RuhrgebietKritik am Bild der No-Go-Area – AfD-Angriff auf SPD-Stammwähler befürchtet
Düsseldorf/Essen – Fast hat es den Eindruck, als habe Innenminister Ralf Jäger (SPD) zwei Kronzeugen in sein Haus gebeten. Zwei von der Basis, aus Dortmund und aus Essen-Altenessen.
Detlef Rath, Chef der Polizeiwache Nordstadt und Thomas Rüth, Sozialarbeiter der Arbeiterwohlfahrt in Altenessen.
Zwei, die aus ihrer täglichen Arbeit die Erkenntnis mitbringen, dass es trotz aller Probleme mit Zuwanderern aus Südosteuropa, Drogenhändlern und libanesischen Familienclans in beiden Städten keine No-Go-Areas gibt.
„Zwei Dinge stören mich“, sagt Jäger: „Dass ein Zerrbild von einem rechtsfreien Raum gezeichnet wird, in den die Polizei sich nicht mehr hineintraut. Das gibt es nicht. Das ist schlichtweg eine Unverschämtheit. Und dass von politischer Seite der Versuch unternommen wird, mit AfD-Positionen Geländegewinne zu erzielen.“
Man sei weit davon entfernt, die Probleme schön zu reden, sagt der Dortmunder Polizist Detlef Rath. Die Bewohner des Stadtteils gewännen zunehmend den Eindruck, „dass das Thema in die Nordstadt hereingetragen wird“.
Natürlich gebe es Schwierigkeiten mit den Zuwanderern aus Südosteuropa und mit dem Drogenhandel der vor allem von Schwarzafrikanern betrieben werde. „Aber wir haben die Lage im Griff, seit 2013 rund 500 000 Euro an Bargeld aus diesen Geschäften sichergestellt.“
Die Bürger von Altenessen seien es leid, dass ihr Stadtteil „kaputt geschrieben wird. Das ist keine No-Go-Area, das ist die Heimat von Menschen. Die Quartiere werden den Bach runtergehen, wenn wir diese Menschen verlieren.“
Aber ist das nicht längst geschehen? „Nein“, sagt Thomas Rüth. „Wir arbeiten seit sieben Jahren mit Altenessener Bürgern, beleben die Nachbarschaften, starten Aufräumaktionen.“
Selbst libanesische Mütter hätten sich gegen die Familienclans gewandt. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben schon viel geschafft.“
Aber ob das reicht, bis zur Landtagswahl im Mai? Innenminister Jäger bemüht einen Vergleich, an den vor zwei Wochen niemand gezogen hätte. „Vor einem Jahr hat Donald Trump noch halb Europa als No-Go-Area bezeichnet.“
Guido Reil (47), Bergmann und ehemaliger Stadtteilpolitiker der SPD, der zur AfD übergelaufen ist, kann auf große Zustimmung hoffen. Als möglicher Direktkandidat im Essener Norden könnte er bei der Landtagswahl im Mai 2017 auf den Justizminister und Essener Parteichef Thomas Kutschaty treffen und ihn schlagen.
Reil wird seit seinem Wechsel zur AfD als Exot durch sämtliche Talkshows gereicht und spricht die Sprache derer, die man früher als klassische Arbeiter bezeichnet hat und die ihr Kreuzchen schon aus Tradition immer bei der SPD gesetzt haben. Er spricht aus, was in Altenessen viele denken.
Dass der Essener Norden überproportional mit Flüchtlingsheimen belastet ist, deren Integration wohl kaum gelingen werde. Das war im Januar und fällt, unabhängig vom Wahrheitsgehalt, auf fruchtbaren Boden.
Der Vergleich hinkt, doch genau in diesem Milieu hat Trump vor den US-Präsidentschaftswahlen gefischt, bei denen, die oft unverschuldet einen sozialen Absturz aus der Mittelschicht hinter sich hatten, weil Bergwerke und Stahlhütten geschlossen wurden.
Die SPD muss sich Sorgen um ihre Stammwählerschaft im Ruhrgebiet machen, sagen Politik-Experten. Jäger ist entschlossen, dagegen zu halten. „Ich habe Hunderte Bürgerversammlungen hinter mir. Man muss die Ängste ernst nehmen. Es gibt eine objektive und eine gefühlte Sicherheitslage.“
Mehr Präsenz der Polizei auf der Straße, „robustes Durchgreifen, wenn es notwendig ist, Dinge versachlichen, sich mit Fakten auseinandersetzen“.
Die sind klar: In der Dortmunder Nordstadt sind die Taschendiebstähle innerhalb eines Jahres um 30 Prozent, die Raubdelikte sogar um 40 Prozent gesunken.
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