Bornholm„Manche fragen sich, ob wir nun in den Krieg reingezogen werden“
Bornholm – Bornholm, 40.000 Einwohner, gilt auch als Dänemarks „Sonneninsel“ – gerade im Herbst besuchen viele deutsche Touristen die Ostseeinsel. Nach dem Auftreten der Gaslecks an den Nord-Stream-Leitungen ist Bornholm auf einmal ins Zentrum der Weltpolitik gerückt. Nord Stream 1 und 2 laufen nord- und südöstlich an der Insel vorbei. Wie gehen die Menschen vor Ort mit der Situation um? Wir haben mit Tommy Kaas, 43, von der Zeitung „Bornholms Tidende“ gesprochen.
Herr Kaas, was bekommen Sie aktuell von den Gaslecks vor Bornholm mit?
Wir hören oder riechen nichts. Auch die Explosionen haben wir nicht gespürt. Dabei ist das Nord-Stream-2-Leck nur 20 Kilometer vom Strand entfernt. Es ist ziemlich nah. Wir auf Bornholm haben erst über eine dänische Nachrichtenagentur von dem ersten Leck gehört, am Montagnachmittag gegen 15.30 Uhr – sonst hätten wir davon nichts mitbekommen.
Was ist gerade los auf der Insel?
Helikopter sind hier, um die Lecks zu kontrollieren, dazu Schiffe des Militärs. Alle Augen schauen gerade auf Bornholm. Es ist aber nicht so, dass hier nun alles voller Politiker wäre oder rund um die Uhr Helikopter über uns kreisten.
Erinnerungen an die sowjetische Besatzung
Wie haben die Menschen auf Bornholm auf die Nachrichten reagiert?
Eine Zeit lang wusste niemand, was das genau zu bedeuten hat. Wir dachten zuerst, es sei nur ein Unfall. Kein Grund, gleich an einen Anschlag zu denken. Bis wir von dem zweiten Leck gehört haben – da wussten wir, dass es kein Zufall sein kann.
Machen sich die Menschen Sorgen?
Einige Menschen sind tatsächlich besorgt. Sie fragen sich, ob wir nun mit in den Krieg reingezogen werden. Es ist auf jeden Fall ein neuer Schritt im Konflikt mit Russland, einzig ausgeführt, um uns Angst zu machen.
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Was treibt die Bornholmer um? Sorgen wegen des Krieges im Allgemeinen oder konkrete Sorgen um ihre Insel?
Beides spielt eine Rolle. Bornholm hat eine spezielle Vorgeschichte im Verhältnis zu Russland. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs besetzte die sowjetische Armee Bornholm für elf Monate. Daran erinnern sich die Menschen jetzt. Es gab damals Konflikte mit den Soldaten, es waren bedrückende Zeiten. Der Rest des Landes hat das Ende des Kriegs gefeiert, während hier die Sowjetunion übernommen hat.
Hintergrund: Bornholm wurde im Zweiten Weltkrieg von den Nazis besetzt. Nach der Kapitulation weigerte sich der deutsche Inselkommandant, Bornholm an sowjetische Truppen zu übergeben. Daraufhin bombardierten sowjetische Flugzeuge Bornholm und besetzten die Insel am 9. Mai 1945. Bis zum 5. April 1946 waren bis zu 800 sowjetische Soldaten hier stationiert.
Klimaschäden durch Lecks in Nord Stream befürchtet
Sie haben gestern mit einem Bornholmer Historiker und Russland-Kenner über die Situation gesprochen. Was ist seine Meinung?
1946 haben die Russen uns Bornholm zurückgegeben mit den Worten: Wir haben uns um die Insel nach der deutschen Besatzung gekümmert, jetzt müsst ihr selbst für Sicherheit sorgen. Was ist aber, wenn Russland dem Westen nun Sabotage an den Gaspipelines vorwerfen wird – und zu uns sagt: Anscheinend konntet ihr euch selbst nicht gut genug um die Sicherheit vor Ort kümmern? Er erwartet nicht, dass morgen russische Soldaten nach Bornholm kommen – aber Bornholm könnte Teil der konfrontativen Kriegsrhetorik werden, weil das Gebiet nun Teil des Konflikts ist.
Wie stehen die Bornholmer allgemein zu den Leitungen vor ihrer Insel und dem Nord-Stream-2-Projekt?
Ich denke, die Leute wären glücklicher ganz ohne Nord Stream. Wenn wir ohne Gas aus Russland auskommen könnten, wäre das am besten. Ich kenne auch keine Menschen, die von der Insel aus für das Projekt gearbeitet haben.
Was denken Sie, wie es in den nächsten Wochen weitergehen wird?
Fachleute werden die Lecks analysieren und hoffentlich bald schließen, weil es nicht gut für die Umwelt ist. Zum Glück haben die Behörden sehr schnell mit Messanlagen die Luft kontrolliert und festgestellt, dass für Menschen kein Gesundheitsrisiko besteht. Auch die Tiere im Meer sollen nicht darunter leiden. Aber die austretenden Gase schaden natürlich dem Klima.