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GHS NiederpleisWie Sankt Augustiner Schüler Selbstbewusstsein lernen

Lesezeit 5 Minuten
Ein Mann und eine Frau sitzen lächelnd an einem Tisch, hinter ihnen steht in bunten Buchstaben "Wunderwerkstatt" an der Wand, vor ihnen ist ein Mikrophon zu sehen.

Die Lehrkräfte Fabian Willmann und Ecem Ünlü leiten die erste Wunderwerkstatt für die Jahrgangsstufen Fünf und Sechs.

Gewaltprävention durch Selbstvertrauen: In der „Wunderwerkstatt“ lernen Schüler, ihre Stärken im Klassenverband einzusetzen.

„Ich find es so schwer, mich selbst zu loben - ist das bei euch auch so?“ fragt ein Sechstklässler in die Runde. Allgemeines Nicken. Auf aus Papier ausgeschnittene Werkzeuge sollen er und drei andere Schüler der fünften und sechsten Klasse schreiben, was sie gut können. Sie sind bei der „Wunderwerkstatt“ der Gemeinschaftshauptschule Niederpleis.

„Ich bin sportlich“ steht am Ende auf einer Säge, „Ich bin sehr lustig“ auf einem Hammer, „Ich bin hilfsbereit“ auf einer Bohrmaschine. Dann schauen sie sich einen Baum an, auf dem verschiedene Figuren sitzen oder stehen. Sie sollen jetzt sagen, wo sie sich sehen, und zeigen sich dabei auch selbstkritisch: „Ich bin der Gechillte da in der Hängematte, manchmal bin ich aber auch aggressiv.“

Gestärktes Selbstvertrauen zur Prävention von Konflikten und Gewalt

Wie bin ich und wie nehmen mich die anderen wahr? Was sind meine Stärken? Wo will ich hin? Das möchten die Lehrkräfte Ecem Ünlü und Fabian Willmann mit den Fünft- und Sechstklässlern herausfinden und gemeinsam trainieren, selbstbewusst zu sein. Das sei auch eine wichtige Strategie der Konfliktprävention, sagt Schulleiterin Susanne Schleebaum.

Vier Stunden pro Woche setzen sich Ünlü und Willmann mit je zwei oder mehr Schülerinnen und Schülern aus den unteren Jahrgängen zusammen, machen gemeinsame Übungen und geben Raum für vertrauliche Gespräche. Ausgewählt werden Schülerinnen und Schüler, die auffallen - sei es dadurch, dass sie im Unterricht sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder dass sie in der Klassengemeinschaft untergehen.

Verschiedene Papierschnipsel liegen auf einem Tisch, einer ist geformt wie eine Bohrmaschine, auf der steht: „Ich bin hilfsbereit“.

Gar nicht so einfach, zu sagen, was man gut kann, finden die Schüler.

„Dann sprechen wir auch zum Beispiel darüber: Wie läuft das bei mir zu Hause, wie sieht meine Situation aus, was sind meine Stärken und wo fühle ich mich manchmal traurig?“, sagt Fabian Willmann, der an der Gemeinschaftshauptschule Englisch und Geschichte unterrichtet.

„Wichtig ist, dass wir da nicht als Beurteiler oder Notengeber fungieren, sondern als Vertrauenspersonen“, sagt Ecem Ünlü. „Die Schüler wissen auch, dass von uns aus niemals etwas nach außen getragen wird, auch nicht an Eltern“, so die Deutsch- und Philosophielehrerin weiter. Was die Schüler aus der Wunderwerkstatt mit ihren Mitschülern oder Familien teilen, sei ganz ihnen selbst überlassen.

Viele der Kinder kommen aus schwierigen Elternhäusern – sie kennen das gar nicht, dass Eltern sie loben.
Susanne Schleebaum, Schulleiterin GHS Niederpleis

„Wichtig war, dass wir von Anfang an klar gemacht haben: zeigt uns eure Grenzen auf wenn ihr über irgendwas hier nicht sprechen möchtet, das respektieren wir sofort“, sagt Fabian Willmann. Auch das gebe den Kindern Selbstbewusstsein: zu wissen, dass sie ihre Grenzen ganz offen und ehrlich kommunizieren können.

Die Ergebnisse nehmen sie am Ende des Schuljahrs in Form eines Podcasts mit nach Hause. Jedes ihrer Treffen wird mit einem Mikrophon aufgenommen, im Nachhinein schneiden Willmann und Ünlü dann alles zusammen.

Ein Baum, auf dem steht „Starkes Ich - starke Klasse“ ist auf ein Grünes Papier gemalt, darunter kleben mehrere Zettel mit Wurzeln, die die Talente der Schüler zeigen.

Die Wurzeln des Baumes sollen verdeutlichen, dass die Stärken aller Schülerinnen und Schüler zu einer starken Klassengemeinschaft beitragen.

„Sie sehen dann, wie sie sich weiterentwickelt haben: Vom Anfang, wo sie noch gar nicht wissen, was sie über sich sagen sollen, bis zu dem guten Feedback, das sie von ihren Lehrern und von anderen Schülerinnen und Schülern bekommen. Wenn es ihnen schlecht geht, können sie sich das dann noch einmal anhören“, sagt Fabian Willmann.

Mitschüler, Eltern und Lehrkräfte werden für den Podcast also ebenfalls zu den Wunderwerkstatt-Teilnehmern befragt. Welche Eigenschaften schätzen sie an den Kindern? In welchen Momenten haben die Kinder zu einem positiven Klima in ihrer Klasse beigetragen? „Ganz wichtig ist, dass die Kinder sich selbst auch im Klassenverband besser wahrnehmen, weil sie hier oft Probleme haben“, so Willmann.

Talente finden und sofort fördern: ob Sport, Kunst oder Streitschlichten

Auch das Einbinden von Eltern sei besonders wichtig, sagt Schulleiterin Susanne Schleebaum: „Viele der Kinder kommen aus schwierigen Elternhäusern – sie kennen das gar nicht, dass Eltern sie loben. Und die Eltern haben das teilweise auch nicht kennengelernt.“

Die Schulleiterin beobachtet, dass das Programm unter den Schülern sehr positiv aufgenommen werde. Viele würden sich wünschen, auch einen Platz in der Wunderwerkstatt zu bekommen. „Das ist eben genau das, was die Schüler brauchen: Es geht hier mal nicht nur um Englisch, Mathe oder Deutsch, sondern sie werden hier aufgefangen“, so Schleebaum.

Ziel ist, dass die Schüler am Ende erkennen können: Ich bin ein Wunder.
Ecem Ünlü, Lehrerin

Ergänzend zum Angebot können Eltern im schulischen Inklusionscafé Beratung finden, wenn weitergehende Unterstützung wie beispielsweise Psychotherapie benötigt wird. Seit November 2024 gibt es die Wunderwerkstatt in der GHS, die die Schulleiterin gerne weiter ausbauen würde. Wenn alles gut läuft, möchte Schleebaum langfristig in jeder Jahrgangsstufe zwei Lehrer einsetzen, die mit den Schülern an ihrem Selbstvertrauen arbeiten und so Konflikten entgegenwirken können.

Letztendlich gehe es darum, die Talente und Fähigkeiten, die in der Wunderwerkstatt entdeckt werden, nachhaltig zu fördern. Hier könne die GHS Niederpleis durch ihr „StärkenStärken“-Konzept schon auf vielseitige Möglichkeiten zurückgreifen.

So gibt es an der Schule eine Musical-Gruppe, eine Gruppe, die sich mit den Schulhunden befasst, eine schulinterne Fußballmannschaft, für die Älteren Werkstätten zur Berufsorientierung. Einem Schüler, der heute von sich selbst sagt, dass er hilfsbereit sei und sich für seine Mitschüler einsetze, schlägt Fabian Willmann vor, ob er nicht zu den Streitschlichtern gehen wolle.

„Ziel ist, dass die Schüler am Ende erkennen können: Ich bin ein Wunder“, sagt Ecem Ünlü. Sie beobachtet, dass Schülerinnen und Schüler oft an negativen Vorfälle festhalten, wogegen man ankämpfen wolle: „Wir sagen dann, du bist nicht nur dieser Schüler, der da gerade mal Mist gebaut hat. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn du Fehler hast, wichtig ist, aus diesen zu lernen.“