Sind die Positionen gegen die AfD doch nur bloße Lippenbekenntnisse und wie AfD-fern sind die Studentenverbindungen in Bonn wirklich?
Nach Staufia-VerbotBonner Studentenverbindungen und die AfD – Abgründe schockieren
Die KDStV Staufia Bonn hat mit ihrer offenen Unvereinbarkeitserklärung mit der AfD bundesweit für Wirbel gesorgt. Werden Studentenverbindungen oft als konservativ, rechtsradikal und frauenfeindlich eingestuft, setzte die Bonner Verbindung im Februar 2024 ein deutliches Zeichen gegen die AfD und jede Art von Rechtsradikalismus.
Auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ distanzierten sich auch viele andere Bonner Studentenverbindungen von der AfD – auch wenn die meisten selbst auf eine Unvereinbarkeitserklärung verzichten wollten. Ein AfD-Verbot wolle man seinen Mitgliedern nicht erteilen, doch die Verbindungen gaben sich weltoffen und betonten ihre katholischen Grundwerte. Mit der AfD wolle man nichts zu tun haben, so der Grundtenor.
Distanzierung von der AfD nur als Lippenbekenntnis? Tiefe Abgründe bei Studentenverbindungen
Alles nur Lippenbekenntnisse? Passt man sich nur dem öffentlichen Grundkonsens gegen die AfD an? Schließlich hat sich bei den Großdemonstrationen gegen Rechtsradikalismus klar gezeigt, wie die bürgerliche Mitte zur AfD steht. Sind die Studentenverbindungen jetzt bloß auf diesen Zug aufgesprungen?
Nicht unbedingt. Vermutlich sind einige Bonner Studentenverbindungen tatsächlich so demokratisch und weltoffen, wie sie sich im Zusammenhang mit dem AfD-Verbot nun geäußert haben. Doch die Zahl der Verbindungen in Bonn ist hoch – und die Abgründe im Zusammenhang mit rechtsradikalen Tendenzen leider tief.
Cartellverband katholischer deutscher Studentenverbindungen lehnte AfD-Verbot deutlich ab
Wie ambivalent die Stimmungslage in den Verbindungen selbst sein dürfte, zeigt bereits der Blick auf den Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV), in dem auch die KDStV Staufia Bonn, also die Urheberin der AfD-Unvereinbarkeitserklärung, untergebracht ist.
Ein entsprechender Antrag auf ein AfD-Verbot für ihre Mitglieder sei vom CV auf dem Studententag 2022 deutlich abgewiesen worden, berichtet ein Insider, der unerkannt bleiben möchte, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Lediglich 19 Ja-Stimmen habe der Antrag auf eine Unvereinbarkeitserklärung erhalten, bei 52 Gegenstimmen und 26 Enthaltungen.
Insider über die „Realität“ bei Studentenverbindungen
„Realität ist wohl, dass zwar bei fast allen Verbindungen ‚grundsätzlich‘ radikale politische Parteien abgelehnt werden, dass aber die AfD bei vielen noch immer nicht als ‚radikal‘ angesehen wird“, so die Einschätzung unseres Insiders.
Derzeit liefen zwar bei einigen Verbindungen Bestrebungen, Unvereinbarkeitsbeschlüsse durchzusetzen, neben der Staufia sei ihm allerdings bislang erst eine einzige weitere Verbindung bekannt, in der es einen derartigen Beschluss gebe. Bei vielen Verbindungen des CV stieße ein Antrag auf Unvereinbarkeit hingegen auf große Widerstände, da offensichtlich zahlreiche Mitglieder auch Mitglied der AfD oder zumindest AfD-affin seien, berichtet unser Insider weiter.
Prominente Namen der AfD und ihre Verbindungen zu Bonner Studentenverbingungen
Unser Insider wies in dem Zusammenhang etwa auf den Theologen und Sozialethiker Wolfgang Ockenfels hin, der zwischen 1968 und 1974 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn studierte und bis heute als Mitglied der KDStV Teutonia im CV sitzt. Ockenfels ist nicht nur zeitgleich AfD-Mitglied, er wurde im März 2018 auch in das Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung berufen.
Und auch ein weiterer prominenter Name der AfD fällt bei einem genaueren Blick auf Bonner Studentenverbingungen, nämlich der von Matthias Helferich, der erst im Februar 2024 in den Landesvorstand der AfD-NRW gewählt wurde. Bei Instagram firmiert Helferich aktuell unter dem Titel „Team #Remigration“. Eine Anspielung auf das umstrittene Potsdamer Treffen, zu dem Helferich bei X (ehemals Twitter) schrieb: „Empörend! Warum war ich nicht eingeladen?“
Der rechtsextreme Politiker schloss sich während seines Studiums in Bonn der Burschenschaft Frankonia an, einer schlagenden Studentenverbindung in Bonn. Seine AfD-Nähe machte seiner Mitgliedschaft in der Verbindung offenbar keine Probleme. Erst als Helferich im Sommer 2021 mit einer NS-Äußerung extrem in die Kritik geriet, wurde er von der Frankonia ausgeschlossen.
Zum Ausschlussverfahren wollten sich weder Matthias Helferich noch die Bonner Burschenschaft Frankonia äußern. Die Frankonia betonte auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ unterdessen, dass man „die zunehmende Polarisierung unserer Gesellschaft und das Erstarken extremistischer Stimmen an den politischen Rändern“ mit Sorge betrachte.
AStA Bonn betrachtet bloße Lippenbekenntnisse von Studentenverbindungen als „wertlos“
Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) Bonn begrüßt unterdessen, dass sich einzelne Bonner Stuendenverbindungen von der AfD distanzieren. Das sei „sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung“, erklärte Otis Henkel, Pressesprecher des AStA Bonn gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ – aus seiner Sicht komme er jedoch „viel zu spät“, da rechtsextreme Tendenzen in der AfD seit mindestens zehn Jahren bekannt seien.
Henkel weiter: „Bloße Lippenbekenntnisse von anderen Verbindungen und Burschenschaften zu diesem Thema sind natürlich wertlos, sofern keine Konsequenzen folgen.“ Das werde schon allein daraus deutlich, dass die Staufia Bonn bislang die einzige Verbindung sei, die eine solche Unvereinbarkeitserklärung mit der AfD veröffentlicht hat.
Frankonia-Mitglied Felix Cassel ist Landesvorsitzender der Jungen Alternative
Zudem macht Henkel auf ein weiteres Mitglied bei der Frankonia Bonn aufmerksam: Felix Cassel. Cassel ist nicht nur stellvertretender Sprecher des AfD-Kreisverband Bonn, der 27-Jährige ist auch Landesvorsitzender der Jungen Alternative NRW.
„Der NRW-Verfassungsschutz hat akribisch geprüft und die Junge Alternative Nordrhein-Westfalen als Verdachtsfall eingestuft“, erklärte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul im Dezember 2023. „Es liegen verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Junge Alternative nicht nach demokratischen Spielregeln spielt, sondern das eigene rechtsextremistische Regelwerk vorzieht. Der NRW-Verfassungsschutz beobachtet daher von jetzt an die Junge Alternative.“
Gegen Cassel laufe zudem ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, nachdem er 2019 mit einem Auto einen Gegendemonstranten angefahren haben soll, berichtet AStA-Pressesprecher Henkel. Für Cassels Mitgliedschaft in der Bonner Frankonia hat all das aber offenbar keine Konsequenzen nach sich gezogen.