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50 Tage bis zur BundestagswahlEin Endspurt mit Fehlstarts

Lesezeit 8 Minuten
Annalena Baerbock Babeck

Annalena Baerbock, Die Grünen

Berlin – Es hätte alles so schön sein können. Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen, für den Wahlkampf nach zwei Monaten endlich als einstiges grünes Power-Duo wiedervereint, unter saftig grünen Kronen dichter Laubbäume im Naturpark Barnim in Brandenburg, wo eine Naturschutzstiftung zum Wohle des Klimaschutzes das Moor und die Wiesen wieder vernässt.

Nach quälenden Wochen schlechter Presse und sinkender Umfragewerte wollen die Grünen hier endlich wieder starke Bilder mit einem inhaltlichen Ausrufezeichen verbinden: Sie stellen ihr Sofortprogramm zur Klimarettung vor - das zugleich der Versuch ist, Annalena Baerbocks Kampagne zur Eroberung des Bundeskanzleramts zu retten. Es könnte der letzte sein, und höchstwahrscheinlich kommt er schon zu spät.

Umfragewerte sinken weiter

Denn wenn diese Woche nun endet, in der für alle drei Kanzlerkandidaten mit mehreren Auftritten der Endspurt des Wahlkampfs begonnen hat, weiß man: Die neuesten Umfragezahlen sind auch für Baerbock noch einmal schlechter als in der Vorwoche.

Und obwohl es die Grünen nach der Berichterstattung über falsche Angaben zu Nebentätigkeiten, Lebensläufen und Buchzitaten Baerbocks an diesem Dienstag schaffen, endlich einmal Schlagzeilen mit politischen Vorschlägen zu machen wie ihrem Klimaministerium mit Veto-Recht über alle Gesetzesvorschläge - so verbeißen sich doch danach viele schnell wieder in Baerbocks neuesten Patzer, die sich bei ihrem Wald-Auftritt statt im Barnim im 30 Kilometer entfernten “Oderbruch“ wähnte.

Eklat im Saarland

Am Donnerstag platzte dann die Hiobsbotschaft in Baerbocks Neustart-Träume, dass die Machtkämpfe, Kleinkriege und das Organisationschaos im Saar-Landesverband ihrer Partei dazu geführt hat, dass die Grünen im Saarland nicht zur Bundestagswahl antreten dürfen. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses dürfte die Grünen insgesamt zwar keinen halben Prozentpunkt kosten. Doch SPD-Kanzler Gerhard Schröder besiegte Unions-Herausforderer Edmund Stoiber 2002 mit einem Bruchteil der Stimmen, die Baerbock dadurch fehlen werden

Schlimmer noch: Die Parteichefin konnte offensichtlich nicht die Autorität aufbringen, Ordnung in ihren kleinen Landesverband zu bringen. Können ihr die Wähler also wirklich das Kanzleramt zutrauen?

„Klimaabkommen keine freiwillige Absichtserklärung“

Baerbock selbst will nicht länger öffentlich mit grünen Pannen hadern. Stattdessen will die Grüne wieder mit Sachthemen punkten - und dabei vor allem auf ihr Kernthema setzen. “Es ist völlig klar, dass wir mehr Tempo beim Klimaschutz brauchen“, sagt Baerbock deshalb am Freitag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Die neue Regierung müsse zuerst sehr schnell die Weichen für einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien stellen, so die Grüne: Dazu müsse “auf jedes neue Dach eine Solaranlage“ und zwei Prozent der bundesweiten Flächen für Windkraft freigegeben werden. Das würde auch der Industrie nutzen. “Herr Laschet und Herr Scholz müssen begreifen, dass das Pariser Klimaabkommen keine freiwillige Absichtserklärung ist, sondern ein internationaler Vertrag, der auch eine deutsche Bundesregierung bindet.“

Laschet und Scholz stehen nicht besser da

Selten zuvor hat sie ihre beiden Konkurrenten so direkt so scharf angegriffen. Aber wann, wenn nicht jetzt, ist Zeit für Attacke: An diesem Samstag sind es noch genau 50 Tage bis zur Bundestagswahl, und für Baerbock scheint der Traum vom Einzug ins Bundeskanzleramt so gut wie ausgeträumt.

Das Erstaunliche ist nur: Die beiden Kanzlerkandidaten von Union und SPD stehen nicht besser da. Im neuesten Deutschlandtrend kann keiner von ihnen mehr als ein Drittel der Wähler überzeugen - und käme auch keine klassische Zweierkoalition zustande.Kein Wunder, schleppt sich der Wahlkampf doch visionsfrei und kraftlos von einem Krisentermin zum nächsten: Nach der dritten Corona-Welle folgte das Hochwasser, und ehe sich die Fluten zurückziehen, muss die Bundespolitik schon wieder über die vierte Infektionswelle streiten.

Laschets Chancen könnten davongespült werden

Besonders für CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet ist das ein Problem. Die Flutkatastrophe, wie sie 2002 noch Schröders Hilfe zur Wiederwahl war, könnte Laschets Chancen auf das Kanzleramt nun davonspülen. Zumindest steht er in diesen Wochen der Zerstörung in Nordrhein-Westfalen als Landesvater nicht nur buchstäblich oft im Regen.

Bei einem Besuch im Hochwassergebiet von Swisttal bei Bonn wurde der Ministerpräsident zu Wochenbeginn zumindest feindselig empfangen. Worunter Menschen in der Corona-Krise durch viel zu spät gezahlte Überbrückungshilfen gelitten haben, erleben Betroffene der Hochwasserkatastrophe nun mit zu langsam anlaufender Soforthilfe.

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Bislang hätten junge Leute spontan beim Aufräumen geholfen, aber Unterstützung der Behörden inklusive der Landesregierung habe es noch nicht gegeben, schimpfte ein Mann bei Laschets Auftritt. Ein anderer warnte: “Sie werden es bei der Wahl merken.“ Tatsächlich sind Laschets Umfragewerte – sowohl seine persönlichen als auch die der Union – bescheiden. Zumindest lagen sie zuletzt deutlich unter 30 Prozent.

Für CSU-Chef Markus Söder, der sich für den besseren Kanzlerkandidaten hält, ein so schrilles Alarmsignal, dass er den CDU-Vorsitzenden in Interviews vor sich hertreibt. Ob er ihn damit aus dem “Schlafwagen“ holt, wie er ohne Laschets Namen zu nennen den Unions-Wahlkampf gern beschreibt, oder mit seinen Seitenhieben eher zusätzliche die Bremse reinhaut, ist allerdings offen.

Dem bayerischen Ministerpräsidenten ist vor allem wichtig, dass an ihm selbst nichts kleben bliebe, wenn die Union nach 16 Jahren Angela Merkel das Kanzleramt nicht verteidigen würde. Und sein Druck auf Laschet soll am besten auch vom eigenen Chaos ablenken: Sein Stellvertreter Hubert Aiwanger von den Freien Wählern provoziert seit Wochen mit öffentlicher Impfskepsis Zweifel an der Koalition in Bayern.

Wenig Vertrauen in Laschet

In die Fußstapfen der als Krisenmanagerin erlebten Kanzlerin zu treten, fällt Laschet allerdings wirklich schwer. Er wird so nicht wahrgenommen und deshalb könnte sich etwas zum Bumerang entwickeln, was eigentlich für Wahlen eine vielversprechende Rampe ist: die Wählerschaft im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Auch von der beliebten Noch-Kanzlerin erfährt er keinerlei Unterstützung: Das Positivste, was Merkel über Laschet in jüngerer Vergangenheit vermittelt hatte, war die Stabilität seiner Landesregierung trotz knapper schwarz-gelber Mehrheit. Wenn nun ausgerechnet in NRW Bürgerinnen und Bürger verzweifeln, birgt das Gefahren für den Bundestagswahlkampf.

Auch sonst kommt der Wahlkampf der Union nicht in Fahrt. Der am 21. August im Vergnügungspark Rust geplante Start des Schlussspurts wurde nach Berlin verlegt, und Laschets erste Wahlkampftour zu schönen Orten der Republik abgesagt. Freizeitpark und Weinprobe würden geradezu pietätlos wirken angesichts der vielen Toten und Betroffenen der Fluten in NRW und Rheinland-Pfalz.

Aber auch Laschets Besuche vor Ort hinterlassen nicht immer den Eindruck des Kümmerers und Landesvaters. Sein mit einer Kamera eingefangenes Lachen inmitten der Zerstörung hängt ihm nach.

Scholz profitiert von Schwächen der Konkurrenz

Unionsintern ist er nicht nur in der CSU angezählt, auch in der CDU rumort es. Er sei als Teamplayer gewählt, sagt Uwe Schummer (CDU), Chef der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion im Bundestag, dem “Spiegel“. Deshalb müsse er auch dringend ein Team von Köpfen präsentieren. Ein Team von Köpfen – das ist das Gegenteil von dem, was Olaf Scholz im Wahlkampf verkörpert. Er ist der Kopf der SPD, hinter dem sich alle versammeln. Ein gravierender Unterschied zum Konkurrenten Laschet.

Schon wittert die im Wahlkampf eben noch abgeschriebene SPD, die im Pferderennen um das Kanzleramt zwischenzeitlich sogar um den dritten Platz bangte, angesichts der Schwächen der Konkurrenz Morgenluft.

Während Laschet patzt und Baerbock nachhaltig verunsichert wirkt, spult der eigenen Kandidat unaufgeregt und routiniert sein Programm ab: So stellt sich die Lage jedenfalls aus Sicht der Wahlkämpfer im Willy-Brandt-Haus in dieser Woche dar.

„Alle Augen auf Olaf“

Die neuen Umfragen geben ihnen recht. Allerdings sind es vor allem die Beliebtheitswerte des Vizekanzlers Scholz, die sich peu a peu, aber stabil verbessern. Könnten die Deutschen ihren Kanzler oder ihre Kanzlerin direkt wählen, hätte Scholz inzwischen ziemlich gute Karten. Können Sie aber nicht – und die Zufriedenheit mit der Arbeit von Scholz überträgt sich nur sehr langsam auf die Zustimmungswerte der SPD.

Um den sanften Aufwärtstrend der Partei zu verstärken, handeln die Genossen deshalb nun nach der Maxime “Alle Augen auf Olaf“: Am Mittwoch stellte Generalsekretär Lars Klingbeil eine Wahlkampagne vor, die komplett auf den Kanzlerkandidaten fokussiert ist. “Scholz packt das an“, heißt der Wahlkampfslogan. Man muss schon sehr genau hinsehen, um in den Anfangsbuchstaben des Mottos noch die Abkürzung “SPD“ zu entdecken.

Das Rennen ist eng

Scholz, mit dem die Partei viele Jahre lang gefremdelt hat, genießt die neue Rückendeckung und Geschlossenheit sichtbar. Bei der Diskussionsveranstaltung “RND vor Ort“ beantwortete er an diesem Mittwoch in Kiel die Frage, ob es im SPD-Wahlkampf eigentlich noch Leute neben ihm geben werde, mit einem Witz: “Schattenkabinette und Kompetenzteams sind eigentlich eher eine Angelegenheit für die Heute-Show“, spottete der Vizekanzler mit Blick auf die ZDF-Satiresendung. “Wenn ich mal Zeit habe, so in 30 Jahren, dann schreibe ich ein Buch mit dem Titel: ´Mitglieder von Schattenkabinetten, die nicht Minister geworden sind.“

Selbst die notorisch quengelige Parteilinke hat sich dem Kandidaten unterworfen. Und auch die Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die sonst bei jeder Gelegenheit neben Scholz auf die Bühne drängen, halten sich im Moment auffällig zurück. Schon das zeigt: Das Rennen ist eng, und wenn es keinen Favoriten gibt, heißt das eben auch, dass noch keiner die Hoffnung aufgegeben hat, die Stimmung könnte sich noch zu seinen Gunsten drehen. Noch sind es 50 Tage bis zur Wahl.