Holocaust-Zeitzeugin„Wir waren froh, wenn einer starb, dann hatte man mehr Platz“
Hennef – „Was ist ein Nazi?“ „Wisst ihr, was ein Ghetto ist?“ Immer wieder holte Tamar Dreifuss ihre jungen Zuhörer mit Fragen ab. Mit der Antwort „Ein Soldat von Adolf Hitler“ lagen die Fünftklässler halbwegs richtig. Beim Ghetto musste die Holocaust-Zeitzeugin in der Mensa der Gesamtschule Meiersheide erklären.
Sie erzählte, wie sie als dreijähriges Mädchen einer jüdischen Familie in Litauen bei einer Tante „versteckt“ wurde, jeden Tag weinte, vom ergreifenden Wiedersehen mit ihrer Mutter (Jetta Schapiro-Rosenzweig) und den anschließenden Schrecken 1943 im Ghetto von Wilna.
Dreifuss gelang die Flucht aus dem Lager
Weil sie selbst „keine Kindheit“ gehabt habe, wählte Dreifuss später den Beruf der Erzieherin. Entsprechend verständlich und mit Bildern auf einer Leinwand berichtete die 81-Jährige vor der fünften Jahrgangsstufe, fragte die Jungen und Mädchen etwa auch, was sie denn mitnehmen würden, wenn sie plötzlich ihre Wohnung verlassen müssten.
Freilich ließ sie die erlittenen Grausamkeiten nicht aus, so die tagelange Tortur in einem Güterwaggon. „Man sagt das nicht gern, aber wir waren froh, wenn einer starb, dann hatte man mehr Platz.“ Bei diesem Transport habe ihre Mutter den Entschluss gefasst, alles zu tun, um zu fliehen. Vom Vater, der später im Konzentrationslager Stutthof starb, waren sie bereits getrennt.
„Lieber auf der Flucht sterben als wie ein Schaf zum Schlachthaus geführt zu werden“, habe die Mutter gesagt. Die beiden ersten Versuche scheiterten. In ihrem autobiografischen Kinderbuch „Die wundersame Rettung der kleinen Tamar 1944“ hat Dreifuss festgehalten, wie es mit einer Täuschung gelang, aus einem Lager zu entkommen.
Mutter und Tochter versteckten sich in einer Hundehütte
Nach dem Duschen zog die Mutter aus einem Haufen von Kleidungsstücken der Deportierten ein schönes Kostüm für sich heraus, riss den Judenstern ab und fand auch für die Tochter ein Kleid sowie eine Haarschleife. Jetzt wirkten die beiden nicht mehr wie Gefangene, zumal die Mutter mit aufrechter Haltung auf das Tor zuschritt
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„Bete, Tamar, bete!“, habe sie gesagt, als die Kleine fragte: „Mama, sind die alle blind, sehen die uns nicht?“ Offenbar für Besucherinnen gehalten, konnten Mutter und Tochter unbehelligt passieren. Jetta Schapiro-Rosenzweig gab sich dann als Russin aus, nahm in Dörfern und auf Bauernhöfen jede Arbeit an. Als es noch einmal eng wurde, war ein großer Angst einflößender Hofhund namens Tigris, mit dem sich Mutter und Tochter angefreundet hatten, die Rettung. Zwei Tage versteckten sie sich in der Hundehütte.
Tamar Dreifuss war gestern bereits zum sechsten Mal in der Gesamtschule Meiersheide, um ihre Geschichte zu erzählen. „Ich freue mich immer auf diesen Besuch“, versicherte sie Schulleiter Wolfgang Pelz. Allerdings könnte es das letzte Mal gewesen sein, wie Lehrerin Christiane Liedtke befürchtet, weil die bei Köln wohnende Zeitzeugin vorhabe, nach München zu ziehen.