Der große UnterschiedTrump und Biden im Portrait
Washington – Die Vorstellung macht ihn fertig. „Gegen den schwächsten Kandidaten der Geschichte anzutreten, setzt mich enorm unter Druck“, ruft Donald Trump seinen Zuhörern regelmäßig zu: „Könnt ihr euch vorstellen, wie es wäre, wenn ich verlöre? Mein ganzes Leben werde ich daran denken müssen“, unkt er. „Sleepy Joe“, der schläfrige Joe, im Weißen Haus. Donald Trump, der größte Präsident aller Zeiten, in Rente: Die Bemerkung ist als sarkastische Spitze gegen den Herausforderer gedacht, den der Amtsinhaber als senilen Tattergreis karikiert. Doch wie oft bei Trump sagt sie mehr über den Urheber als über den Adressaten aus. Von seinem despotischen Vater, einem New Yorker Immobilienmogul, hat er gelernt, sich „wie ein Killer“ zu verhalten. Wenn ihn die Bürger aus dem höchsten Amt der USA vertreiben würden, wäre das die ultimative Demütigung. Also hetzt Trump durchs Land und steigert sich immer mehr in apokalyptische Untergangsszenarien für den Fall einer Niederlage.
Der vermeintliche Polit-Opa Biden liegt in den nationalen Umfragen nämlich mit gut sieben Punkten vorn, und auch die wichtigen Swing-States sympathisieren mit dem Demokraten. Überraschungen sind nie ausgeschlossen. Sollte aber der 77-jährige Ex-Obama-Vize am Dienstag den ehemaligen Favoriten besiegen, wäre das ein furioses Finale des ungewöhnlichsten Präsidentschaftswahlkampfs der amerikanischen Geschichte. Noch im Februar nämlich schien Biden im innerparteilichen Wettstreit um die Kandidatur abgeschlagen. Dann katapultierten ihn die Stimmen der Afroamerikaner in South Carolina an die Spitze des demokratischen Bewerberfelds. Monatelang lagen die öffentlichen Politikerauftritte kurz darauf wegen der Corona-Pandemie auf Eis. Nun laufen die Kampagnen wieder – aber mit zwei völlig konträren Konzepten und Kandidaten.
Abschied ohne Händeschütteln
„Ich wünschte, ich könnte von Auto zu Auto gehen und euch alle treffen“, versichert Biden. Es ist Samstag, und seine Kampagne veranstaltet in Bucks County in Pennsylvania ein Drive-in auf dem Parkplatz einer Schule. Genau 130 Autos finden mit ordentlichem Abstand von der Bühne Platz. „Ich mag die Idee der sozialen Distanz nicht“, gesteht er, „aber es ist notwendig.“ Biden redet gerade mal 25 Minuten. Dann setzt er wieder seine Maske auf und verabschiedet sich, ohne für Selfies zu posieren oder Hände zu schütteln.
Trump hingegen hat die Corona-Krise trotz 230000 Toten und inzwischen rund 80000 täglichen Neuinfektionen für beendet erklärt. „Das normale Leben kehrt zurück“, behauptet er. Bei der Wahl gebe es eine klare Alternative: „Trump-Boom oder Biden-Lockdown“. Die Überwindung der eigenen Infektion hat ihn in der Bagatellisierung der Gefahr bestärkt. Mehr als 20 Kundgebungen hat er seit seiner Gesundung absolviert, jeden Tag kommen zwei oder drei dazu. Meist spricht der Präsident auf kleinen Flughäfen, zwei- oder dreitausend Zuhörer drängen sich ohne Maske und Rücksicht auf Gesundheitsvorschriften. Der 74-Jährige redet sich in Ekstase, und er tanzt selbstverliebt zum Song „Y.M.C.A.“ auf der Bühne. „Das sind Massen, wie man sie nie zuvor gesehen hat“, brüstet sich der Präsident.
Die Größe des Publikums, die Höhe der Börsenkurse, der Profit der Unternehmen – das sind die Werte, an denen sich der Milliardär Trump orientiert. Nach seiner Einschätzung lief in den USA alles großartig, bis „China dieses Virus herausgelassen hat“. Politisch sieht er die Pandemie als ärgerliche Ablenkung. Persönlich, so beschreibt es seine Nichte Mary Trump, gilt ihm „Krankheit als Ausdruck einer unverzeihlichen Schwäche“. Als Bruder Fred, ein Alkoholiker, 1981 mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus kam (und kurz darauf starb), fuhr Donald nicht in die Klinik, sondern ins Kino.
Der Kontrast zu Biden könnte nicht größer sein. Mit 29 Jahren war der Nachfahre irischer Einwanderer gerade für Delaware als jüngster Senator gewählt worden, als in der Vorweihnachtswoche 1972 sein Leben implodierte. Bei einem Verkehrsunfall wurden seine Frau Neilia und sein Baby Naomi getötet, die Söhne Hunter und Beau schwer verletzt. Freunde berichten, dass der bislang Erfolgsverwöhnte lange mit dem Schicksal haderte. Nach der Heirat mit seiner jetzigen Frau Jill kehrte das Glück zurück, aber nicht auf Dauer. Lieblingssohn Beau wurde von einem Gehirntumor befallen, an dem er 2015 im Alter von 46 Jahren starb. Die tragische Familiengeschichte ist mit dem Namen Biden untrennbar verbunden. Seine Erfahrung hat ihn zu einer Art öffentlichem Seelsorger gemacht. Aufmerksam hört er sich bei Begegnungen die Nöte der Gäste an, und öfter gibt er ihnen seine Telefonnummer. Die Pandemie hat er ins Zentrum seines Wahlkampfes gerückt. Er wirft dem Amtsinhaber vor, die Gefahren verharmlost, die Wissenschaftler mundtot und das Maskentragen diskreditiert zu haben, das den Tod von Zehntausenden Menschen hätte verhindern können.
Biden fordert Anstand und Respekt
Bei den politische Inhalten hat sich der Pragmatiker seit seiner Nominierung auf den linken Flügel der Partei zubewegt. Er verspricht nun eine Anhebung der Unternehmenssteuern, ein Investitionspaket für Klima und Infrastruktur und die Einführung einer optionalen öffentlichen Krankenversicherung. Doch im Kern steht das Versprechen, den gesellschaftlichen Fieberwahn zu beenden, mit dem Trump das Land angesteckt hat. Biden prangert die kaum versteckten Grußadressen des Präsidenten für Rechtsextreme und dessen Verhöhnung gefallener Soldaten als „Verlierer und Trottel“ an, fordert „Anstand und Respekt“ und verspricht, das Land einen zu wollen: „Ich bewerbe mich als stolzer Demokrat, aber ich werde als amerikanischer Präsident für alle arbeiten.“
Daran hat Trump kein Interesse. Sein Geschäftsmodell beruht auf der Spaltung des Landes und der Mobilisierung jener 40 Prozent, die ihn unerschüttert unterstützen. Mit dem Gespür des Profiboxers hat er die verwundbaren Stellen seines Gegners ausgemacht. Biden ist kein guter Redner, er hat als Kind gestottert und ringt noch heute manchmal nach einem Wort. Zudem merkt man dem 77-Jährigen gelegentlich sein Alter an, wenn er eine Zahl verwechselt. Trumps wilde Zwischenrufe in der ersten Fernsehdebatte dienten dem Ziel, den Redner aus dem Konzept zu bringen. Gleichzeitig lässt er teilweise manipulierte Videoschnipsel verbreiten, die Biden wie einen Demenzkranken wirken lassen. Das ist perfide, denn tatsächlich weiß die Öffentlichkeit nichts über den Gesundheitszustand des Präsidenten. Auch seine Finanzen liegen im Dunkeln, weil er anders als Biden seine Steuererklärung nicht offenlegt. Doch auch hier projiziert er die eigenen Probleme auf seinen Herausforderer, dem er eine Korruptionsaffäre anzudichten versucht. Ein „Krimineller“ sei Joe Biden, ruft der Präsident seinen Anhängern zu. „Hört ihr die Rufe dahinten?“, lockt er die Basis. Es dauert nicht lange, bis mehrere Tausend lautstark „Lock him up“ (Sperr ihn ein!) skandieren.
Das erinnert fatal an den Wahlkampf von 2016, als Trump seine damalige Herausforderin Hillary Clinton ins Gefängnis werfen wollte. Auch sonst greift der Präsident tief ins Retro-Drehbuch des Horrors. „Kein Öl, keine Waffen und keinen Gott“, werde es unter einem Präsidenten Biden geben, die Wahl sei die wichtigste in der amerikanischen Geschichte sei. Es geht also um alles.
Auch Biden wählt ganz große Bilder. Für ihn ist der Urnengang am Dienstag eine schicksalhafte Abstimmung über den Dämonen Trump und „die Seele Amerikas“. Demonstrativ besuchte er diese Woche Warm Springs, den legendären Rückzugsort des ehemaligen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der das Land geeint durch die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg führte. „Von Zeit zu Zeit in unserer Geschichte haben wir Scharlatane gesehen, Rattenfänger, verlogene Populisten, die mit Ängsten spielen, an die schlimmsten Impulse appellieren und alles zum eigenen Vorteil nutzen“, sagte Biden. Nur drei Dutzend Gäste und ein paar Kameras waren bei dem Vortrag zugelassen. Die Rede klang ernst und staatsmännisch. Biden zitierte Roosevelt, Papst Franziskus und die Bibel.
Am Samstag ist der Kandidat in Michigan erstmals mit seinem ehemaligen Chef Barack Obama aufgetreten. Mehr politisches Gewicht geht kaum. „Gott und die Geschichte rufen uns in diesem Augenblick und zu dieser Aufgabe“, mahnte er in Warm Springs: „Wir müssen uns mit unseren Stimmen von den Mächten der Dunkelheit befreien.“