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SiegburgArchivarin beleuchtet jüdische Berufsstände im 19. Jahrhundert

Lesezeit 5 Minuten

Das Foto entstand im Jahr 1933. Bereits in diesem Jahr standen SA-Leute mit Hetzplakaten vor dem jüdischen Kaufhaus Rhela an der Siegburger Bahnhofstraße.

Siegburg – Im Jahr 1816 wohnten 1557 Menschen in Siegburg, darunter 82 jüdischen Glaubens. Das sind gerade mal fünf Prozent der Bevölkerung. Im ganzen 19. Jahrhundert gab es in der Kreisstadt nur eine kurze Zeitspanne, in der Juden sechs Prozent der Bevölkerung ausmachten, sonst war ihr Anteil kleiner, zeitweise betrug er nur zwei Prozent.

Umso erwähnenswerter ist es, dass 1838 im „Offiziellen Adress-Buch für Rheinland-Westphalen“ allein fünf jüdische Metzger in Siegburg aufgeführt sind: Levi Elias, Nathan Herz, Abraham Isaac, Samuel Isaac und Abraham Levi. Damit waren Juden im Vergleich zu ihren christlichen Metzger-Kollegen proportional deutlich überrepräsentiert.

Jüdische Metzger in Siegburg

Im Jahr 1936 gab der jüdische Metzger Benni Linz sein Geschäft an der Holzgasse 21 in Siegburg auf, er starb zwei Jahre später. Seine Ehefrau und seine Schwester folgten 1940 seinem Sohn, der bereits 1936 in die USA emigriert war. Ein Immobilienmakler aus Köln bot das Linz’sche Haus an (Aktennotiz: „Entjudung des Grundstücks“). Viele Siegburger Geschäftsleute interessierten sich dafür. Ein Siegburger Friseurmeister kaufte es 1941 für 10 500 Reichsmark.

An der Holzgasse 45 war die Metzgerei von Aron Bock, der im Ersten Weltkrieg 1915 starb. Witwe Rosa Bock führte das Geschäft weiter, gab es später auf, verzog zu Verwandten nach Bochum, wurde im Januar 1942 deportiert und in Riga ermordet. Sohn Abraham Bock emigrierte bereits 1936 nach Rio de Janeiro. Er soll laut Amtsgericht ohne Nachkommen verstorben sein.

Metzger Samuel Cohn aus der Scheerengasse 4 verlor sein Geschäft 1938. Samuel, Ehefrau Selma und Tochter Ilse wurden 1941 im Lager Much interniert, 1942 nach Minsk deportiert, dort mit Lkw zur 15 Kilometer entfernten Exekutionsstätte Maly Trostinec gefahren und ermordet.

An der Kaiserstraße 100 hatten Albert und Amalia Marcus ihre Metzgerei, die sie 1936 per Gerichtsbeschluss verloren. Sie kamen 1941 ins Lager nach Much und wurden 1942 nach ihrer Deportation in Belzec oder Sobibor ermordet. Ihren drei Töchtern gelang es, in die USA zu emigrieren. Einen Tag vor seinem Abtransport von Much übergab Albert Marcus der ebenfalls im Lager Much festgehaltenen Familie Keppler „seine Schlachtinstrumente zur Aufbewahrung für den Fall, dass er wiederkäme“.

Juden durften nur wenige Berufe ausführen – unter anderem Metzger

Erstaunlich ist das für Historiker nicht. Claudia Maria Arndt stellt in ihrem Beitrag zum neuen Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises die Zusammenhänge her. Dazu muss die Kreisarchivarin tief in die Geschichte zurückgreifen – ins Mittelalter. Hatten sich Juden früher im Rheinland auch als Handwerker niedergelassen, so war es damit ab 1215 vorbei. Das vierte Laterankonzil in Rom schloss damals Juden von allen handwerklichen Berufen aus.

Sie erhielten im Gegenzug das Monopol für Geldverleih, womit sie in die Rolle der ungeliebten Pfandleiher, Geldwechsler und Zinsnehmer gedrängt wurden, was zum Vorwurf der „geldgierigen, blutsaugenden jüdischen Wucherer“ führte.

Die jüdische Metzgerfamilie Marcus an der Kaiserstraße, die Eltern wurden ermordet, den drei Töchtern gelang es, in die USA zu emigrieren.

Nur wenige Berufe, in denen jüdische religiöse Vorschriften galten, durften sie weiter ausüben, darunter das Bäckerhandwerk, wo ohne Milch gebacken wird, das Metzgerhandwerk mit den Regeln koscheren Fleischs und die Schneiderei, wo pflanzliche und tierische Gewebe wie Baumwolle und Schafswolle nicht miteinander verarbeitet werden. Außerdem trieben die jüdischen Metzger zur Fleischbeschaffung Viehhandel, ebenfalls überproportional häufig.

Um das Jahr 1930 entstand dieses Bild vom Viehmarkt im Oberbergischen Waldbröl, viele Juden trieben seinerzeit Viehhandel auch hier in der Region.

Obwohl Juden 1871 mit der Gründung des Deutschen Reichs per Verfassung endgültig die rechtliche Gleichstellung erhielten und damit Zugang zu allen Berufen, blieben sie oft ihren Gewerben treu. So ergab noch 1917 eine deutschlandweite Zählung, dass es sich bei 60 Prozent aller im Viehhandel Tätigen um Menschen jüdischen Glaubens handelt. Auch auf dem Siegburger Markt fand wöchentlich ein Kleinviehmarkt statt.

1933 begann die Nazi-Herrschaft und damit der nationalsozialistische Terror gegen Juden und ihre Geschäfte, auch in der Kreisstadt. Die Siegburger Polizei berichtete an den Landrat des damaligen Siegkreises, Eduard Wessel, über die „Aufstellung der SA-Posten vor den vorher genau bezeichneten jüdischen Geschäften und Warenhäusern“, wovon im Kreis-Jahrbuch ein Bild des jüdischen Kaufhauses „Rhela“ an der Bahnhofstraße 16 zeugt.

Von den fast 300 Juden in Siegburg verließen 46 vom Jahr 1933 an bis zur Pogromnacht 1938 die Kreisstadt, sie zogen in anonymere Großstädte wie Köln oder emigrierten in andere Länder. Als am 10. November 1938 die Synagoge in der Holzgasse 26 brannte, wurden auch die Schaufenster von sechs der nur noch 13 offenen jüdischen Geschäfte eingeschlagen, darunter der Laden des Pferdemetzgers Samuel Cohn.

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Bis Kriegsbeginn 1939 verließen weitere 62 Juden Siegburg. Die meisten zogen in die USA, nach Südamerika, Großbritannien und Palästina. 1940 gab es laut Adressbuch noch einen jüdischen Viehhändler in der Kreisstadt, Jakob Falkenstein. Jüdische Metzger gab es keine mehr. Die letzten Siegburger Juden wurden am 18. Juli 1942 nach Köln-Deutz transportiert, dann in Konzentrationslager im Osten Europas deportiert und ermordet.

Nach der aktuellen Einwohnerstatistik der Stadt Siegburg (Stand 1. Oktober 2020) hat die Kreisstadt nun 43 565 Einwohner, darunter nur vier Juden. Das sind 0,01 Prozent der heutigen Bevölkerung. Bisher wurden 94 Stolpersteine in Siegburg gelegt zum Gedenken an Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die mittlerweile mehr als 75 000 Stolpersteine in 25 europäischen Ländern gelten als größtes dezentrales Mahnmal der Welt.

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