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ProzessWilde Verfolgungsjagd durch den Rhein-Sieg-Kreis – „Ich hab ihn angeschrien, halt an“

Lesezeit 3 Minuten
Symbolfoto Autorennen

Der Angeklagte hatte vor seiner Fahrt Alkohol und Kokain konsumiert. Auch mehrere Polizeiwagen konnten ihn zunächst nicht stoppen. (Symbolfoto)

Nicht einmal zahlreiche Straßensperren konnten einen 24-Jährigen bei seiner Flucht vor der Polizei im Februar 2022 stoppen.

Es war wie in einem Videospiel, schilderte die Zeugin: Ihr Freund am Steuer raste nachts durch Siegburg und Troisdorf, hinter ihm die Polizei mit Blaulicht und Sirene. „Ich hab ihn angeschrien, halt an, aber er hat nicht reagiert.“ Wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens musste sich der 24-Jährige nun vor dem Schöffengericht verantworten.

Dem Angeklagten kamen immer wieder die Tränen, er schniefte: „Ich weiß nicht, was mich da geritten hat.“ Die Justiz erzählte es ihm: Der junge Mann aus Sankt Augustin hatte an diesem Abend im Februar 2022 getrunken und Kokain konsumiert, außerdem Drogen im BMW seiner Großmutter dabei und bei sich Zuhause. Neben Ecstasy-Pillen auch fünfeinhalb Kilogramm Marihuana.

Angeklagter ließ sich auch von Straßensperren nicht stoppen

Ins Visier der Polizei war er nur durch seine PS-Protzerei geraten. Er raste mit laut aufheulendem Motor durch die Alfred-Keller-Straße, dort gilt Tempo 30. Die Beamten, die dort gerade einen E-Scooter-Fahrer kontrollierten, gaben Anhaltezeichen, die der Mann im BMW ignorierte, folgten ihm dann über Neuenhof, Wellenstraße, Weierstraße und Luisenstraße und verständigten die Einsatzstelle.

Die schickte weitere Streifen. Von drei mobilen Straßensperren auf der Bundesstraße 8 in Troisdorf ließ sich der Angeklagte nicht stoppen, fuhr mit vollem Tempo – zwischen 80 und knapp 100 km/h – auf die Polizeifahrzeuge zu, so dass die Ordnungshüter ausweichen mussten, um einen Crash zu verhindern. Vier Streifen brachten ihn schließlich in der Sieglarer Straße am Bahnhof Troisdorf zum Stehen, eine setzte sich vor den BMW, zwei links neben ihn, eine dahinter, das schilderte die Polizistin im Zeugenstand.

Video der Verfolgungsjagd im Gericht gezeigt

Im Gerichtssaal flimmerte danach das Video von der fünfminütigen Verfolgungsjagd über den Großbildschirm. Das zeigte, dass der Angeklagte immer wieder stark beschleunigte, mehrere rote Ampeln überfuhr, und dass nachts um 1 Uhr auf den teils schmalen Straßen Pkw, Busse und Passanten unterwegs waren. Reines Glück, dass nicht mehr passiert sei, konstatierte der Vorsitzende Richter Dr. Alexander Bluhm: „Sie haben auf der Straße nichts zu suchen.“

Zumal der Angeklagte auch nach dem Führerscheinentzug im Februar noch hinterm Steuer saß. Das fiel zwei Monate später zufällig auf. Er hatte getankt und Getränke gekauft, in der Tankstelle mit einem falschen 50-Euro-Schein, vermeintlich ahnungslos, bezahlt. Durch das Überwachungsvideo wurde er nachträglich identifiziert.

Dass er der Meinung war, noch fahren zu dürfen, weil das offizielle Schreiben noch nicht vorlag, nahm ihm das Gericht nicht ab.

Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre und zwei Monate Haft

Angeklagt war auch der Handel mit Drogen, das Gericht sah indes nur eine Beihilfe, hielt die Erklärung des Angeklagten für plausibel. Der gab an, er habe den Stoff nur für einen Bekannten aufbewahrt, zum Verkauf portioniert und diesem auf Zuruf kleinere Mengen übergeben. Pro Monat will der Einzelhandelskaufmann dafür nur 150 Euro bekommen haben. Der mutmaßliche Auftraggeber, ein 27-jähriger aus Siegburg, verweigerte die Zeugenaussage, die ihn selbst belastet hätte. Auf dem sicher gestellten Handy des bislang nicht vorbestraften Angeklagten fanden sich keine Hinweise für den Handel.

Die Staatsanwaltschaft forderte drei Jahre und zwei Monate Haft, der Strafverteidiger plädierte auf 13 Monate auf Bewährung. Das Schöffengericht verhängte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, die wegen einer günstigen Sozialprognose zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sagte Bluhm. Der Angeklagte habe eine Arbeitsstelle und sei offenbar sehr anerkannt, das belegten die Beurteilungen, die er vorlegte. „Mein Verkaufsleiter hält zu mir, trotz diesem Mist, den ich gebaut habe“, sagte der 24-Jährige unter Tränen.

Er bekommt einen Bewährungshelfer und muss 80 Sozialstunden leisten. Den Führerschein wird er lange Zeit nicht wiederbekommen und auch erst nach einer MPU.