Als Weltmeister und langjähriger Nationalspieler hat Philipp Lahm einen besonderen Blick auf die Leistungen des DFB-Teams in Katar. Ein Gastbeitrag zum WM-Aus der deutschen Mannschaft.
Gastbeitrag von Philipp LahmDie deutsche Mannschaft wirkt führungslos
Es ist tatsächlich passiert, was keiner so richtig für möglich gehalten und doch alle irgendwie befürchtet hatten. Deutschland ist zum zweiten Mal in Folge bei einer Fußball-WM nach der Vorrunde ausgeschieden. Das ist natürlich schockierend für jeden Fan in Deutschland, für jedes Kind, das sich auf dieses Turnier gefreut und mitgefiebert hat. Auch ich musste meinen Sohn trösten.
Im letzten Spiel haben wir mit dem 4:2 gegen Costa Rica immerhin vom Ergebnis her die Pflicht erfüllt. Das Worst-Case-Szenario war ja, dass Japan und Spanien unentschieden spielen – und wir selbst nicht siegen. Das haben wir vermieden und mit zwei Toren Unterschied gewonnen. Dabei hatten wir sogar Chancen für sieben, acht Tore. Aber diese WM ging für uns deshalb so zu Ende, weil man sich in eine Situation gebracht hat, die eine große Fußballnation vermeiden muss: Man darf das erste Spiel nicht verlieren.
Bis 2018 ist uns das eigentlich auch immer gelungen. Und wenn es dann doch passiert, muss man es halt so machen wie Argentinien und die zweite Partie gewinnen – egal wie der Gegner heißt. Bei allem Respekt, aber Spanien gehört ohne Puyol, Iniesta oder Xavi auch nicht mehr zu den absoluten Topnationen, das wird sich meiner Meinung nach im weiteren Turnierverlauf auch noch zeigen. Bei Deutschland konnte man ein Muster erkennen. Leidenschaft und Engagement konnte man der Mannschaft in keinem Spiel absprechen. Man hatte jederzeit das Gefühl, dass wir einen Gegner überrennen und Chancen herausspielen können – aber es fehlte an defensiver Struktur und Stabilität, an der richtigen Balance.
Es war teilweise ein Albtraum für Manuel Neuer, wenn man bedenkt, wie oft Spieler frei vor ihm auftauchten, sogar gegen Costa Rica. Diese Mannschaft hatte vorher einmal aufs Tor geschossen und kam gegen uns immer wieder zu guten Tormöglichkeiten. Wir haben den Gegner quasi wiederbelebt, weil wir es nicht geschafft haben, ihn weit genug weg vom Tor zu halten. Unsere Innenverteidiger sind körperlich stark, aber sie haben Defizite, wenn es um taktische Disziplin geht. Umso wichtiger wäre es gewesen, dass man sich in den Monaten vor dem Turnier einspielt, für eine Achse entscheidet. Das war leider nicht der Fall.
Wir haben viele gute Spieler, tolle Talente wie Musiala, Sané, Gnabry, Havertz. Aber sie müssen auf diesem Niveau Verantwortung übernehmen. Die Mannschaft wirkt führungslos. Nun gilt es, die Richtigen zu finden, auch mit Blick auf die Heim-EM, die schon in 18 Monaten beginnt und für die das Abschneiden natürlich eine Katastrophe ist, da brauchen wir nicht drum herumzureden.
Egal, wie die Umstände in Katar auch waren, am Ende braucht es eine Mannschaft, mit der man sich identifizieren kann. Und wenn diese nicht erfolgreich ist, geht etwas verloren. Das war in den letzten Jahren leider der Fall und hat sich durch diese WM nicht gebessert. Was heißt das jetzt? Was sind die kommenden Aufgaben?
Ich halte nichts von populistischen Maßnahmen oder irgendwelchen Schnellschüssen. Nach katastrophalen Turnieren genau wie nach großen Siegen muss man die Situation in Ruhe besprechen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Es ist nun die Pflicht der Verantwortlichen, diese Dinge so transparent wie möglich anzugehen.