Internationaler FrauentagDas muss sich auch im Rhein-Sieg-Kreis ändern
Rhein-Sieg-Kreis – Am internationalen Frauentag sprechen vier Frauen in Führungspositionen über die Herausforderung, eine von wenigen Frauen an der Spitze zu sein – und was sich ändern muss.
Nicole Berka, Bürgermeisterin von Neunkirchen-Seelscheid
„Ein Raubfisch – es muss ja nicht gerade ein Hai sein“, antwortete Nicole Berka 2014 auf die Frage, welches Tier sie gern wäre. Da hatte sie gerade ihr Amt als Bürgermeisterin von Neunkirchen-Seelscheid angetreten und überraschend den langjährigen CDU-Gemeindechef ausgestochen.
Ihre zweite Amtsperiode folgte mit der Wiederwahl 2020. „Frauen brauchen mehr Mut und Biss als Männer, um in einen Wettbewerb hineinzugehen, weil sie mehr abwägen und das Scheitern fürchten. Diese Bereitschaft braucht man aber“, meint die Sozialdemokratin. Hinderlich für die Karriere sei die Rolle des „fleißigen Bienchens“; als weitere weibliche Falle nennt Berka Harmoniesucht.
Dagegen war die Diplom-Verwaltungsfachwirtin früh immun. Sie hat Streitkultur gelernt, zu Hause diskutierte man über Politik. Der Vater saß als SPD-Mitglied im Windecker Gemeinderat.
Dass Frauen in der Politik stark nach ihrem Erscheinungsbild beurteilt werden, bestätigt Berka. „Ich kann damit umgehen und habe das schon als Türöffner genutzt.“ In der Politik befinde man sich in einer Konfrontationszone. „Ich habe gelernt, Ablehnung und Widersprüche auszuhalten. Will man ressourcenschonend arbeiten, sollte man sich nicht in jeden Konflikt stürzen“, sagt die 41-Jährige.
Was sie dagegen schlecht aushalte, sei „das Wiederkäuen von Problemen, das Diskussionen unnötig in die Länge zieht. Männer neigen dazu, sich zu verschwafeln. Das ist auch eine Art von Kräftemessen“. Frauen seien lösungsorientierter, sagt Berka, die Rollenvorbilder für Politikerinnen wichtig findet. „Es ist ermutigend, dass es jetzt so viele Ministerinnen gibt.“ Die Kommunalpolitik hinke dagegen hinterher: Im Rhein-Sieg-Kreis sind nur vier von 19 Bürgermeisterposten in weiblicher Hand.
Erstaunen rief hervor, dass die Politikerin ihren Geburtsnamen Sander aufgab, als sie 2020 den Arzt Alexander Berka heiratete. „Ich fand, dass Alexander Sander nicht gut klang und habe die Namens-Entscheidung allein getroffen. Mein Mann hat erst bei der Trauung im Standesamt davon erfahren und war total überrascht.“
Annette Schroeder
Ludgera Decking, RSAG-Vorstandsvorsitzende
Der Weg in die Führungsetage eines großen kommunalen Unternehmens war für Ludgera Decking, Vorstandsvorsitzende der Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft (RSAG), deutlich weniger steinig als für viele andere Frauen, die Karriere machen wollen. „Der Aufsichtsrat der RSAG wollte ganz ausdrücklich eine Frau auf diesem Posten haben“, schildert Decking.
Dass ihr Vorgänger Karl-Heinz Meys als einer der Akteure des Kölner Müllskandals die RSAG in die Negativschlagzeilen gebracht hatte, förderte die Bereitschaft der Politik im Rhein-Sieg-Kreis, diese Aufgabe einer Frau anzuvertrauen. „Es lag wohl auch daran, dass Korruption noch immer überwiegend männlich ist“, sagt Decking.
Auch mehr als 20 Jahre nach ihrem Wechsel auf den Chefposten ist sie in der Entsorgungswirtschaft noch eine Ausnahme. „Die Branche ist männlich geprägt“, sagt Decking. Das zeigt auch die Belegschaft der RSAG. Um das zu ändern, setzt Decking vor allem auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Die Kinderbetreuung ist der Schlüssel.“ Deshalb bekommt die erweiterte RSAG-Zentrale in Siegburg eine Kindertagespflege, auch flexible Arbeitszeiten sollen mehr Frauen ermöglichen, im Unternehmen Verantwortung und Führungspositionen zu übernehmen.
Das allein reiche allerdings nicht aus, um Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, ist Decking überzeugt. Deshalb spricht sie sich für eine Frauenquote für Führungspositionen auch in der Wirtschaft aus. „Anfangs war ich dagegen, weil ich mit Leistung überzeugen wollte“, sagt die RSAG-Chefin, die auch Geschäftsführerin des Wahnbachtalsperrenverbandes ist. „Inzwischen bin ich auf jeden Fall pro Quote, weil sich gezeigt hat, dass das sonst nichts wird und wir das Ziel nicht erreichen.“
Peter Freitag
Almut van Niekerk, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises an Sieg und Rhein
Pfarrerinnen kennt auch die evangelische Kirche erst seit den 70er Jahren. „Aber dann kam es mit Macht“, berichtet Almut van Niekerk, die 2016 zur ersten Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises an Sieg und Rhein gewählt wurde. Heute gebe es „eine sehr hohe Zahl an Studentinnen“ der Theologie, im Pfarrberuf seien fast 50 Prozent der Stellen mit Frauen besetzt. Allerdings mit einem hohen Anteil an Teilzeitstellen. „Wenn’s in die Führungsetage geht, wird es eng.“
„Typisch“ nennt es Almut van Niekerk, die „sehr lange sehr begeisterte Gemeindepfarrerin“ war, dass sie vor der Wahl zur stellvertretenden Superintendentin für eine Kandidatur angesprochen wurde: „Eine strukturierte Frauenförderung bildet sich gerade erst aus in der evangelischen Kirche.“
Ein Grund mehr für sie, sich an einem Mentoring-Programm der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKIR) zu beteiligen. 15 bis 20 Frauen haben die Gelegenheit, erfahrene Partnerinnen um Rat zu fragen, von deren Erfahrungen zu profitieren. „Das habe ich damals leider nicht gehabt.“
Um als Frau ein Standing zu entwickeln, brauche es auch in der Kirche „Menschen, die Kompetenz erwarten und einem das auch zutrauen“. Anfangs keine leichte Aufgabe, wie sie einräumt. „Ich habe immer sehr hart gearbeitet, viele Termine wahrgenommen.“ Und wie viele Frauen hat sie das Gefühl: „Ich muss immer ein bisschen mehr tun, einen Leistungsnachweis erbringen.“ Gleichwohl betont sie: „In kirchlichen Kreisen ist es weit weniger ein Haifischbecken als anderswo.“
Dass sie einen spezifisch weiblichen Führungsstil ausübe, sieht die 54-Jährige nicht. Sie legt Wert auf „Team statt Ego“, weil sie „möchte, dass alle mitgenommen werden“, alle Beteiligten den gleichen Wissensstand haben. So hat sie den „Bericht des Superintendenten“ bei der zweimal im Jahr stattfindenden Kreissynode durch den „Bericht des Kreissynodalvorstands“ ersetzt. Diese Art zu führen bedeute viel zusätzliche Arbeit, zusätzliche Termine und viel Kommunikation. Aber: „Es ist ein Führungsstil, der unglaubliche Früchte trägt.“
Dieter Krantz
Svenja Udelhoven, Kreisdirektorin
„Es ändert sich etwas – langsam, aber stetig“, bewertet die stellvertretende Chefin im Siegburger Kreishaus die Aufstiegschancen der Frauen. Dass Männer noch immer manche Fachgebiete dominierten, sei historisch gewachsen. Aber auch bei Männern werde das Thema präsenter und als wichtig eingestuft. „Um auf die 50:50 zu kommen, müssen wir noch etwas arbeiten“, meint Udelhoven.
Dass Frauen diskriminiert werden, verneint sie für die Kreisverwaltung vehement: „Auf gar keinen Fall.“ Der Kreis habe das Homeoffice massiv ausgeweitet. Das verbessere die Arbeitsbedingungen für Männer und Frauen. Die gewonnene Zeit komme schließlich auch den Familien zugute. Allerdings müsse zu Hause geklärt werden, „dass nicht die Frauen sich neben der Arbeit noch um alles kümmern müssen, was da so anfällt“.
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Svenja Udelhoven hat drei Kinder im Alter von 29, 28 und 16 Jahren. „Wenn ich die frage, ob es ganz schlimm war, dass ich gearbeitet habe, antworten die mit »nein«“. Es sei wichtig, Kindern einen gesicherten Rahmen zu schaffen, Absprachen einzuhalten: „Arbeit ist nicht Schuld daran, wenn in Familien etwas schief läuft.“
Dass sich auch in den Familien etwas verändert hat, sei daran abzulesen, dass immer mehr Männer ihre Elternzeit in Anspruch nähmen und dann beispielsweise mit dem Kinderwagen unterwegs seien. Das beobachte sie auch in der eigenen Behörde. Familie und Beruf zu organisieren sei „auch anstrengend, aber es lohnt sich“.
Dass Frauen in der Wirtschaft im Schnitt fünf bis zehn Prozent weniger verdienen als Männer, weiß auch die Kreisdirektorin. Im öffentlichen Dienst aber werde die Stelle unabhängig vom Geschlecht dotiert.
Stephan Propach