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Leben mit Long Covid„Ich bin heute wieder ballaballa“

Lesezeit 4 Minuten
Eine Frau steht vor einer Küchenzeile; sie hält sich den Arm erschöpft vor die Stirn.

Mit chronischer Erschöpfung haben die meisten Long-Covid-Patienten zu tun, auch die Mitglieder der Selbsthilfegruppe (Symbolbild)

Wenn sie zum Arzt gehen, sind die Werte oft einwandfrei. Und doch können sie ihr altes Leben nicht wieder aufnehmen.

Sie war beim Kardiologen, beim Lungenfacharzt, natürlich beim Hausarzt. „Nach den Befunden gehts mir hervorragend“, sagt Iris M. aus Neunkirchen-Seelscheid. Tatsächlich leidet die 56-Jährige aber ständig unter Körper- und Gelenkschmerzen, hat Luftnot und Panikattacken.

Selbsthilfegruppe trifft sich in Troisdorf

„Immer schlimmer“ werden die kognitiven Störungen. Seit Dezember 2022 ist sie dauerhaft krankgeschrieben. Sie leidet an Long Covid oder Post Covid, den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung. Beim Treffen der Selbsthilfegruppe in Troisdorf teilt sie ihre Erfahrungen.

Kurz vor Weihnachten 2022 kam die Gruppe erstmals zusammen. Etwa acht Personen nähmen regelmäßig teil, berichten Heidi E. und Ralf Weidemanns. Wer bei einem Treffen zu Gast sein darf, erfährt viel über die Auswirkungen, die die nach wie vor rätselhafte Erkrankung haben kann.

Sieglarerin lag einen Monat lang im Koma

Sigrid B. hatte sich direkt zu Beginn der Pandemie im Winterurlaub angesteckt: Kellner in ihrem Hotel hatten das Virus aus Ischgl mitgebracht. Die Erkrankung nahm einen dramatischen Verlauf; einen Monat lag die heute 71-Jährige im Krankenhaus in Sieglar im Koma, wurde lange künstlich beatmet. In der Reha habe sie wieder laufen lernen müssen, berichtet sie.

Inzwischen ist sie wieder frei von Medikamenten, erzählt von Spaziergängen über zehn Kilometer. Allerdings friert sie schnell „auch bei 40 Grad“ und reagiert auf kleinste Mengen Alkohol mit rasenden Kopfschmerzen. Und schon bei kleinen Anstiegen nutze sie Wanderstöcke.

Autofahren tut sie nur kurze Wege und wenn sie die Strecke kennt

„Da kannst du ganz viele Kerzen anzünden“, kommentiert Iris M. die Schilderung. Sie hatte schon die zweite Impfung schlecht vertragen und hatte sich nach der dritten Injektion vermutlich bei einer Chorprobe angesteckt. Sechs Wochen war sie krank, davon zwei Wochen mit hohem Fieber. Sie kehrte in den Beruf als Sekretariatsleiterin einer Beratungsstelle zurück – um nur wenig später festzustellen: „Es geht nicht.“

Je nach Tagesform schafft sie heute kleine Wege, aber mehr als eine halbe Stunde Autofahren traut sie sich nicht zu, und auch die „nur, wenn ich die Strecke kenne“. Singen könne sie nicht mehr.

Trotz 99 Prozent Lungenfunktion kommt Königswinterer nur 100 Meter weit ohne Pause

Von der stetigen Auseinandersetzung mit Ärzten, Krankenkassen, aber auch mit dem privaten oder beruflichen Umfeld berichten die Betroffenen. „Einfach abgetan“ habe sein Arzt die Vermutung, dass Corona die Ursache für seine Beschwerden sei, berichtet Ralf Weidemanns. 99 Prozent Lungenfunktion zeigte der Test: „Ich musste aber nach 100 Metern eine Pause machen.“

Der Mitarbeiter des Außenministeriums kann nicht schlafen, ist tagsüber erschöpft. „Ich kann nicht mehr“, sagte der 55-Jährige aus Königswinter 2023 zu seinem Hausarzt. Gewinn zog er aus einer Reha auf der Insel Borkum – doch nur, um zuhause nach kurzer Zeit wieder dieselben Beschwerden zu haben.

Inzwischen arbeitet Weidemanns wieder. Wenig Verständnis finde er in seinem Umfeld: „Warum schläfst du so lange?“, bekomme er zu hören, wenn er denn endlich gegen Morgen eingeschlafen sei. Andere empfehlen, er solle sich morgens „mehr treten“.

Renate B., Pharmazeutin aus Sankt Augustin, hat sich aus dem Berufsleben verabschiedet und selbst gekündigt. Zu hoch war der heute 67-Jährigen der Druck geworden, wieder fit werden zu wollen und zu müssen. Viel Verständnis hatte ihr Arzt, die Informationen aber habe sie selbst sammeln müssen.

Es müsste Ärzte geben, die ausschließlich für Covid zuständig sind
Sigrif B. Long-Covid-Patientin

Etwa die, dass Verordnungen für Covid-Patienten außerhalb des Budgets abgerechnet werden. Eine Erfahrung, die auch andere gemacht haben. „Es müsste Ärzte geben, die ausschließlich für Covid zuständig sind“, wünscht sich Sigrid B.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich ohne meinen Google-Kalender so aufgeschmissen sein würde“, erzählt Renate B. Zwar habe sich der Geschmackssinn gebessert, dafür werde das Kognitive gerade „dramatisch schlechter“. Nach glimpflich verlaufener Corona-Erkrankung hatte sie im Zusammenhang mit einer anderen Erkrankung eine Reha machen müssen: fünf Wochen mit FFP2-Maske bei 35 Grad. „Vielleicht wäre es sonst auch anders gekommen“, sagt sie.

Troisdorferin fühlt sich immer wieder „ballaballa“

„Ich bin heute wieder ballaballa“, beschreibt Heidi E. aus Sieglar die Tage, an denen es ihr besonders schlecht geht. „Stark wetterabhängig“ ist es, sie kann dann nicht klar denken, leidet unter Kopfschmerzen. Sechs Wochen nach ihrer Erkrankung war sie im Frühjahr 2023 wieder in ihr Büro in der Bonner Stadtverwaltung zurückgekehrt – um wenig später festzustellen, dass sie auch nicht drei Stunden am Tag arbeiten kann.

Auch bei ihr sind alle ärztlichen Untersuchungen ohne Befund. Doch nun müsse sie sich mit dem Gedanken an eine Wiedereingliederung befassen oder ob sie etwas völlig anderes machen müsse.

Das Schlimme ist, dass du denkst, du bist noch der Alte
Ralf Weidemanns, Long-Covid-Patient

„Ich kann Ihnen nicht helfen“, hat Iris M.beim Arzt gehört, „gehen Sie zur Selbsthilfegruppe“. Einmal im Monat kommen die Mitglieder nun in Troisdorf zusammen. „Hier kann man reden, man muss sich nicht erklären“, sagt Ralf Weidemanns. Und vielleicht auch gemeinsam einen neuen Blick auf ihr Leben finden. Denn „das Schlimme ist, dass du denkst, du bist noch der Alte.“

Kontakt zur Selbsthilfegruppe über Ralf Weidemanns, telefonisch erreichbar unter 0151/46 52 10 69.