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„Die Fifa hat weiter an Glaubwürdigkeit verloren“Lahm kritisiert Infantino scharf

Lesezeit 4 Minuten
Letzter Weltmeisterkapitän und WM-Kolumnist: Philipp Lahm.

Letzter Weltmeisterkapitän und WM-Kolumnist: Philipp Lahm.

Die umstrittene Weltmeisterschaft in Katar neigt sich ihrem Ende entgegen. Deutschlands letzter Weltmeister­kapitän Philipp Lahm zieht Bilanz und schreibt in seiner RND-Kolumne über die Glaubwürdigkeit der Fifa, die Erkenntnisse für die Heim-EM und seine schwere Aufgabe beim DFB.

Am Sonntag geht die Fußball-WM in Katar zu Ende. Und mehr denn je wird man sich vermutlich eine Frage stellen: Was bleibt hängen? War dieses Turnier nun ein Erfolg oder nicht? Und was sind die möglichen Lehren für die Zukunft?

Meine Meinung ist klar: Der Fußball funktioniert immer! Und das ist vielleicht auch gleich die wichtigste und schönste Erkenntnis. Sportlich waren es gute Spiele, das Publikum vor Ort und in der Welt war begeistert. Fußball ist so divers, eine Mannschaft bildet so viel ab, was den Zusammenhalt betrifft oder wenn es darum geht, ein Individuum zu integrieren. Beginnt das Spiel, ist alles in Ordnung. Das war auch bei dieser WM der Fall. Und wer sich die Spiele angeschaut und auf den Sport eingelassen hat, der hatte auch Spaß.

Argentinien hat mich am meisten beeindruckt
Philipp Lahm, Deutschlands letzter Weltmeisterkapitän

Es gab einige Mannschaften, die mir sehr viel Spaß bereitet haben. Argentinien hat mich von Anfang an am meisten beeindruckt, trotz der Auftakt­niederlage gegen Saudi-Arabien. Das Kollektiv arbeitet gut zusammen, es spielen alle für Lionel Messi. Das ist die Kunst, so ein Kollektiv zu entwickeln, sodass ein Künstler wie Messi glänzen kann. Und das ist auch ein Verdienst des Trainers. Der Spruch ist so alt wie der Fußball: Der Angriff gewinnt Spiele, die Defensive Titel. Auch das hat sich in diesem Turnier bewahrheitet. Es war kein Zufall, dass Kroatien und auch Marokko im Halbfinale standen. Zwei Teams, die mit jeder Faser verteidigt haben.

Mit Marokko hat zudem ein Außenseiter überrascht, wie man sich es bei großen Turnieren wünscht. Und Frankreich steht zu Recht im Finale, da die Mannschaft trotz der vielen Ausfälle Qualität und Talent vereint – und einen Trainer hat, der damit umgehen kann, der auf ein strukturiertes Spiel setzt und nicht unruhig wird, sobald es in einer Phase des Spiels mal nicht wie geplant läuft.

Was hat bei dieser WM nicht funktioniert? Die Fifa hat durch den obersten Repräsentanten weiter an Glaubwürdigkeit verloren. Man hat immer mehr den Eindruck, dass Gianni Infantino nicht die beste Lösung im Sinne des Fußballs sucht und dass er schlicht nicht integer ist. Es geht doch darum, dass das Kind bereits vor zwölf Jahren in den Brunnen fiel, als unter zwielichtigen, merkwürdigsten Umständen dieses Turnier nach Katar vergeben worden ist. Infantino macht nicht den Eindruck, als ob er daran etwas ändern will. Er macht sich das Spiel zunutze. Das ist das Problem der Fifa, einer Institution mit Sitz in Europa – nicht des Fußballs. Und das lässt sich nur ändern, indem man künftig endlich auf ein vernünftiges, transparentes Vergabe­verfahren setzt.

Schulterschluss in Europa gefordert

Wir als Europäer müssen nun zusammenstehen und verhindern, dass es noch mal zu solch einem Skandal kommt wie bei der WM-Vergabe 2010. Wir müssen Integrität zeigen, Europa muss wehrhaft bleiben. Denn eine Weltmeisterschaft ohne Europa funktioniert nicht. Viele der Argentinier spielen in Europa, die Franzosen sowieso, auch die Marokkaner orientieren sich an Europa. Bei der EM 2024 geht es auch darum, unsere Werte wieder mehr in den Vordergrund zu rücken und vor allem das Spiel. In einem demokratischen Land – und ich denke, dass die Leute darauf Lust haben.

Innerhalb des DFB sind die ersten Entscheidungen gefallen, nun werden wir in unseren Gruppen die Arbeit aufnehmen und alles dafür tun, mit Blick auf die Heim-EM wieder eine Identifikation mit der National­mannschaft, mit dem Verband zu schaffen. Das wird nach den letzten Enttäuschungen sicherlich keine einfache Aufgabe.

Ich glaube dennoch ganz fest daran, dass die Menschen in Deutschland wieder mit besserer Laune, mit größerer Begeisterung auf die Spiele schauen, als sie es in diesem Winter aus vielerlei Gründen getan haben. Für Deutschland und Europa ist das nächste Turnier eine große Chance, es richtig zu machen, sich an Regeln zu halten und den Fokus auf das zu lenken, was wir alle am meisten lieben – nämlich den Fußball.