Liebe zum guten TonMaler Walter Seidel hat sich der Siegburger Keramik verschrieben
Siegburg – Der Aschaffenburger Kunstmaler Walter Seidel war im vergangenen Jahr zum ersten Mal im Leben in Siegburg. Gleichwohl ist seine Beziehung zur Humperdinck-Stadt intensiv. Die Verbundenheit fußt auf seiner Liebe zum rheinischen Steinzeug. Er versteht die subtilen Unterschiede zwischen der Kölner Keramik, der aus Raeren, Frechen und besonders der aus Siegburg. Der 70-Jährige kennt die Siegburger Trichterhalsbecher, die Kannen, Pullen, Schnellen, Bartmannskrüge oder prächtigen Stegkannen aus dem Effeff. Der gelernte Designer für Webwaren weiß um die Geschmeidigkeit des Siegburger Tons und um dessen geringen Eisenoxydanteil, der den Produkten die fast weiße Farbe gibt. In rund 40 seiner Gemälde ist filigran ausgearbeitetes Steinzeug aus der Aulgasse zu finden.
Sein frühes und für Heranwachsende ungewöhnliches Faible für Renaissance und Barock schließt den Künstler schnell für die Malerei der niederländischen Meister auf. Rubens, Pieter Brueghel d.Ä., Jan Brueghel d.Ä. und Rembrandt begeistern ihn, auch der Nürnberger Albrecht Dürer. Er studiert deren Farbgebung, Komposition, Lichtführung und Perspektive. Die Einflüsse seiner Vorbilder finden sich bis heute in vielen seiner Bilder.
Pflanzen als Inspirationsquelle
Schon Seidels frühe Werke sind von fesselnder Detailverliebtheit. Streifzüge durch die Natur rund um seinen Heimatort Dombühl, ins nahe Rothenburg ob der Tauber oder Reisen zu den Loireschlössern werden zur Motivquelle. Das Beobachten von Regenwürmern oder Bienen fasziniert ihn, auch das Studium des Mikrokosmos von Waldboden und Wiese nutzt er, um damit Gemälde mit haarkleinen Einzelheiten auszuschmücken.
„Zu den eindringlichen Erinnerungen aus dieser Zeit gehört eine bewusste Schönheit von Pflanzen“, sagt Seidel, der die komplette heimische Flora beim Namen nennen kann: „Eine Schafgarbe inspirierte mich genauso wie eine Kaiserkrone.“ Kunsthändler werden auf das große Talent aufmerksam. Mit 24 Jahren macht er sich als bildender Künstler selbstständig. Ohne nennenswertes Marketing bleibt er bis heute erfolgreich, verfügt über ein dichtes Kundennetzwerk, ohne es so zu nennen. Social Media und Computer sind ihm gleichgültig: „So etwas brauche ich noch nicht.“ Bereits 1987 schreibt eine Galeristin über ihn: „Er lebt in rätselhafter Unabhängigkeit.“
Frühes Interesse für Stillleben
Das Interesse des Autodidakten („Ich habe mir alles selbst ergründet“) richtet sich neben der Landschafts-, Architektur- und Porträtmalerei früh auf Stillleben. „Sie beeindruckten mich von Jugend an“, so Seidel. Auf die Siegburger Gefäßkeramik wird er 1974 durch Georg Flegels (1566-1638) Gemälde „Vorbereitung einer Mahlzeit“ aufmerksam. Dabei fasziniert ihn weniger der Schweineschinken als ein Krug am Bildrand. Wie er herausfindet, ist es ein Siegburger Trichterkrug: „Ich habe mich darin verguckt. Fast alle meine nächsten Bilder zeigten damals Siegburger Steinzeug.“ Wie sein „Meine Welt“, dessen Blick auf eine mittelalterliche Stadt die Kulisse für Siegburger Stegkanne und Trichterkanne bildet.
Die „Steinzeug-Bilder“ lassen ihn zum Sammler werden: „Ich kenne heute alle Händler.“ Er erwirbt unter anderem eine Stegkanne von 1593, die ihm zunächst eine Troisdorfer Keramik-Händlerin bei einer Auktion vor der Nase weggeschnappt hatte.
Parallelwelten als Miniatur
Einen weiteren Weg zur Malerei ging Walter Seidel über den Modellbau. „Ein Schlüsselerlebnis“ war als Siebenjähriger ein Klassenausflug ins fränkische Schloß Schillingsfürst. Sofort baute der Junge zu Hause ebenfalls ein Schloss, mit Knetgummi und Bauklötzen.
„Da mir in meiner schlichten, ländlichen Lebensumwelt von jeher in etwa gleichgesinnte Gesprächspartner fehlten, habe ich mir in Freuden diese kleinen Miniatur-Parallelwelten geschaffen und konnte damit meine gnadenlose Einsamkeit etwas kompensieren“, erinnert Seidel sich.
Später baute er den Dresdner Zwinger nebst Prunkzimmern mit gemalten Teppichen, Tapeten und Mini-Kronenleuchtern aus Pappe sowie einer Gemäldegalerie, für die er insgesamt 250 detaillierte Miniaturgemälde anfertigte. Diese Kunstfertigkeit wurde bereits mehrmals belohnt. Als Zwölfjähriger durfte Walter Seidel seine Modelle in Ansbach ausstellen. Sein „Fantasiemodell eines Renaissance-Schlosses“, das er als „Vervollkommnung“ seiner Technik sieht, fand im Jahr 2017 sogar den Weg in eine Ausstellung im Germanischen Museum in Nürnberg. (loi)
Seine Krüge und Kannen erklärt er mit der gleichen demütigen Detailliebe, wie er sie in Öl oder als Gouache verewigt. Etwa wenn er von „anmutigen Kerbschnitt-Elementen“ eines Trichterbechers oder umlaufendem Fries einer Kanne schwärmt. Von dem weiß er, dass ihm ein Ornamentstich von Theodor de Bry (1528-1598) zugrunde liegt.
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So findet sich in seinen Gemälden Steinzeug, das er im Original besitzt. So einen „sehr seltenen“ Becher, der in einem Kölner Brunnen gefunden wurde. In Seidels „Stillleben mit Steinzeugkrügen“ steht er in liebreizender Harmonie zwischen Trichterhalsbecher, Schnelle, Kölner Bartmannskrug und einem Obstteller.