Anschlag im Jahr 1989Mann aus Lohmar schießt mit Armbrust auf Ex-Kollegen
- Der Schwurgerichtssaal des Bonner Landgerichts, das 1850 errichtet worden ist, ist saniert worden; er steht unter Denkmalschutz.
- Aus diesem Anlass blickt Dieter Brockschnieder auf spektakuläre Verfahren zurück, die in dem Saal stattgefunden haben. Heute: der Prozess um ein Attentat mit einer Armbrust.
Bonn – Eine Szene wie in einem Edgar-Wallace-Film: Ein Mann betritt eine Kneipe, eine Armbrust in der Hand, ruft einem Gast zu: „Komm raus!“ – und schießt einen Pfeil auf ihn ab. Das Opfer wird schwer verletzt. Der Unterschied zu „Der grüne Bogenschütze“: Die Tat, von der hier die Rede ist, geschah tatsächlich, am 27. Oktober 1989 in einem Lokal in Bonn-Graurheindorf. Dahinter steckt die Geschichte einer großen Wut.
Auf die schiefe Bahn
Stefan M., geboren 1954 in Brühl, war 13 Jahre alt, als sich seine Eltern trennten und die Mutter auszog. Für den Jungen brach eine Welt zusammen. Der Vater schickte ihn in ein Kinderheim bei Trier. Dort schloss Stefan M. die Volksschule ab und begann in dem Heim auch eine Lehre als Bauschlosser.
Weil ihm das keinen Spaß machte, lief er kurz vor der Prüfung weg.
In Köln griff ihn die Polizei auf, das Jugendamt brachte ihn, der noch nicht volljährig war und unter „Fürsorgeerziehung“ stand, in einem Lehrlingsheim in Oberhausen unter. Er fand eine Stelle als „Erster Zugaufschreiber“ im Rangierbetrieb der Bundesbahn, bis er bei einem Unfall zwischen die Puffer zweier Waggons geriet, wobei die rechte Hand zerquetscht wurde. Die Folge: Nach einem halben Jahr im Krankenhaus verlor er den Job. 1971, mit 17, ging er nach Köln und verdingte sich als ungelernter Dachdecker.
„Da bin ich abgesackt“, erzählte M. später. Er trank, hatte den falschen Umgang und rutschte von einem Delikt ins nächste. Hausfriedensbruch, Diebstahl, gefährliche Körperverletzung, Unterschlagung, Trunkenheit am Steuer, Unfallflucht, schwerer Raub – all diese Taten brachten ihn für mehrere Jahre ins Gefängnis.
Nur kurze Zeit ein neues Leben
Nach der vorerst letzten Haftstrafe wegen eines Überfalls auf eine Theaterbar – Beute: 500 Mark – beschloss er, ein neues Leben anzufangen. Er heiratete, wurde Vater zweier Kinder und gründete mit seinem Bruder einen Dachdeckerbetrieb, der anfangs florierte und bis zu 46 Beschäftigte hatte.
In diesen Wochen griff sein Steuerberater in die Kasse und floh mit dem Geld ins Ausland. M. musste den Laden schließen, zudem forderte das Finanzamt 300.000 Mark Steuern, die er nicht zahlen wollte. Also setzte er sich nach Bayern ab, machte sich dort wieder selbstständig, zahlte wieder keine Abgaben und verstieß gegen die Gewerbeordnung, bis ihm das Landratsamt jedes Gewerbe untersagte.
Daran hielt Stefan M. sich nicht. Zurück im Rheinland, eröffnete er im Mai 1984 in Lohmar erneut eine Dachdeckerfirma, doch wieder hatte er die Gewerbeaufsicht im Nacken, diesmal die des Rhein-Sieg-Kreises. Im Juni 1985 schloss auch dieser Betrieb. M. versuchte vergebens sein Glück in Spanien, kehrte zurück, lebte mit seiner Familie von Sozialhilfe und kassierte derweil Strafen wegen Betrugs und Hehlerei. Noch zweimal versuchte er es mit der Selbstständigkeit und scheitere zwei weitere Male nach Verstößen gegen die Gewerbeordnung.
Trotz aller Misserfolge gab M. nicht auf. Er tat sich im Frühjahr 1989 mit einem Bauunternehmer als Kompagnon zusammen, den er zum Gesellschafter und Geschäftsführer seiner neuen GmbH machte, und stellte einen Dachdeckermeister als Betriebsleiter ein. Er selbst arbeitete als angestellter Dachdecker für offiziell acht Mark die Stunde, knapp unterhalb der Pfändungsgrenze, tatsächlich aber erhielt er „schwarz“ 2500 Mark im Monat. Die Geschäfte liefen so gut, dass Stefan M. sich im September 1989 mit seiner Familie einen Spanienurlaub gönnte.
Das Zerwürfnis
Während seiner Ferien klopften erneut Staatsanwaltschaft und Gewerbeaufsicht an, durchschauten schnell, dass der Betrieb ein Strohmanngeschäft war, und schlossen ihn. Der Geschäftsführer und Gesellschafter stieg aus. M. war stinksauer, gab dem Ex-Kompagnon die Schuld an der Pleite. Zudem verdächtigte er ihn, seine Frau anzubaggern.
Seine Wut steigerte sich, als ihm – ebenfalls fälschlich – zugetragen wurde, der Ex-Geschäftsführer und der Dachdeckermeister wollten das Unternehmen ohne ihn weiterführen. M. schwor Rache. Einer Kneipenwirtin zeigte er ein Klappmesser und kündigte an, er werde ihr den Kopf seines Feindes „in den Schoß legen“. Eine ähnliche Drohung hörte der Dachdeckermeister: „Den mache ich platt“ – gemeint war dessen Kollege.
Am 27. Oktober 1989 setzte M. seinen Plan in die Tat um. In einem Waffengeschäft in Köln kaufte er für 542 Mark, die er sich geliehen hatte, eine Armbrust mit Zielfernrohr, vier Pfeilen und 50 Zielscheiben. In einem Wald bei Lohmar probierte er die Fiberglaswaffe mit einem Schuss auf einen Baum aus und fuhr zu der Graurheindorfer Gaststätte, wo er seinen Feind vermutete.
Das könnte Sie auch interessieren:
Er packte die Armbrust, ging zur Mittagszeit über die Straße und betrat das Lokal, die Waffe schussbereit im Arm. „Mach keine Scheiße!“, warnte die Wirtin, als sie den Besucher erblickte. Der sah sich kurz um, erkannte aus dem Augenwinkel den Gegner, der gerade den Toilettenraum verlassen hatte.
„Komm raus!“, rief er ihm zu und hob die Armbrust in Hüfthöhe. Der Andere konnte gerade noch schreien: „Was machst du da?“, als ihn schon der Schuss traf. Der Pfeil, abgefeuert aus etwa 3,30 Metern Entfernung, sauste mit einer Geschwindigkeit von 58 Metern pro Sekunde auf das Opfer zu. Der Pfeil drang zehn Zentimeter in den Bauch ein und durchbohrte den Dünndarm, der Schwerverletzte konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden.
Der Täter flüchtete, warf die Waffe weg und stellte sich am Abend der Polizei, die ihn nach der Vernehmung zunächst entließ. Seine Wut war aber noch nicht verraucht. Am 3. November 1989 rief er betrunken die Bonner Kripo an, fragte nach dem Krankenhaus des Verletzten und sagte, er werde ihn umbringen. Am gleichen Abend stieß er Todesdrohungen („Ich kriege euch“) gegen den Dachdeckermeister aus, der sich aus Angst mit seiner Familie bei einem Pfarrer in Sicherheit brachte. Erst zwei Wochen später wurde gegen Stefan M. Haftbefehl erlassen.
Der Prozess
Das Schwurgericht glaubte ihm nicht, dass er das Opfer nicht habe töten wollen. Der Schuss sei geplant und gezielt abgegeben worden sei, stellte die Kammer unter Vorsitz von Richter Martin Lickfett fest. M. habe „anhaltenden Vernichtungswillen“ gegen den Ex-Geschäftspartner gezeigt. Die für einen Mordversuch sprechenden Merkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe konnten die Richter jedoch nicht feststellen, so dass sie ihn am 13. Juni 1990 nach sechs Verhandlungstagen wegen versuchten Totschlags zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilten. Die vom Angeklagten eingelegte Revision wurde vom Bundesgerichtshof verworfen.