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Projekt von 1897Historische Pläne für eine Straßenbahnlinie durch Sankt Augustin-Menden

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Hier sollte die Straßenbahnlinie von Meindorf aus nach Siegburg führen. Heute stehen auf der geplanten Trasse die Hochhäuser der Ankerstraße.

Hier sollte die Straßenbahnlinie von Meindorf aus nach Siegburg führen. Heute stehen auf der geplanten Trasse die Hochhäuser der Ankerstraße. Tomas Meyer-Eppler hat recherchiert.

Fünf Pfennig pro Personenkilometer waren als Kosten für die Fahrkarten kalkuliert.

Zwischen dem heutigen Köln-Mülheim und Bonn-Beuel sollte sie fahren: Mit einer solchen Stadtbahn wären die heutigen Sankt Augustiner Stadtteile Mülldorf und Meindorf ans Gleisnetz angeschlossen worden. Das sahen zumindest Pläne aus dem Jahr 1897 vor. Tomas Meyer-Eppler hat dieses Projekt durch Zufall entdeckt, als er im Stadtarchiv von Sankt Augustin Unterlagen zu Planungen einer Eisenbahnstrecke von Mülheim über Niederpleis nach Seifen im Westerwald auswertete.

„Ein kühner Vorschlag“, schreibt Meyer-Eppler in seinem Bericht dazu, der in Aufsätzen zur Stadtgeschichte, Band 13, von Sankt Augustin zu finden ist.

Die erste elektrische Straßenbahn fuhr im Mai 1902 über die nagelneue Rheinbrücke in Richtung Beuel

Zu diesem Zeitpunkt gab es erst wenige elektrische Straßenbahnen in Deutschland, die erste fuhr 1881 in Berlin. Köln und das damals noch selbstständige Deutz besaßen seit 1877 beziehungsweise 1879 Pferdebahnen, auf elektrischen Betrieb ging man zwischen 1901 und 1903 über. Bonn hatte noch gar keine Straßenbahn. Die Pferdebahnzeit begann dort um 1891. Die erste elektrische Straßenbahn startete im Mai 1902 zu ihrer Jungfernfahrt über die nagelneue Rheinbrücke in Richtung Beuel. 1909 hatte in Bonn die Straßenbahn mit Pferdeantrieb ihre letzte Fahrt.

1909 hat die Pferdebahn in Bonn ihre letzte Fahrt. Sie verband den Marktplatz mit der Südstadt und dem damals noch selbstständigen Poppelsdorf.

1909 hatte die Pferdebahn in Bonn ihre letzte Fahrt. Sie verband den Marktplatz mit der Südstadt und dem damals noch selbstständigen Poppelsdorf.

Meyer-Eppler stieß im Archiv auf den Brief eines Herr H. Kitterle von der Elektrizitäts-Actien-Gesellschaft in Mülheim am Rhein an das Bürgermeisteramt zu Menden, datiert vom 8. November 1897. Darin bat der Unterzeichner um Unterstützung des Bürgermeisters für sein Straßenbahnprojekt. Die geplante elektrische Straßenbahn sollte es ermöglichen, Menschen aus der Umgebung zu ihren Fabrik-Arbeitsplätzen in Mülheim, Kalk, Troisdorf, Siegburg und Beuel zuverlässig zu bringen.

Die geplante Straßenbahn im Rhein-Sieg-Kreis sollte landwirtschaftliche Güter transportieren

Güter, die per Schiff über den Rhein in Mülheim ausgeladen werden, sollten mit der Elektrischen in den heutigen Rhein-Sieg-Kreis gebracht werden. Auf der Rückfahrt könnten landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Gemüse oder Kartoffeln nach Köln transportiert werden. Auch an den Transport von chemischen Gütern zu den Dynamitfabriken bei Wahn und Troisdorf war gedacht worden.

Die Linienführung wurde in dem Brief gleich mitgeliefert. In den heutigen Rhein-Sieg-Kreis sollte sie von Wahn aus führen. Über Libur, Uckendorf, und Sieglar sollte es nach Troisdorf gehen. Dann nach Siegburg-Mülldorf. Die vorhandene Siegbrücke soll durch Umbau Raum für die Gleise der neuen Straßenbahn bekommen. Von dort aus sollte sie über Menden, Meindorf nach Geislar und Beuel fahren.

Rund 50 Kilometer sollte oberirdisch das neue Streckennetz umfassen, das auf den vorhandenen Straßen platziert werden könnte. Solche Oberleitungen sind noch heute bei Straßenbahnen in Verwendung. Der Strom sollte oberirdisch zugeführt werden, die Bahn nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde fahren. Platz für 36 bis 48 Sitz- und Stehplätze sollten in den Straßenbahnwagen angeboten werden. Pro Tag wurden 2000 Fahrgäste kalkuliert. Zwölf Personenwagen sollten täglich mit etwa einstündigen Abständen in jeder Richtung verkehren.

Rhabarberschlitten wurde die Kleinbahn Siegburg-Zündorf genannt.

Rhabarberschlitten wurde die Kleinbahn Siegburg-Zündorf genannt.

An Baukosten wurden 3,5 Millionen Mark kalkuliert, die durch ein neu zu gründendes Unternehmen aufgebracht werden müssten. An dieser Aktiengesellschaft könnten sich auch die Kommunen beteiligen. Fünf Pfennig pro Personenkilometer waren als Kosten für die Fahrkarten kalkuliert. Zu einer Zeit, als die Menschen den größten Teil ihrer täglichen Wege zu Fuß zurücklegten, wurde dieses Angebot als sehr großzügig angesehen.

Die Linie 66 gehört heute zu den Straßenbahnlinien mit den meisten Fahrgästen im Rhein-Sieg-Kreis

Warum dieses Projekt unverwirklicht blieb, verriet das Archiv nicht. Meyer-Eppler vermutet, dass der Briefschreiber nicht genug Kapital zusammenbekommen hätte. Dass die Idee durchaus gut war, zeigen spätere Projekte. So wurde das Gebiet nördlich der Sieg später durch eine Kleinbahn erschlossen, die 1914 ihren Betrieb zwischen Siegburg, Troisdorf, Sieglar, Mondorf, Rheidt, Niederkassel, Lülsdorf, Langel und Zündorf aufnahm. Im Volksmund wurde sie wegen der Streckenführung durch die Felder auch „Rhabarberschlitten“ genannt. Die Fahrt von Siegburg bis Zündorf dauerte damals 85 Minuten.

Die Linie 66, hier an der Haltestelle „Sankt Augustin Zentrum“ am Huma, gehört zu den fahrgaststärksten Straßenbahnen in der Region.

Die Linie 66, hier an der Haltestelle „Sankt Augustin Zentrum“ am Huma, gehört zu den fahrgaststärksten Straßenbahnen in der Region.

Im Oktober 1963 wurde der Personenverkehr auf dem Abschnitt zwischen Siegburg und Sieglar eingestellt. Am 5. September 1964 fuhr die letzte Bahn zwischen Sieglar und Zündorf. Um Siegburg und Mülldorf mit Beuel und Bonn zu verbinden, wählte man die direkte Linienführung über Hangelar statt über Menden und Meindorf. Diese Bahn gibt es bekanntlich heute noch als Linie 66. Sie gehört zu den fahrgaststärksten Linien im Großraum Bonn.