Agrarminister Cem Özdemir im Interview„Die Strafbarkeit des Containerns ist absurd“
- Fleisch solle kein Luxusgut werden, aber Landwirte und Schlachter müssten auch leben können, sagt der neue Agrarminister Cem Özdemir.
- Im Interview kündigt er die Neuausrichtung der Agrarfinanzierung an und erteilt der Strafbarkeit des Containerns eine Absage.
- Und er spricht über den Sinn von Veggie-Days sowie über seinen ganz persönlichen Zugang zum Thema als Enkel von Landwirten.
Berlin – Herr Özdemir, Sie sind kaum im Amt und haben schon Ärger. „Keine Ramschpreise für Lebensmittel“ haben sie gefordert, mit Blick auf Bauern, Tierwohl und Klima. Wie sollen sich diejenigen höhere Preise leisten, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen?
Cem Özdemir: Jeder soll sich weiterhin Fleisch leisten können. Es soll kein Luxusgut werden. Aber es erstaunt mich doch immer wieder, dass gerade Union und Linkspartei stets dann die Sozialpolitik für sich entdecken, wenn es um den Dieselpreis oder billiges Fleisch geht. Ich finde es unredlich, wenn nun bestimmte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.
Soziale Gerechtigkeit beginnt für mich auch bei den Arbeiterinnen und Arbeitern in den Schlachthöfen, deren Mindestlohn wir endlich anheben werden. Und es geht um unsere Landwirtinnen und Landwirte, die wie alle anderen auch von ihrer Arbeit leben können müssen. Außerdem wollen wir das Klima schützen und die Tierhaltung verbessern. Landwirtschaftspolitik muss selbstverständlich sozial sein – aber sie ersetzt eben nicht die Sozialpolitik.
Es braucht konkrete Verbesserungen beim Tierwohl und beim Klimaschutz
Auch die Grüne Jugend kritisiert, bevor es höhere Lebensmittelpreise gebe, müssten die Menschen erst mal aus der Armut geholt werden. Sind Ihre Ideen Luxusdenken?
Es ist Luxus, weiterhin nichts zu tun, bis irgendwann der Stein der Weisen gefunden ist. Ich freue mich über die Debatte, und wir alle wissen, dass wir jetzt endlich anfangen müssen mit konkreten Verbesserungen beim Tierwohl und beim Klimaschutz.
Zumindest auf grüner Seite haben wir da keinen Dissens. Die öffentliche Diskussion hilft, sich darüber bewusst zu werden, wo die Lebensmittel herkommen und welche Leistung dahintersteckt. Wenn wir die knalligen Überschriften jetzt mal hinter uns lassen und mehr Differenzierung wagen, dann wird das was.
Mir muss als Arbeiterkind niemand von sozialer Gerechtigkeit erzählen
Trifft Sie der Vorwurf der sozialen Ungerechtigkeit nicht?
Mir muss als Arbeiterkind niemand von sozialer Gerechtigkeit erzählen. Ich weiß, was es heißt, wenn beide Eltern arbeiten mussten, in Schichtarbeit, im Akkord. Mein Vater hatte neben seinem Job in der Fabrik sogar noch einen Zweitjob an der Tankstelle, um die Familie über Wasser zu halten. Ich wehre mich dagegen, die Strukturen eines kranken und ausbeuterischen Systems einfach zu belassen.
Wie soll nun die Geringverdienerin mit ihrem Budget auskommen, wenn Essen teurer wird?
Unsere Koalition dreht an vielen Rädern gleichzeitig: Es wird einen höheren Mindestlohn geben, wir werden die Sozialleistungen erhöhen. Wir sorgen für gute Bildungspolitik, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und bessere Renten. Aber wir können nicht innerhalb von wenigen Wochen alle Probleme auf einmal lösen, die sich in 16 Jahren angehäuft haben. Aber wir haben angefangen.
Unterschiede zur Vorgängerin Julia Klöckner
Was machen Sie anders als Ihre Vorgängerin Julia Klöckner?
In meinem Haus wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen, umsetzen, verändern. Entscheidungen wurden bisher von der Führung ausgesessen – aus Angst vor Gegnern, aber auch vor der eigenen Partei. So läuft das mit mir nicht. Wir müssen am großen Rad drehen.
Kurz vor der Bundestagswahl hat die EU für die nächsten sieben Jahre die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) festgelegt. Die Grünen haben sie als zu wenig weitreichend kritisiert. Was können Sie jetzt noch tun?
Ich habe diese Reform leider geerbt und kann das erst mal nicht ändern. Es ist bedauerlich, dass die Agrarzahlungen weiterhin vor allem den Landbesitz belohnen statt Leistungen für den Umwelt- und Klimaschutz. Das ist nicht mein System, das können Sie mir glauben. Blockiert habe ich es dennoch nicht, weil die Bäuerinnen und Bauern jetzt Planungssicherheit brauchen.
2024 werden wir es jedoch mit Blick auf die Zielerreichung überprüfen und anpassen sowie ein Konzept für die nächste Agrarreform erarbeiten. Unser Ziel ist es, dass es Finanzierung aus öffentlichen Kassen dann nur noch für öffentliche Leistungen gibt. Landwirtinnen und Landwirte müssen mit Umwelt-, Tier- und Klimaschutz Geld verdienen können, als verlässliche Einkommenssäule.
Finanzielle Unterstützung für Landwirtinnen und Landwirte
Über die Agrarpolitik haben sich mehrere Kommissionen Gedanken gemacht. Die Borchert-Kommission hat vorgeschlagen, Landwirten Umbaukosten für Arten- und Klimaschutz zu bis zu 90 Prozent zu erstatten. Das kostet drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Ist das der richtige Weg?
Wenn wir Strukturreformen wollen, müssen wir die Landwirtinnen und Landwirte finanziell unterstützen. Es kostet nun mal viel Geld, einen Stall umzubauen. Kein Bauer steht morgens auf und sagt, er will Tiere schlecht halten oder Nitrat im Boden und im Grundwasser haben. Es sind die Strukturen, die das bislang erzwingen – und die wir ändern wollen.
Im Vergleich zu den Summen, die wir in der Automobilindustrie aufwenden für die Transformation vom fossilen Verbrenner zur emissionsfreien Mobilität, ist der Unterstützungsbedarf der Landwirtschaft relativ bescheiden.
Der Agrar-Etat muss also wachsen? Oder sollen die Verbraucher über eine Tierwohlabgabe helfen, wie Julia Klöckner sie vorgeschlagen hatte?
Vieles ist denkbar. Zum Nulltarif ist eine soziale und ökologische Neuausrichtung der Agrarpolitik jedenfalls nicht zu haben. Wenn wir es ernst meinen, dann müssen wir auch die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Darüber werden wir Gespräche führen.
Zuhören, keine Besserwisser und unterschiedliche Interessen zusammenbringen
Die Auseinandersetzungen über die Agrarpolitik waren oft sehr lautstark, Treckerdemos inklusive. Wie werden Sie damit umgehen?
In einer Demokratie kann man Regierungshandeln infrage stellen, kritisieren und gerne auch mal polemisch werden. Das muss man aushalten. Wichtig ist, dass man dabei respektvoll miteinander umgeht und dass das Privatleben der Leute draußen gehalten wird. Für politische Auseinandersetzungen sind drei Dinge entscheidend: Zuhören. Nicht glauben, dass man alles besser weiß. Und unterschiedliche Interessen zusammenbringen. Das ist mein Weg.
Klingt, als müssten sich die Grünen-Wähler eher auf Enttäuschungen einstellen.
Das sehe ich nicht. Man muss ja bewerten, was im Vergleich zum Status Quo erreicht wird. Aber wir Grüne haben bei der Wahl eben auch nicht 40,8 Prozent geholt, sondern nur 14,8 Prozent. Und so wie ich der festen Überzeugung bin, dass wir gute Inhalte haben, sind die Koalitionspartner es möglicherweise auch. Also muss ich das in einen Ausgleich bringen.
Bei den Lebensmittelpreisen ist auch der Handel im Spiel. Was schwebt Ihnen da vor?
Die großen Player dürfen nicht mehr länger die Preise diktieren und Margen optimieren. Für alle in der Lebensmittelkette braucht es faire Bedingungen. Wir wollen dafür unter anderem die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle im Bundeskartellamt stärken, weiter gegen unlautere Handelspraktiken vorgehen und prüfen, ob der Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten unterbunden werden kann.
Keine Lebensmittelverschwendung in der Wertschöpfungskette
Das Containern, also das Herausnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarkt-Abfallcontainern, ist strafbar. Wollen Sie das ändern?
Ja, das finde ich schon ziemlich absurd. Wir wollen die Lebensmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette – vom Feld bis zum Handel – reduzieren. Es hat sich gezeigt, dass es nicht reicht, auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen, wie es die Vorgängerregierung gemacht hat. Gerade im Handel geht es um die Erleichterung von Spenden, damit nicht mehr so viel weggeworfen wird.
Dafür sind haftungs- und steuerrechtliche Fragen zu klären: Die Angst vor zivilrechtlichen Klagen ist für viele Unternehmen ein Hemmschuh. Und es könnte helfen, wenn die Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden auch dann wegfällt, wenn die Ware beispielsweise falsch etikettiert ist. Das mache es für den Handel attraktiver, sie zu spenden anstatt wegzuwerfen.
Im Januar ist es bei der Eier-Produktion in Deutschland verboten, männliche Küken zu töten. Tierschützer wünschen sich weitergehende Regelungen, etwa auch für Eier, die als Zutaten verwendet werden. Ist das denkbar?
Es ist höchste Zeit, dass das Verbot kommt. Die Vorgängerregierung hat da mehrere Fristen gerissen. Wie es mit der Eierkennzeichnung weitergeht, werden wir prüfen. Ich halte eine Ausweitung auf verarbeitete Produkte durchaus für sinnvoll.
Umwelt- und Landwirtschaftspolitik dürfen sich nicht mehr blockieren
Ende 2022 läuft in der EU die Zulassung des Pestizids Glyphosat aus. Der Herstellerantrag auf Verlängerung ist gestellt.
Wir wollen Glyphosat 2023 vom Markt nehmen. In der EU suchen wir nach Verbündeten, damit die Zulassung nicht verlängert wird. Viele sehen die Anwendung von Glyphosat problematisch.
Der Agrarminister war bisher der klassische Gegner des Umweltministers oder der Umweltministerin. Nun sind beide Häuser in grüner Hand. Wie läuft das künftig?
Steffi Lemke und ich haben einen engen Draht zueinander und ein gemeinsames Ziel. Wir haben uns vorgenommen, dass unsere Ministerien befreundete Häuser sind, so wie es beim Fußball Fan-Freundschaften gibt. Wir werden Dinge nur bewegen können, wenn sich Umwelt- und Landwirtschaftspolitik künftig nicht mehr blockieren. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn zwei Grüne vier Jahre damit verbringen, sich gegenseitig nicht das Schwarze unter den Fingernägeln zu gönnen. Dann verlieren alle.
Die Eltern von Cem Özdemirs Vaters waren Landwirte
Haben Sie eigentlich auch einen persönlichen Zugang zur Landwirtschaft, ein Bauernhoferlebnis?
Die Eltern meines Vaters waren Landwirte. Dort, in der Türkei, bin ich früher immer in den Sommerferien gewesen. Und nun, viele Jahre später, schließt sich der Kreis. Mein Vater hat als Kind bittere Armut und Hunger erlebt. Er ist als Arbeiter nach Deutschland gekommen. Den Respekt vor harter Arbeit habe ich früh gelernt. Und ich bin in Baden-Württemberg in einer Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen, da ist einem die Landwirtschaft auch nicht so ganz fremd.
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Die Grünen haben 2013 richtig Ärger bekommen, als Sie im Wahlprogramm einen Veggie-Day für Kantinen gefordert haben. Trauen Sie sich da nochmal ran?
Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr überzeugter Vegetarier. Das musste ich mir hart erkämpfen, denn mein Vater hatte dafür kein Verständnis. Ich bin also unverdächtig, da ein Softie zu sein. Aber: Wer wann was isst, geht den Minister für Ernährung und Landwirtschaft und die Bundesregierung nichts an. Allerdings sollte es in Kantinen auch Auswahl geben, also auch ein gutes vegetarisches und veganes Angebot.
Im Übrigen glaube ich, dass die Gesellschaft da inzwischen viel weiter ist, als manche meinen. Wir retten die Welt nicht dadurch, dass wir an einem Tag in der Woche vegetarisches Essen propagieren, sondern indem wir dafür sorgen, dass wir künftig etwa die Futtermittel nicht mehr aus Südamerika importieren und dafür dort Regenwälder abgeholzt werden. Ich will mich um die Strukturen kümmern. Einkaufen müssen die Leute selber.