Hänsel und Gretel in SiegburgPlötzlich hat der Zuschauer die Axt in der Hand
Siegburg – Langsam führt der Vater seine Kinder, Hänsel und Gretel, in den Wald. Dann lockt er die beiden unter einem Vorwand ins Unterholz, drückt einem verdutzten Zuschauer seine Axt in die Hand und verschwindet. Einem Zuschauer? Richtig: Diese Inszenierung des Grimmschen Märchens „Hänsel und Gretel“, zu dem der Komponist Engelbert Humperdinck die Oper schrieb, ist eine besondere Inszenierung der Studiobühne zum Humperdinck-Jubiläumsjahr.
Regisseurin Cynthia Oblas hat das Stück als Walking Theatre konzipiert: Die Zuschauer sitzen nicht in Stuhlreihen, sondern stehen mit den Schauspielern auf der Waldlichtung und folgen ihnen und der Handlung auf Schritt und Tritt.
Dialoge hört das Publikum über Funk-Kopfhörer
Das Elternhaus von Hänsel (Lea Marie Meier) und Gretel (Alexandra Ebert) gehört zum Kindergarten i-Tüpfelchen an der Baumschulallee in Kaldauen. Mit den schrägen Giebeln passt es wie die umliegenden Gebäude in die Märchenwald-Atmosphäre.
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Mit Funk-Kopfhörern auf den Ohren, die die Dialoge der Darsteller sowie untermalende Klangeffekte übertragen, verfolgen die rund 50 Zuschauer die wachsende Not der Eltern (Samuel Küßner und Marie Illies), aus der heraus sie eine folgenschwere Entscheidung treffen. Das Stück spielt vor den kleinen Hütten, aber auch im Inneren.
Studierende der Kölner Musikhochschule musizieren
Gespannt drängen sich die Kinder an den Fenstern oder wuseln um die Schauspieler herum. Begleitet wird das Stück von fünf Studierenden der Hochschule für Musik und Tanz Köln, die Humperdincks Oper mit Querflöte, Klarinette, Oboe, Horn und Fagott vortragen.
Anfang des Jahres hatten die Engelberg-Humperdinck-Freunde im Kulturbeirat der Stadt angeregt, die Oper des in Siegburg geborenen Komponisten aufführen zu lassen. Der Beirat trug das Anliegen an die Studiobühne heran, wo Oblas vor neue Herausforderungen gestellt wurde: „Die gängigen Theatertexte sind alle für eine normale Bühne gedacht, die wir hier im Wald nicht haben. Da musste ein völlig neues Stück entstehen, mit dem man der Bühne, die hier gegeben ist, gerecht wird.“
Und so kommt es, dass auch der Klimawandel Einzug findet in das 200 Jahre alte Märchen. „Das ist ja kein Wald mehr, den wir hier haben: Die Bäume sind alle abgestorben oder gefällt. Da passt es rein, dass der Vater, der ja Holzfäller ist, kein Geld mehr verdienen kann und seine Kinder in den Wald schicken muss“, sagt die 29-Jährige.
„Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass auch heute manche Menschen ihre Kinder wegschicken, in Schlauchboote über das Mittelmeer setzen, weil das die größte Chance zu überleben ist.“ Auch sprachlich hat das Stück deutliche Bezüge zur Gegenwart, wenn Hänsel zwischen dem Geruch von „Fuchspipi“ und „Pups“ den Duft von Lebkuchen wahrnimmt.
Und die Hexe (Marie Illies), die natürlich längst im Lebkuchenhäuschen lauert, auf den Plan ruft. Mit ihren weißen Lackstiefeln, Leoparden-Leggins und Wischmopp-Perücke sieht sie nicht gerade wie die klassische Märchen-Hexe aus. Das sei durchaus gewollt, erklärt Regisseurin Oblas: „Wir wollten keine komische Alte zeichnen, denn auch sie leidet unter dem Klimawandel und dem Zustand des Waldes, in dem sie lebt.“
Die Proben für das Stück hätten bei laufendem Kindergarten-Betrieb stattgefunden, erzählt Hänsel-Darstellerin Lea Marie Meier: „Die Kinder sind ein ehrliches Publikum, sie kommentieren alles, was man macht und dadurch ist man viel motivierter.“ Allerdings kämen sie auch nah heran, „das war schon krass“, meint die Schauspielerin. „Aber dadurch kann man sich mit seiner Figur auch ein paar Späße erlauben.“
Alle weiteren Vorstellungen am Donnerstag und Freitag ab 18 Uhr sowie am Samstag und Sonntag um 13 und 16 Uhr sind ausverkauft.