Kinder mit Förderbedarf in der Corona-ZeitSoziales Lernen hat Pause
- Auch für Kinder und Jugendliche, die einen besonderen Förderbedarf haben, ist in der Corona-Zeit vieles anders.
- Einzelbetreuungen und -förderungen sind aktuell nicht machbar. Homeschooling ist angesagt.
- Das sorgt natürlich für Diskussionen auf vielen Ebenen, Diese ziehen sich bis in den Landtag...
Hennef – Konzentriert beugt sich Sike über das Heft und schreibt ab, was ihre Mutter Lucia Schneider vorgegeben hat. Das klappt perfekt, Jubeln ist angesagt. Die 15-Jährige hat Förderschwerpunkte in Sprache, körperlich-motorischer und emotional-sozialer Entwicklung, außerdem gilt für sie der Lehrplan für geistige Entwicklung. Lesen und Schreiben, mit Abstrichen Rechnen, das kann Schneider, die selbst Lehrerin an einer Hauptschule ist, mit ihr.
Aber nicht ohne Grund hat Sike eine Schulbegleitung bewilligt bekommen, wird sie an der Gesamtschule Hennef-West von Naomi Rübel unterstützt, einer Sonderschullehrerin für emotionale und soziale Entwicklung und Erziehung. Denn wichtig sind Kontakte außerhalb der Kernfamilie, soziale Bindungen durch Teilhabe am Schulalltag.
Alles auf Null
Doch jetzt ist alles auf Null gesetzt. Homeschooling ist angesagt, die Schulbegleitung fällt weg. „Sike macht es sich darin gemütlich“, sagt Schneider. Und Rübel ergänzt: „Für sie sind jetzt Ferien.“ Aber beide Frauen sind sich einig: Das sei nicht zukunftsorientiert.
Dabei gäbe es Schulbegleiterin Rita Menzel. Sie kennt Sike gut und könnte mit ihr etwa Outdoor-Natur-Programme machen. Allerdings wird sie derzeit nicht bezahlt und ist auf Kurzarbeit gesetzt. Das Kreissozialamt hat eine Anfrage von Schneider zur Weiterfinanzierung abgelehnt. „Das Geld ist bewilligt für die Teilhabe an Schule“, sagte Kreispressesprecherin Rita Lorenz auf Anfrage. Gebe es keinen Unterricht, seien die Voraussetzungen für die Kostenübernahme nicht erfüllt.
Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung
Wer Lucia Schneider kennt, weiß, dass sie sich mit einer solchen Antwort nicht zufrieden gibt. Seit Jahren ist sie Vorkämpferin für Inklusion. Bei ihren Recherchen ist sie auf unterschiedliche Varianten im Umgang mit Schulbegleitungen gestoßen. So wird in Aachen, Köln, Herford, aber auch in Hamburg und Hannover die Entsendung bezahlt, in Düsseldorf, Bielefeld, Karlsruhe, Bayern und eben im Rhein-Sieg-Kreis dagegen nicht. Eine andere empfohlene Teilhabe-Unterstützung hat Schneider bislang nicht beantragt: „Ich wünsche keine Freizeitassistenz für mein Kind, sondern Unterstützung zur Erlangung von schulischer Bildung.“
Schüler und Schülerinnen wie Sike benötigen nach ihrer Überzeugung auch im Homeschooling weiter Hilfe. Sie können nicht selbstmotiviert und selbstorganisiert allein lernen. Deshalb organisieren Menschen wie Menzel den schulischen Alltag. Sie motivieren, mahnen zur Konzentration und immer wieder: Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung. „Seit Jahren arbeiten wir daran, dass Sike sich außerhalb der Familie bindet. Alles, was wir erreicht haben, wird in Frage gestellt.“ Lehrerin Rübel bringt ein Beispiel: „Sie hat trainiert, Leute anzuschauen, das fällt jetzt weg.“
Prüfungsbetreuung steht bevor
Nicht das Gebäude allein sei Schule, „es geht auch anders, projektorientiert“, betont Schneider. Der alleinige Bezug auf die Kernfamilie könnte die Anstrengungen zur Berufsorientierung, Selbstständigkeit und die Anbindung an eine mögliche Lebens- und Arbeitswelt gefährden, fürchtet die Mutter. Dabei könnte der enge emotionale Bezug zwischen Sike und Menzel ein bedeutender Faktor sein. Die 15-Jährige versteht nicht, warum die Schulbegleitung nicht kommt. Und die ist auf Kurzarbeit gesetzt, obwohl sie sinnvoll arbeiten könnte und durchaus will. „Eltern sind in erster Linie Eltern“, erklärt Schneider. Sei die Betreuung nichtbehinderter Kinder schon eine Herausforderung, sei der Aufwand bei behinderten um ein Vielfaches höher.
Für Lucia Schneider steht in ihrem Beruf als Lehrerin bald Prüfungsbetreuung an einem Tag in der Woche an. Dann kann Sike in die Notbetreuung der Gesamtschule gehen, und die Schulbegleitung greift wieder. Die Schule, vor allem Rübel, bietet Unterstützung an. Aber der Schulallalltag wird ein anderer sein. Wie wird es bei Schicht- oder Kohortenbetrieb sein? Wird Sike das Durcheinander verstehen können? Diese Fragen treiben Schneider um. Schulbegleitung, und zwar kontinuierlich, könnte da ein ernsthafter Baustein zur Teilhabe an schulischer Bildung in Corona-Zeiten sein.
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Das wird auch auf Landesebene heiß diskutiert. Denn Sike ist kein Einzelfall. Der Verein „Gemeinsam Leben und Lernen Düsseldorf“, getragen von weiteren Vereinen, hat die Landesregierung und drei Ministerien aufgefordert, den Einsatz von Schulbegleitern weiterhin zu gewährleisten. Eine Antwort hat er bislang noch nicht erhalten. Bis zur Klärung wird Sike wohl noch viel schreiben. Und viel jubeln.