Eine befreiende EnglandreiseSankt Augustiner Autorin veröffentlicht neuen Roman
Sankt Augustin – Eine Fontane-Gesamtausgabe hat Vera beim Stöbern in einem Bonner Antiquariat entdeckt. Neun Bände, „ein halbes Regalfach“, das will sie ihrem Mann zum 60. Geburtstag gönnen, auch wenn dank Gregors Bibliophilie kaum noch Platz in der Wohnung ist. Nicht nur davon fühlt sich Vera erdrückt. In ihrer Ehe herrscht emotionale Sprachlosigkeit. Welches Geheimnis dahinter steckt, enthüllt Maria Uleer in ihrem neuen Roman „Heute und nicht gestern“ in einem großen Spannungsbogen. Nach und nach wird man in das Leben eines Ehepaars hineingezogen, das sich seit dem Tod des Sohnes entfremdet hat.
Theodor Fontane, bekennt die Autorin (75) aus Sankt Augustin, sei einer ihrer Lieblingsschriftsteller. Auch Maria Uleer legt im realitätsnahen Dialog die Charaktere ihrer Figuren offen. Und sie spiegelt in sensiblen Naturschilderungen das Innenleben Veras. Etwa wenn die Heldin beobachtet, wie sich die Kastanienblüten entfalten, getrieben von einer geheimen Kraft.
Ein Aufbruchssignal auch für Vera, die sich ihrem Mann, einem pedantischen Professor für Romanistik, stets untergeordnet hat. Dass er sich für ihren Beruf als Origami-Dozentin an der VHS scheinbar weniger interessiert als für die exakten Bügelfalten an seiner Hose, nimmt sie hin. Weniger, dass er auf ihre Teilnahme an einer Nackt-Performance in der Bundeskunsthalle mit Unverständnis reagiert. Man schreibt 2018, das Jahr der Marina-Abramovic-Schau.
Es sind solche Erlebnisse und unerwarteten Begegnungen, die der Heldin Mut machen zur Veränderung. Als sie in der Straßenbahn nach Siegburg auf einen jungen Deutschitaliener trifft, kommt der Stein ins Rollen. Mit Dante reist sie nach Südengland, lernt Lissy und Alice kennen, beide jenseits der 70. Die tafeln zwar von Wedgwood-Porzellan, wollen aber keineswegs in nobler Zurückhaltung altern. Ihre unkonventionelle Art mischt die etwas steife Vera auf. Sogar einen Seitensprung riskiert sie, aber hier blendet Maria Uleer – ähnlich wie Fontane – diskret aus.
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Und sie lässt offen, ob das Ehepaar noch einmal zusammenfindet. Immerhin, einen Tango-Tanzkurs kann Vera ihrem Gregor abtrotzen. Und so leicht wird sie sich auch keinen Bären mehr aufbinden lassen – etwa, dass es in Kent gezüchtete Schafe geben soll, deren Vorderbeine kürzer sind als die Hinterbeine. Was angeblich stabilen Stand an den Hügeln sichert. Maria Uleer – übrigens selbst promovierte Romanistin – macht sich einen Spaß daraus, diese Geschichte ins Buch einzubauen, die sie in England selbst gehört hat.
Maria Uleer: „Heute und nicht gestern“, Roman. Kid Verlag, Bonn. 341 Seiten, 18 Euro.