugeborene Tochter – gerade zwei Wochen alt – misshandelt haben, laut Anklage zunächst mit einem „stumpfen Werkzeug“, später durch extremes Schütteln, das zum Hirntrauma geführt hat.
Bonn: Hirnschäden vermutlich irreparabel
Die Verletzungen des Kindes waren so massiv, so die Staatsanwältin, dass die Schäden möglicherweise irreparabel sind. Der strafrechtliche Vorwurf: gefährliche und schwere Körperverletzung sowie Misshandlung einer Schutzbefohlenen.
Die Angeklagte werde am ersten Prozesstag nicht sprechen: Dazu, so Aretz, sei sie nicht in der Lage. Aber gemeinsam mit der Verteidigerin hatte sie über Wochen eine ausführliche Einlassung vorbereitet, die Aretz am Freitag in ihrem Namen vortrug: „Ich habe schlimme Schuld auf mich geladen“, heißt es gleich zu Beginn. Sie allein sei verantwortlich für die schweren Verletzungen, die sie ihrem Kind angetan habe; auch dass sie ihr Leben zerstört habe. „Ich wünschte, ich könnte all das ungeschehen machen. Ich fühle einen tiefen Schmerz.“
Mutter sei Kind entglitten und auf Tischplatte und Boden gefallen
Die detaillierten Erinnerungen der Angeklagten geben den Blick frei in einen tagelangen Alptraum: Ungeschönt schildert die alleinerziehende Mutter die fünf Tage, die sie völlig überfordert alleine mit dem Kind, ihrem anderthalb Jahre alten Sohn und zwei Hunden verbrachte. Wie das Schreien der Kinder, ihre rasenden Kopfschmerzen, der Schlafentzug, das Zuviel an Medikamenten, die nicht mehr wirkten, die dröhnende Geräuschkulisse sie langsam in den Wahnsinn trieben.
Vor der endgültigen Eskalation sei ein Unglück geschehen: Als sie von einem kurzen Schlaf mit dem Kind im Arm vom Sofa aufstand, sei ihr schwarz vor Augen geworden. Dabei sei ihr das Neugeborene entglitten, mit dem Kopf auf eine Tischplatte und dann auf den Boden gefallen. Von da an, so die 27-Jährige, habe es nur noch geschrien. Auf die Idee, dass ihre Tochter schwer verletzt war und Schmerzen hatte, sei sie nicht gekommen.
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Am fünften Tag habe sie das Schreien nicht mehr ausgehalten: „Ich habe mein Kind extrem geschüttelt, erst am ganzen Körper, dann noch am linken Arm.“ Erst durch ein Knacken, das sie im Arm des Kindes gehört habe, sei sie „aus dem Wutanfall wieder aufgewacht und in die Realität zurückgekommen“, schildert sie.
Und die sei furchtbar gewesen: Denn ihr Kind wurde auf einmal immer stiller. „Ich wusste, es braucht Hilfe. Aber ich habe noch gezögert, ich wollte nicht meine Kinder verlieren.“ So wie damals, als das Jugendamt ihr ihre erste Tochter – heute neun Jahre alt– weggenommen hatte. „In mir brannte die Hölle.“
Kinderärztin stellte akute Lebensgefahr fest
Am 21. Februar 2019 brachte sie schließlich die jüngste Tochter zur Kinderärztin. Da akute Lebensgefahr bestand, wurde sie umgehend zur Notaufnahme der Uniklinik weitergeschickt. Neben zwei Brüchen in der Schädeldecke diagnostizierten die Mediziner zahlreiche Hämatome sowie Brüche der Schienbeine und des linken Oberarms. Damals hatte sie gesagt, dass es ein Unfall war: „Ich wollte nicht erzählen, dass ich komplett überfordert war.“
Die Kinder sind mittlerweile in der Obhut des Jugendamtes. „Ich vermisse sie sehr“, so die 27-Jährige. Ein Urteil wird Anfang September erwartet.