Ein Leben im DoppelpackSiegburger Zwillinge werden 75 Jahre alt
Siegburg – „Es ist das Schönste überhaupt, ein Zwilling zu sein“, ist Annemie Stock überzeugt. Seit 75 Jahren ist sie auf diese besondere Weise mit ihrer Schwester Christel Böckem verbunden: „Uns gab es immer nur im Doppelpack.“ Der Start ins Leben verlief für die eineiigen Zwillinge dramatisch: Am 26. April 1945 gab es nach dem Einzug der amerikanischen Truppen noch keinen Strom in Siegburg, zudem hatten bei der Mutter die Wehen sechs Wochen zu früh eingesetzt.
Christel kam gegen 0.30 Uhr auf die Welt: „Unser Vater hockte mit der Kerze hinter dem Bett, damit die Hebamme überhaupt etwas sehen konnte.“ Und die hatte für das Familienoberhaupt gleich noch eine große Überraschung parat: „Ich glöv, da kütt noch jet . . . “ Drei Stunden später wurde Annemie geboren, beides „Frühchen“, wie man heute sagen würde: „Bei der Geburt waren wir nur knapp 40 Zentimeter groß und wogen um ein Kilo.“
Wäschekorb als Brutkasten
Die Familie war nur auf ein Baby vorbereitet gewesen, also musste die ganze Verwandtschaft schnell die zusätzliche Babyausstattung stricken: „Unser Brutkasten war ein Wäschekorb. Dafür wurde ein Ziegelstein im Ofen heiß gemacht, in ein Handtuch gepackt und zwischen uns Säuglinge gestellt.“
Aufgewachsen sind die beiden Nesthäkchen der Familie Konrad mit zwei Schwestern und einem Bruder in der Aulgasse: „Das war ein Paradies für uns. Wir hatten einen Bach im Garten und ein eigenes Baumhaus.“
Als die Schwestern neun Jahre alt waren, starb der Vater, und es begann eine schwere Zeit. Die Mutter arbeitete in Doppelschichten in der Kantine der Dynamit Nobel, die Aufsicht über die drei jüngsten Kinder übernahm die ältere Schwester, die inzwischen selbst verheiratet und Mutter war. Später erledigte die Mutter Heimarbeit für die Sprengstofffabrik. Und die beiden Mädchen halfen fleißig mit, erinnert sich Christel Böckem: „Natürlich war das Kinderarbeit. Aber wir wollten ja nicht hungern.“
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Für die Schwestern wurde die katholische Jugend um den legendären Kaplan Peter Heidkamp, später auch der Karneval, wichtiger Bezugspunkt. In der Schule erwies es sich oft als nützlich, dass die beiden nicht auseinanderzuhalten waren: „Das brachte die Lehrer immer wieder zur Verzweiflung.“
Ein Detail ist entscheidend anders
Als später unerwünschte Verehrer abzuweisen waren, wurde für die unangenehme Aufgabe ebenfalls die Schwester eingespannt. Anders als sein Schwager Norbert Böckem hatte Annemie Stocks Mann Josef zunächst Schwierigkeiten, die Zwillinge auseinanderzuhalten. Dabei gebe es einen eindeutigen Unterschied, erklärt Annemie Stock: „Im Gegensatz zu meiner Schwester bin ich Linkshänderin.“ Ein Phänomen, das bei Zwillingen häufig vorkommt, wie die Frauen seit ihrer Teilnahme an einer großen Studie wissen.
„Heute noch werden wir verwechselt. Die Leute wundern sich dann, wenn sie uns freundlich grüßen und wir gar nicht wissen, wo wir die hinstecken sollen“, amüsiert sich Christel Böckem. Die Begeisterung für den Karneval ist geblieben, inzwischen sorgen Kinder und Enkelkinder dafür, dass es beiden nicht langweilig wird. „Ich hatte zu allen Geschwistern eine gute Beziehung, die zu meiner Zwillingsschwester ist aber ganz besonders“, sagt Annemie Stock. „Und das wird auch immer so bleiben.“