Serienmörder in der RegionHans-Dieter S. brachte 1985 drei Menschen um
- Der denkmalgeschützte Schwurgerichtssaal des Bonner Landgerichts, das 1850 errichtet wurde, ist saniert worden.
- Aus diesem Anlass blicken wir in einer Serie auf spektakuläre Verfahren zurück, die in dem Saal stattgefunden haben. Heute: der Prozess gegen einen Serienmörder.
Bonn – Es war eine einzige Bewegung, die der Frau das Leben kosten sollte. Am Donnerstag, 2. Mai 1985, gegen 21.30 Uhr, stand die Klavierlehrerin Lydia S. in ihrem Gartenhaus, in dem sie seit einigen Jahren zur Untermiete wohnte, und reckte ihre nackten Arme. Zur gleichen Zeit befand sich Hans-Dieter S. auf dem Balkon des Nachbarhauses, schaute zufällig hinüber in Richtung der Wohnung der 25-Jährigen, und sein Blick fiel durch ein Fenster auf die Nachbarin mit den langen blonden Haaren und den unbedeckten Armen. Da war es wieder, dieses Gefühl, das ihn oft überkam, wenn er bestimmte Menschen sah, vor allem blonde. Sie wurden für ihn zu „Objekten“, in deren „Magnetfeld“ er geraten war, die er besitzen wollte. Lydia S. war nun ein solches „Objekt“.
Die Klavierlehrerin
Sie lebte seit Jahren in dem Gartenhaus, das der Mutter ihres späteren Mörders gehörte, und liebte die abgeschiedene Lage am Fuße des Kreuzbergs, die es ihr erlaubte, sich auch noch nachts an ihren Konzertflügel zu setzen und zu üben. Der 29-jährige Hans-Dieter S. entschloss sich nach dem heimlichen Blick durchs Fenster, sie in seine Gewalt zu bringen, sexuell zu missbrauchen und zu töten.
Er wusste, dass er allein war, denn seine Mutter saß mit einem Bekannten in einer Kneipe. Also steckte er ein spitzes Messer ein und klopfte an der Tür der Nachbarin. Als sie öffnete, hielt er ihr gleich den Mund zu und griff zu der Waffe. Im Schlafzimmer vergewaltigte er sein Opfer und erstach es dann. „Hol einen Arzt!“, waren die letzten Worte der jungen Frau.
Nach der Tat verwischte er in der Wohnung die Spuren, packte die Tote in den Kofferraum des Pkw seiner Mutter und legte sie im Kottenforst bei Merten in einer Fichtenschonung ab.
Am nächsten Tag ging der Bürokaufmann wie gewohnt zur Arbeit. In der Nacht zum 5. Mai kehrte er mit einer Handschaufel und einer Säge in den Wald zurück, hob eine Mulde aus, trennte der Leiche den rechten Unterarm ab und warf dann Äste, Laub und Waldboden auf den Körper. Die Säge vergaß er. Es sollte fünf Monate dauern, bis die Tote gefunden wurde.
Die Schülerin
Vier Wochen später, am 30. Mai 1985 gegen 22.30 Uhr, fiel S., der mit dem Auto unterwegs war, in Höhe der „Schwarzen Brücke“, einer Eisenbahnüberführung zwischen den Bonner Stadtteilen Dransdorf und Lessenich, die 16-jährige Schülerin Doris B. auf. Sie hatte ihren Freund besucht und war mit dem Fahrrad auf dem Heimweg.
Das hübsche Mädchen erregte ihn, es sollte sein nächstes „Objekt“ werden. Er schubste die Schülerin vom Fahrrad und trieb sie dann eine Böschung hinunter, wo er sie vergewaltigte. Danach zwang er sein Opfer in den Pkw und fuhr in das Waldstück bei Merten, wo er vor fast einem Monat Lydia S. begraben hatte. Doris B. versuchte zu fliehen, wehrte sich heftig und kratzte ihren Peiniger, der in dem Kampf seine Brille verlor. Die Schülerin starb durch Messerstiche, und der Täter begrub sie unweit der ersten Leiche.
Noch in der gleichen Nacht erstatteten die Eltern Vermisstenanzeige bei der Polizei, die unter anderem mit Lautsprecherdurchsagen und Plakaten nach dem Mädchen suchte. Bekannte von S., die von der Fahndung hörten und auf seinen Unterarmen Striemen bemerkten, foppten ihn: „Warst du das?“, so dass er am 4. Juni 1985 zu einem Hautarzt ging, um sich bestätigen zu lassen, er habe sich diese auffälligen Wunden bei „Arbeiten an Büschen und Bäumen“ zugezogen. Der Mediziner sollte später ein wichtiger Zeuge im Bonner Schwurgerichtsprozess gegen S. werden.
Die Berufsfachschülerin
Doch noch war die Mordserie nicht vorbei. Am 5. August 1985 begann S., der seinen Job bei einer Werbefirma gekündigt hatte, eine Ausbildung als Tierpräparator an einer Berufsfachschule in Bochum und lernte dort die 18-jährige Anke K. kennen, ein neues „Objekt“. „Ihm war klar, dass sie sein nächstes Opfer werden musste“, hieß es später im Urteil der 4. Großen Strafkammer.
Am 26. August überredete S. die Mitschülerin zu einer Fahrradtour – eine tödliche Falle, denn der Täter zwang sie in einem menschenleeren Gebiet unweit der Autobahn 44 nieder. Die 18-Jährige konnte im Abwehrkampf sein Messer für einen Augenblick an sich reißen und stieß es ihm in den Rücken der rechten Hand. Der Mann aber war stärker, er entwand ihr die Waffe und erstach die junge Frau. Er habe sie getötet, „um sich dadurch in einen Rausch sexueller Erregung zu steigern“, so die Richter.
Am 5. September 1985 entdeckte ein Arbeiter der Straßenmeisterei an der A44 die mit Gras und Astwerk bedeckte Leiche. Die Mordkommission vernahm routinemäßig alle Mitschülerinnen und Mitschüler der Toten, auch Hans-Dieter S., und wunderten sich über die verräterische Wunde in der rechten Hand. Er habe sich an einem Stacheldrahtzaun verletzt, log er.
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Misstrauisch geworden, durchsuchten die Ermittler sein Zimmer im Studentenheim und sicherten dort die Beweismittel, die ihn des Mordes überführten: eine von ihm geschriebene „Darstellung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes“, eine von ihm verfasste „Anklageschrift“, in der es ebenfalls um Kindesmissbrauch ging, und schließlich Geländeskizzen des Kottenforstes, anhand derer drei Wochen später die Gräber von Lydia S. und Doris B. ausfindig gemacht werden konnten.
Der Suchtrupp fand auch die Säge, mit der die Pianistin verstümmelt worden war, und die Brille, die der Täter bei der Verfolgung der 16-Jährigen verloren hatte.
Der Prozess
Der Mordprozess vor dem Schwurgericht begann am 3. Juni 1986 im holzvertäfelten Saal 113 des Bonner Landgerichts, in den das Licht durch Buntglasscheiben fällt. Auf der Zeugenliste standen mehr als 80 Namen, dazu wurden sechs Sachverständige geladen.
Dutzende von Asservaten wie die Säge oder Fahrräder der Toten sowie eine Sammlung von Adressen potenzieller „Objekte“, die S. angelegt hatte, wurden in Augenschein genommen. Staatsanwalt Jörg Pietrusky klagte ihn an, drei Menschen getötet zu haben, „jeweils zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“.
Die früheren Taten
Der Prozess war bizarr. Der Angeschuldigte sah sich „als Opfer, nicht als Täter“, fiel Zeugen ins Wort und bestritt die Vorwürfe. Dabei war er einschlägig vorbestraft: Am 30. April 1975 hatte der damals 19-Jährige im norddeutschen Wildeshausen, wo er eine Zeit lang wohnte, ein zwölfjähriges Mädchen sexuell missbraucht und ermordet. Das Landgericht Oldenburg verurteilte ihn wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu einer Jugendstrafe von acht Jahren, die 1979 zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Doch am 8. Januar 1980 wurde S. rückfällig, brachte in Bonn einen 13-jährigen Jungen in seine Gewalt, schlug und knebelte ihn, ehe er ihn freiließ. Die Quittung der Jugendstrafkammer: Die Bewährung wurde widerrufen, S. blieb bis Juli 1984 in Haft. Weniger als ein Jahr später ereignete sich die Mordserie.
Die Selbstverstümmelung
Am 13. Verhandlungstag erschien der Angeklagte, ein schlaksiger Mann, in Turnhose vor Gericht, weil ihm eine andere Hose nicht passte. Grund: Er hatte in der Nacht zuvor in seiner Zelle im Bonner Gefängnis versucht, sich den Penis mit einer Rasierklinge zu durchtrennen, weil er, so seine Einlassung, „gegen die unerträglichen Haftbedingungen“ protestieren wollte. Die stark blutende Wunde wurde im Petrus-Krankenhaus versorgt und dick verbunden.
Das Geständnis
Am 31. Juli 1986, es war der 18. Verhandlungstag, änderte der Angeklagte seine Verteidigungsstrategie des Leugnens und ließ durch seinen Anwalt Klaus Hümmerich ein 65-seitiges Geständnis verlesen. „Es ist glaubhaft“, stellte der Kammervorsitzende Martin Lickfett fest. Das Gericht hatte nach Ende der Beweisaufnahme keine Zweifel, dass S. die drei Frauen getötet hat, die Taten seien „brutal, rücksichtslos und scheußlich“ gewesen, der Angeklagte habe mit „Gefühlsrohheit“ und „großem Sadismus“ gehandelt. Dennoch sprachen ihm die Richter, gestützt auf die Gutachten mehrerer Sachverständiger, eine verminderte Schuldfähigkeit zu, weil seine Persönlichkeit gestört und er „erheblich eingeschränkt steuerungsfähig“ sei.
Das Urteil
Hans-Dieter S. wurde am 24.Oktober 1986 wegen dreifachen Mordes, zweier Vergewaltigungen und einer versuchten Vergewaltigung zu 15 Jahren Haft verurteilt und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Der Bundesgerichtshof verwarf 1987 die Revision der Staatsanwaltschaft Bonn. Das Urteil war damit rechtskräftig. Der Serienmörder, mittlerweile 65 Jahre, hat nach Jahren in der Psychiatrie seine Gefängnisstrafe verbüßt und wurde erneut in ein Landeskrankenhaus eingewiesen, wo er noch heute lebt.