Echte Kerzen am Baum und Gedichte aufsagen: Mitglieder der Redaktion haben in alten Fotoalben nach Weihnachtsbildern gestöbert.
„Früher war mehr Lametta“Die Redaktion erinnert sich an Weihnachtsfeste der Kindheit
Wie sah der Heilige Abend der Kindheit aus? Was gehörte zum Fest dazu, das heute so nicht mehr gibt? Früher war mehr Lametta, das ist klar, aber es hat sich noch mehr gewandelt. Mitglieder der Redaktion haben in alten Fotoalben gestöbert und Erinnerungen an Weihnachten aufgeschrieben.
Klaus Heuschötter: Ein Gedicht – aber bitte deutlich sprechen!
Ein Ritual, das wie der Besuch der Christmette zum Fest gehörte, war den Jüngsten in der Familie auferlegt: das Aufsagen eines Gedichts. Darauf legte vor allem die Mutter großen Wert. Sie wählte für meinen Bruder und mich die Reime aus, zumeist aus einem der Tchibo-Weihnachtshefte; sie drängte spätestens nach dem ersten Advent zum Auswendiglernen, und sie führte die Probenregie, erklärte, welche Wörter zu betonen sind, und mahnte: „Gerade hinstellen, langsam und deutlich sprechen!“
Der Auftritt, frisch gekämmt, stocksteif, mit dem Rücken zum Tannenbaum, war nicht zuletzt ein Beleg dafür, dass man artig gewesen ist. Und es war eine Visitenkarte der Familie, die möglichst andächtig und fehlerfrei auch in Wohnzimmern von Verwandten abgegeben wurde. Für einen tadellosen Vortrag, der alle Jahre fotografiert wurde, gab es Lob, für ein Grinsen oder gar Lachen mindestens strafende Blicke. Die Gedichte sind längst aus dem Gedächtnis verschwunden. „Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!“ Dieser Klassiker mag dabei gewesen sein.
Quentin Bröhl: Ein Festmahl jagte das nächste
Seit ich denken kann, bedeutete Weihnachten viel Essen, viel Feiern und viele Geschenke besorgen. Das artete dann sehr häufig in Stress aus. Denn es gab nicht nur die getakteten Strukturen an Heiligabend mit mindestens drei Mahlzeiten sowie den Besuchen bei den Großeltern am ersten und zweiten Weihnachtstag mit weiteren fettigen warmen Mahlzeiten und üppigen Kuchenbuffets. Drei meiner engsten Familienangehörigen hatten um Weihnachten auch noch Geburtstag.
Los ging es am 21. Dezember mit dem Geburtstag meines einzigen Bruders. Das bedeutete einstimmen auf die erste große Kuchentafel. Natürlich kamen Omas, Opas und meine Eltern zusammen. Ein erstes Beschnuppern für das, was da noch kommen sollte.
Nach den drei Weihnachtstagen könnte man meinen, es reiche mit essen, feiern, und Geschenke auspacken. Nein, die Großmutter mütterlicher Seite lud dann natürlich zu ihrem Geburtstag am 28. Dezember ein. Und als ob das immer noch nicht reichte, traf sich die Familie am 30. Dezember erneut an der Kaffeetafel. Dann feierte mein Vater seinen Jubeltag.
Bei meinen Bruder habe ich das Geschenkebesorgen in meinen Erinnerungen früh aufgegeben. Bei Oma und Vater kann ich mich allerdings noch lange an das Pfund Kaffee oder die Socken erinnern. Was für eine anstrengende Weihnachtszeit.
Dieter Krantz: 120 Päckchen für fünf Kinder
Bei uns begann die Weihnachtszeit schon einige Zeit vor dem 1. Dezember, erreichte spätestens am 30. November einen ersten Höhepunkt: Dann nämlich schlossen sich meine Eltern im Wohnzimmer ein, um für meine vier Geschwister und mich 120 Päckchen für den Adventskalender zu schnüren. Wir spielten das Wichtelspiel mit und kniffen im Zweifelsfall die Augen fest zusammen, wenn die Eltern dann in der Nacht auf den 1. Dezember das handgestickte Tuch mit den 24 Ösen am Bett befestigten.
Tag für Tag packten wir aus, Kleinigkeiten zumeist. Manches war schon an der Form zu erkennen, manches hatte Tradition, manches war auch neu und überraschend. Grundsätzlich galt: Fühlen war verpönt. Bis weit in das Erwachsenenalter hielt meine Mutter die Tradition am Leben, versorgte auch Schwiegerkinder und Enkel mit liebevollen Päckchen.
Zu den Traditionen gehörte das regelmäßige Singen rund um den Kranz an den Adventssonntagen, der Besuch bei den Mietern im Haus am Heiligen Abend, der uns Kinder manchmal sehr lang wurde, denn beschert wurde natürlich erst danach. Reichlich und fair wurden wir beschenkt: Keines der Kinder sollte auch nur im Geringsten weniger bekommen als ein anderes.
Was auf dem Gabentisch gelegen hatte, kam am ersten Feiertag das kinderlose Mieterehepaar besichtigen, ehe zu Sherry und dem traditionellen Putenessen die Tante eintraf. Zur über viele Jahre gepflegten Tradition gehörte aber auch, am Silvesterabend ein letztes Mal die – echten – Kerzen am Christbaum zu entzünden.
Ein Ende fand die Weihnachtszeit allerspätestens am 10. Januar: Zum Geburtstag meines Vaters sollte der Baum verschwunden sein. Was nicht nur bedeutete, Sterne und Krippe in die sorgsam gehüteten Schachteln zu verpacken, sondern auch, das Lametta aus dem Baum zu pflücken. Möglichst kein Band in den nadeligen Ästen zu lassen, war die Aufgabe für uns Kinder. Auf Pappe gelegt und glatt gestrichen verschwand auch das „Engelshaar“ in den besagten Kartons. Bis zur nächsten, sehnlichst erwarteten Weihnachtszeit.
Cordula Orphal: Mein Vater bügelte das Lametta
Vier Kinder, wenig Platz: Der kleine Weihnachtsbaum stand stets auf einer Kommode, besteckt mit echten Kerzen - und behängt mit viel Lametta. Mein Vater Manfred gab am Abend vor dem Heiligen Abend den Zeremonienmeister: Er klappte das Bügelbrett aus und kramte aus der Dekokiste im Keller die Metallfäden hervor. Zuunterst legte er eine dicke Pappe, darauf eine Lage Lametta, zuoberst ein Tuch.
Mit dem Eisen, Stufe eins, plättete er portionsweise die glänzende Pracht. Am Ende kam das im Vorjahr säuberlich gefaltete Geschenkpapier an die Reihe. Wir waren ein Recyclinghaushalt, vier Kinder, wenig Geld. Geschmückt wurde das Tännchen am Folgetag - nachmittags im verschlossenen Wohnzimmer.
Mein Bruder, meine Schwestern und ich lugten durchs Schlüsselloch und warteten sehnsüchtig auf das Läuten des kleinen Glöckchens, das zur Bescherung rief. Heute kommen wir Geschwister immer noch zusammen, stets am ersten Weihnachtstag. Die Kerzen sind echt, der Baum ist groß, Lametta ist out. Doch das Geschenkpapier wird immer noch gebügelt - aus Öko-Gründen.
Sandra Ebert: Erstmal 'ne Schoko-Zigarette
An Weihnachten wurden die gläsernen Wohnzimmertüren mit Packpapier zugeklebt. Auf den untersten Stufen im Treppenhaus saßen mein kleiner Bruder und ich, längst gebadet, geföhnt und in ungewohnt-festliche Kleidung gesteckt. Und obwohl wir nichts, aber auch gar nichts sehen und kaum etwas hören konnten: Wir konnten die Blicke nicht von der Tür nehmen, hinter der unsere Eltern und doch ganz sicher auch der Weihnachtsmann werkelten.
Das Klingeln des Glöckchens war das ersehnte Zeichen: die Türen öffneten sich, das Licht war ausgeschaltet, und wir bestaunten andächtig die funkelnde Pracht. Einen großen Weihnachtsbaum hatten meine Eltern immer, mit echten Kerzen, Glaskugeln und Strohsternen. Lametta gab es nie - wohl aber Wunderkerzen, die mein Vater in die Tannenzweige gehängt und angezündet hatte.
Meine Blicke und die meines Bruders rutschten natürlich sofort unter den Baum. Welche Form hatten die Pakete, für wen waren sie? Vor dem Öffnen musste gesungen werden, mindestens vier Tchibohefte lang, und mein Vater las „Die Weihnachtsmaus“ von James Krüss.
Erst dann durften wir die Päckchen öffnen, und ich gebe zu: Ich war oft enttäuscht. Kein Pferd. Kein Hund. Stattdessen bekam ich mehr als einmal eine Puppe, die ich links liegen ließ. Die Geschenke für meinen Bruder waren spannender: Autos und Schokoladenzigaretten.
Marius Fuhrmann: Früher war mehr Lego
Immerhin: Ich muss nicht mehr Blockflöte spielen. Aber sonst ist Weihnachten als Erwachsener ein bisschen fade. Das Essen genießen, Geschenke auspacken – aber dann? Stapeln sich der Büchergutschein und die warmen Socken auf dem Wohnzimmertisch, weil sie erst in den kommenden Tagen einsetzbar sind.
Ich bin erst 31, und schon gibt es kein Lego mehr als Geschenk. Früher war kaum der Nachtisch verschlungen, da wurden die einzelnen Tüten mit den Legosteinen in eine große Salatschüssel aus Mamas Küche gekippt und streng nach Anleitung drauflos gebaut. Das Suchen nach dem nächsten Teil machte genauso viel Spaß wie das Zusammensetzen.
Weihnachten, das ist für mich der Geruch frischer Lego-Gummireifen. Doch bevor ich die Anleitung auch nur bis zur Hälfte durchgearbeitet hatte, musste ich ins Bett – und konnte es kaum erwarten, noch vor dem Frühstück am Weihnachtsmorgen weiterzubauen. Die Schüssel mit den Legosteinen und die halbfertige Feuerwache warteten noch auf mich. Wenn ich mal Kinder haben sollte, bringt das Christkind auf jeden Fall Lego – einfach, damit ich an Heiligabend was zu tun habe.
Ralf Rohrmoser-von Glasow: Der Weihnachtsbaum wurde einbetoniert
Er war magisch, der gesamte Heiligabend. Schon morgens kribbelte es im Bauch, die Aufregung trieb meinen Bruder Lutz und mich früh aus dem Bett. Das muss ganz schön anstrengend für die Eltern gewesen sein. Aber es war auch gemütlich. Mein Vater Horst, gelernter Maurer und Bauingenieur, betonierte den Baum, der schon ein paar Tage im Hinterhof kopfüber neben dem Fenster hing, in einen Eimer ein. Mit Lot und Wasserwaage wurde er exakt ausgerichtet. Danach gab's einen Kaffee und eine Zigarette, auch für Mutter Uschi, die für die Familie in der Küche stand.
Das Schmücken zog sich und erinnerte mehr an die Gestaltung einer Skulptur, natürlich unterbrochen von Kaffee, bei der zweiten Kunstpause dem ersten Bier und einer Kippe. Wir durften helfen, Wunderkerzen an fest vorgegebene Stellen hängen, Kugeln anreichen oder Lametta auseinderpuzzeln. Die Aufregung stieg. Irgendwann waren die Milchglastüren zum Wohnzimmer verhängt, irgendwas rumorte darin herum - das Christkind? Die Eltern konnten es nicht sein, die saßen in der Küche beisammen. Oder doch nicht? Lutz und ich versuchten, zum Oberlicht über der Tür zu klettern, aber das war dann doch zu hoch.
Das Klingeln des Glöckchens erlöste uns, Kerzenschein und die zischenden Funken der Wunderkerzen spiegelten sich in unseren Augen und meinen Brillengläsern. Zwei Jungs, später kam noch Bruder Jörg dazu, stürzten sich nach dem obligatorischen Singen auf die Päckchen. Meist waren wir glücklich, denn wenn das eigene Geschenk nicht so recht passte, gab es ja noch die der Geschwister. Irgendwas war immer dabei!