Tüv-Experte im Interview„Einen Spielplatz ohne Mängel gibt es nicht“
Köln – Ralf Diekmann ist so etwas wie der Spielplatzpapst beim in Köln ansässigen Tüv Rheinland. Zum Interview hat er seine „Bibel“ unterm Arm. Die Spielzeugnorm, die auf 500 Seiten auflistet, wie die Spielgeräte aussehen müssen, wenn sie sicher sein sollen.
Herr Diekmann, wie lange testen Sie schon Spielplätze?
Ich bin eingestiegen mit der ersten großen, bundesweiten Spielplatzaktion 2005. Wir haben als Tüv Rheinland bundesweit in zehn Großstädten – auch in Köln – 100 Spielplätze auf Sicherheit getestet. Das Ergebnis war flächendeckend katastrophal. Es gab Durchfallquoten von über 90 Prozent. Wir mussten oft die Rote Karte ziehen und die Städte auffordern, Spielgeräte sofort abzubauen beziehungsweise zu sperren. Damals bin ich als junger Papa drangeblieben. Ziel war, die Betreiber zu sensibilisieren, damit Spielplätze sicherer werden.
Ist das gelungen? Wie ist Ihr aktueller Eindruck in Köln?
Die Entwicklung ist nicht nur in Köln positiv. Viele marode Altgeräte sind verschwunden. Diese hatten im Vergleich zu modernen Geräten konstruktive Probleme, waren schlechter vor Rost und Fäulnis geschützt. Gleichzeitig ist die Stadt im Umgang mit Spielanlagen professioneller geworden. Früher betreuten Schreiner oder Schlosser die Plätze, stets nach bestem Wissen, aber viele hatten nur wenig Ahnung von den richtigen Abständen zwischen den Spielgeräten oder den Dämpfungseigenschaften von Untergründen. Heute gibt es ausgebildete Spielplatzsachkundige mit modernem Equipment.
Trotzdem gibt es in Deutschland immer wieder mal Meldungen von tödlichen Unfällen auf Spielplätzen. So wie vor einigen Jahren in Sankt Augustin, wo ein Mädchen auf einer Rampe herunterrutschte und sich an einem Seil strangulierte.
Wenn es in den letzten Jahren zu tödlichen Unfällen gekommen ist, wurden Kinder meist von Holzspielgeräten erschlagen, die durch Witterungsschäden oder Pilzbefall zusammenbrachen. Oder die Ursache sind Fangstellen. Das sind Zwischenräume, wo der Kinderkörper durchrutscht, aber der in der Regel breitere Kopf hängen bleibt.
Viele Kinder sind so zu Tode gekommen. Jeder dieser Unfälle fließt in die europäische Normungsarbeit ein. Eine Kommission überlegt, was wir tun können, damit so ein Unfall nicht noch mal passiert. Das fließt in Form einer Vorschrift in dieses Buch – die DIN EN 1176-Norm – ein, die für alle Betreiber gilt.
Auf rund 500 Seiten finden sich darin Details wie die Abstände zwischen Stufensprossen. Das kommt einem spontan sehr deutsch vor...
Das klingt tatsächlich sehr deutsch, sehr penibel. Der ein oder andere wird es auch korinthenkackerhaft nennen, aber das ist auch gut so! Denn was sagen Sie einem Elternteil, dessen Kind tödlich verunfallt, weil ein Gerät falsch aufgebaut oder gewartet wurde. Oder eine Kontrolle „etwas zu spät durchgeführt wurde“.
Der Spielplatz soll keine heile Welt sein. Hier soll man sich auch Schrammen holen. Das gehört zum Heranwachsen dazu. Auf Spielplätzen sollen Kinder mit Gefahren umgehen lernen. Aber diese müssen für die Kleinen auch erkennbar sein. Von innen durchgefaulte Holzgeräte oder rissige Schaukelketten können Kinder nicht erkennen.
Haben Sie eine Schätzung, wie viele Kölner Spielplätze Mängel haben?
In Köln gibt es rund 700 Spiel- und Bolzplätze, da kann man keine solide Schätzung machen. Aber ich kann Ihnen versichern: Es gibt keinen Spielplatz ohne Mängel. Weil ein Spielplatz „lebt“ und permanenter Beanspruchung unterzogen ist. Und damit sind nicht nur die Kinder gemeint, sondern auch UV-Strahlung, Hitze und Frost, Regen und Sturm, die Holz und Metalle beanspruchen. Ganz zu schweigen von Vandalismusschäden durch Partyaktionen. All das wirkt permanent ein. Die Frage ist stets, ob es einen direkten Einfluss auf die Sicherheit gibt.
Was sind die häufigsten Mängel, auf die Sie bei Ihren Tests stoßen?
Neben Verunreinigungen und Vandalismus sind das vor allem die Untergründe, die nicht mehr ausreichend vorhanden sind und so ihre Dämpfungseigenschaften verlieren, wenn die Kinder aus größeren Höhen herunterfallen. Der Aufschlag wird nicht abgemildert. An zweiter Stelle sind Verwitterungsschäden oder Pilze im Holz zu nennen, das dann faul, marode und instabil wird. Außerdem Rost.
Worauf sollten Eltern denn achten, wenn Sie mit Ihren Kindern einen Spielplatz besuchen?
Erstmal sollte man mit dem Kind den Platz begehen und auf Scherben, Hundekot und Vandalismusschäden achten. Dann würde ich die Spielgeräte abgehen: Ist Pilz am Holz erkennbar, stehen Schrauben vor, sind Bretter abgebrochen, ist Rost erkennbar. Zum Schluss würde ich einen Blick auf den Untergrund werfen.
Zur Person
Ralf Diekmann (52) ist beim Tüv Rheinland Experte für Produktsicherheit und Spielplätze. Er war schon vor 13 Jahren dabei, als der Tüv die erste bundesweite große Spielplatz-Test-Aktion auf 100 Arealen durchgeführt hat. Damals war das Ergebnis – auch in Köln – katastrophal, und zwar flächendeckend. Sein Ziel war es daraufhin, Kommunen zu sensibilisieren, damit Spielplätze sicherer werden. (ari)
Wenn die Beton-Fundamente der Spielgeräte schon erkennbar sind, ist definitiv nicht genug Sand vorhanden. Wenn man einen Mangel erkennt, nicht einfach gehen. Am Eingang steht ein Schild mit einer Nummer, unter der man den Betreiber über Mängel informieren kann.
Dabei ist das Risiko durch marode Geräte eine Sache. Das höchste Gesundheitsrisiko auf Spielplätzen sind aber doch Kolibakterien durch Fäkalien, Vergiftungen durch Zigarettenstummel oder Verletzungen durch Glasscherben.
Diese „Hinterlassenschaften“ sind sehr problematisch. Gerade Kleinkinder stecken ja alles in den Mund. Da ist aber auch der Tüv machtlos, das ist ein gesellschaftliches Problem. Wir untersuchen zwar die Bepflanzung auf den Spielplätzen – auch da müssen wir oft giftige Pflanzen beanstanden – aber gegen weggeworfene Zigarettenstummel, Hundekot oder Spritzen sind wir als Tüv machtlos.
Hat sich das Problem zugespitzt?
Ja. Die Stadträume werden immer mehr verdichtet mit immer weniger Möglichkeiten für Jugendliche, sich niederzulassen. Daher suchen sie ihre Rückzugsräume auf Spielplätzen. Wenn die dann dort ihren Müll hinwerfen oder den Platz als „Toilette“ umfunktionieren, ist das oft ein Zeichen von Frustration und großer Gedankenlosigkeit. Aber das ist ein gesellschaftliches Problem, hier fehlt es oft auch am Unrechtsbewusstsein.
Oft tritt dann eine Abwärtsspirale in Kraft. Wo einmal Müll liegt, liegt am nächsten Tag noch mehr. Was können Anlieger eines Spielplatzes tun, damit der Platz nicht entgleitet?
Der beste Schutz ist, wenn sich möglichst viele für einen Platz zuständig fühlen. Spielplatzpaten sind eine wirkungsvolle Initiative. Vor dem Hintergrund, dass eine Stadt wie Köln 700 Plätze bereitstellt, die sie alle im Auge behalten muss, sind Paten superwichtig.
Dabei muss man als Pate „nur“ gewissenhaft die Augen offenhalten. Es reicht, wenn man regelmäßig vorbeischaut und Verunreinigungen, Mängel oder Vandalismusschäden meldet. Der Pate ist nicht für die Sicherheit verantwortlich!
Was mache ich denn, wenn ich die zuständige Stelle der Stadt über einen Mangel informiere und auch nach drei Anrufen einfach nichts passiert?
Wenn es gravierende, sicherheitsrelevante Punkte sind, würde ich mich direkt an die höchste Würdenträgerin der Stadt wenden, um den Fall dort öffentlich zu machen. Je mehr Leute Kenntnis von einem Missstand haben, desto besser. Wenn etwas passiert, kann niemand sagen, er wusste nichts. In der Regel reagiert die Stadt aber schnell. Als Eltern ist also niemand wehrlos. Wovon ich dringend abrate, ist Selbsthilfe. Wer selber etwas repariert, bringt sich haftungsrechtlich in eine schlechte Position.
Die Sicherheitsnorm schreibt den Betreibern vor, dass neben der jährlichen Hauptkontrolle und den vierteljährlichen Technikkontrollen alle zwei Wochen Sichtkontrollen durchgeführt werden müssen. Wie kann man wissen, ob das auch passiert?
Für jeden Spielplatz muss die Stadt ein Spielplatztagebuch anlegen, in dem alle Kontrollen dokumentiert werden. Wenn ein Kind verunfallt, muss die Stadt nämlich nachweisen, ob sie ihren Kontrollvorgaben nachgekommen ist.
Im Hinblick auf die Sicherheit haben Sie in Köln beim Spielplatz-Tüv Verbesserung konstatiert. Wie sieht es mit dem Spielwert aus?
Da ist noch viel Luft nach oben, gerade für Kinder ab dem Grundschulalter. Während für die ganz Kleinen Schaukel oder Rutsche viel hergeben, wird es für die Kinder ab acht Jahren schnell langweilig. Die neuen Spielplätze sind auf eine einfache Bewirtschaftung optimiert, gerade in den Innenstadtbereichen. Rückzugsräume, wo Kinder sich verstecken können oder Hügellandschaften sind die Seltenheit. Und ein prachtvoller, schattenspendender Baumbestand macht viel Arbeit.
Am Ende steht einfach eine platte Fläche ohne Schatten. Aber wer will im Sommer bei 30 Grad auf einer Rusche rutschen, auf der man Spiegeleier braten kann? Viele Plätze erfüllen nur mit einem Standardsortiment die Grundbedürfnisse für die Kleinsten.
Weil das für die Stadt preiswerter ist?
Spielplätze sind teuer. Bei so vielen Plätzen bleibt für den einzelnen nur ein überschaubares Budget. Im Zweifel ist es immer einfacher, ein altes oder unsicheres Gerät abzubauen, als es zu reparieren oder zu ersetzen. Der Platz muss aus Sicht der Kommune wartungsarm und kostengünstig sein. Spielgeräte für ältere Kinder – wie etwa Seilbahnen – sind teuer.
Aus entwicklungsphysiologischer Sicht sind aber doch Freispielflächen mit Matsch, Wasser, Sand oder Hügeln viel wertvoller. Auf einem Wackeltier zu schwingen ist dagegen vergleichsweise stupide...
Viele Kinderschutzverbände fordern das seit langem: Dass es Rückzugsmöglichkeiten für Kinder gibt, wo sie sich selber Spiele ausdenken und auch mal unbeobachtet sind. Aber auch das ist eben teuer und manchen Eltern ist so ein topfebener Platz auch lieber, weil sie jederzeit alles im Blick haben.
Wenn auf den städtischen Plätzen vieles besser geworden ist, wo sehen Sie in Köln noch Problemzonen?
Es rücken zunehmend Spielplätze im geschützten Rahmen, wie etwa in Kitas und Grundschulen, in den Fokus. Die werden durch den Ganztagsbetrieb viel massiver in Anspruch genommen als früher und sind dafür nicht immer ausgelegt. Gleichzeitig gibt es – besonders in privaten Elterninitiativen und Kitas – oft wenig Bewusstsein für die Gefahren mangelnder Wartung. Ein weiterer „Problemfall“ sind die Spielplätze vieler Wohnungsbaugesellschaften. Bei der Abnahme ist meist noch alles aufgebaut und fein, aber Jahre später stehen nur noch eine Wippe und ein Sandkasten im Innenhof. Die können sie problemlos vom Hausmeister betreuen lassen. Nur Kinder kommen keine mehr...