AboAbonnieren

„Das Leben ist Kunst“Maler und Bildhauer Giovanni Vetere wird 80 Jahre alt

Lesezeit 4 Minuten

Der Jubilar Giovanni Vetere mit seiner Installation „Die Zehn + Zwei“ am Troisdorfer Rathaus.

Rhein-Sieg – Ein bisschen vom Bauersjungen aus Strongoli steckt immer noch dem hageren Mann im schwarzen Mantel, der am 3. Dezember 80 Jahre alt wird. Elf Geschwister, drei Halbgeschwister, der Vater Bauer, als Kind auf dem Feld gearbeitet.

Der Schulbesuch war spärlich, er lernte von den Erwachsenen in der Espressobar. „Viele Leute haben mich gebildet“, sagt Vetere. Darunter sein Vater, der ihm beibrachte, wie wichtig die Balance zwischen Geben und Nehmen ist. Der ihn ziehen ließ; 1957 zunächst nach Mailand, 1961 schließlich als Gastarbeiter nach Deutschland. Der ihn als bereits international anerkannten Künstler einmal fragte: „Bist du jetzt zufrieden?“ „Papa“, antwortete Vetere, „wenn ich zufrieden wäre, wäre ich tot“.

In der Fremde

Langeweile habe er nie, beteuert der Kalabrese, jeden Tag geht er ins Atelier. Seine Kunst ist sein Leben. Und umgekehrt. Sandra Ebert blickt auf die prägenden Phasen.

„In Strongoli war ich Giovanni Vetere. Hier war ich niemand.“ Die erste Zeit in Deutschland war schwer: Gemeinschaftsunterkunft, keine Kontakte, keine Deutschkenntnisse. Der kommunikative junge Mann hatte seine Sprache verloren. In den 70er Jahren entstanden sehr düstere, traurige Bilder, die von seiner Einsamkeit, dem Heimweh und der verlassenen Familie erzählen.

Die Initialzündung

1968 heiratete Giovanni Vetere seine Brigitte, er bekam eine Anstellung bei Dynamit Nobel, die Familie zog nach Troisdorf, 1972 wurde Tochter Carmen Clea geboren. Mit ihrem Wasserfarbkasten begann er zu malen. Nächtelang. Er wechselte zu Acryl und Öl, malte auf jedem Untergrund, den er finden konnte: Pappe, Bretter, Karton.

Eines der ersten Ölbilder von 1972 zeigt die Eltern Pasquale und Angelina beim Abschied ihres Sohnes, der als Gastarbeiter fortging.

Die Haustür im ersten eigenen Haus, das die Familie 1974 am Troisdorfer Talweg kaufte, baute er selbst aus zehn Zentimeter dicker Eiche, schnitzte die für ihn so typischen Figuren mit ihren runden Köpfen, Knopfaugen und Klecksmündern. Nach Feierabend malte er, im Keller, in seinem zwei mal vier Meter großen „Atelier“. Farben und Materialien durfte er bald aus der Firma mitnehmen: Sein Chef hatte 1975 eine Ausstellung besucht und drei Bilder auf Kupferplatte gekauft.

Liebe und Politik

„Ohne Brigitte hätte ich es nie geschafft“, sagt Vetere. Sie half ihm, Deutsch zu lernen, Bewerbungen zu verfassen, unterstützte seine künstlerische Arbeit. 1977 eröffnete Brigitte Vetere eine Galerie im Haus im Talweg, fuhr die Einladungen zu Vernissagen mit dem Fahrrad aus. Sie gab Hausaufgabenhilfe für Gastarbeiterkinder, die Familie unterstützte frisch Eingetroffene bei den ersten Schritten in Deutschland.

Die Haustür im Talweg in Troisdorf baute Vetere selbst.

Giovanni Vetere wurde zur Stimme für die Ausländer, wurde ins Troisdorfer Ausländerparlament gewählt, das 1972 gegründet wurde – als erstes in der Bundesrepublik. „Geh zu Giovanni, da wird dir geholfen“ – ein geflügeltes Wort damals und auch heute noch: „Mich rufen die ehemaligen Gastarbeiter an, die wieder in Italien sind, und haben Fragen zur Rente.“ Auch hier hilft Vetere, wo er helfen kann. Und bekam als Dank schonmal einen lebenden Hahn.

Nach draußen

1978 begann Vetere mit Bildhauerarbeiten im öffentlichen Raum, im Troisdorfer Stadtpark bearbeitete er Sandstein. 1982, im selben Jahr, als er erstmals auf der renommierten Art Basel ausstellte („Ich habe nie geglaubt, dass ich da mal ankomme“), zog Vetere mit seinem Atelier um in die Remise von Burg Wissem. Dort arbeitete er viel im Freien; mit Publikum zu agieren, das war sein Ding.

Im Jahr 1984 bearbeitete Vetere beim ersten Bildhauersymposium den Sandstein auf dem Fischerplatz.

Im Wohnzimmer der Familie reifte die Idee zu einem Symposium. 1984 war es soweit: Am Fischerplatz in Troisdorf wurde mehr als 20 Tonnen schwerer Sandstein abgeladen, den Vetere vor den Teilnehmern bearbeitete und in eine „Lebenssäule“ verwandelte. Beim zweiten Bildhauersymposium 1984 bearbeitete er einen zweiten solchen Sandstein, der heute im Eschmarer Kindergarten steht.

Und weil ihn die Aussage fuchste, dass niemand mehr Marmor bearbeiten könne, griff er auch noch bei einem riesigen Block aus weißem Marmor zu Hammer und Meißel. Heute ist er an Burg Wissem zu bewundern. Zwei Fassadenmalertreffen und ein Symposium mit Land-Art-Künstlern folgte – Troisdorf wurde überregional zur Kunststadt.

Eitorf

Den Altar in der evangelischen Kirche Eitorf schuf er vor Ort.

1989 zog die Familie nach Eitorf in die ehemalige Zigarrenfabrik Keysers mit einem großen Atelier, einer Galerie und einem Skulpturengarten. Auch hier entstanden Werke für den öffentlichen Raum, 2003 gestaltete er alle Primarstücke in der nach einem Brand wieder aufgebauten evangelischen Kirche.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das Kreuz schuf er aus Olivenholz aus seinem Heimatdorf; Taufstein, Altar und Rednerpult aus Basalt hüllte er in einen Bleimantel, die Reliefs haute er vor Ort, auf den Knien mit dem Hammer und mit selbst gefertigten Meißeln aus Buchenholz.