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Ex-Brigadegeneral VadDas Militär wird nicht gegen Putin aufstehen

Lesezeit 9 Minuten
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Dieser russische Panzer wurde zwischen Okhtyrka und Trostyanets zurückgelassen.  

Ein Regierungschef Wladimir Putin, der nicht mehr richtig von seinen Beratern informiert wird? Für Ex-Brigade­general Erich Vad ein Phänomen, das sich auch im Westen beobachten lässt. Wieso Vad nicht daran glaubt, dass sich im Kreml gerade etwas dreht, warum die Russen chemische Waffen meiden werden „wie der Teufel das Weihwasser“ und was Deutschland jetzt für ein neues Mindset braucht. Ein Interview.

Herr Vad, die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland sollen erste Ergebnisse gebracht haben. Der Krieg geht währenddessen unverändert weiter. An welchem Punkt des Konflikt befinden wir uns gerade?

Der russische Truppenabzug aus dem Raum Kiew ist zu beobachten. Ob das eine Verlegung ist, ob es eine Umgruppierung ist, ob es den Russen nur um Zeitgewinn geht, das kann man im Moment eigentlich nicht sagen. Richtig ist, wir haben weiterhin starkes Artilleriefeuer auf die urbanen Zentren im Osten. Und die Russen operieren auch mit Schwerpunkt im Südosten. Das haben sie aber im Grunde schon die ganze Zeit getan, mal abgesehen von dem Vormarsch in Richtung Odessa und dem Herstellen der Landverbindung von der Krim in den Donbass. Die russische Belagerung von Kiew bündelt dort aktuell viele ukrainische Kräfte. Da zögern die Russen natürlich zu Recht, dort jetzt wie in Mariupol in einen Straßen- und Häuserkampf reinzugehen.

Die Ukrainer selbst machen nur kleinere, begrenzte Gegenaktionen. Aber ich möchte nicht sagen, dass das richtig groß angelegte Gegenangriffe sind, die dann die operative Situation wirklich verändern. Das ist im Moment so die Situation. Die Russen haben schon das Heft des Handelns in der Hand, auch wenn das in den westlichen Medien anders dargestellt wird. Aber das ist einfach nicht so.

In anderen Kriegen war der Rückzug des Angreifers auch eine Art Ankündigung eines möglichen Einsatzes chemischer oder biologischer Waffen. Können Sie sich vorstellen, dass es in der Region Kiew jetzt zum Einsatz solcher Waffen kommen könnte?

Den Einsatz biologischer Waffen schließe ich aus. Bei den chemischen Waffen gibt es ein weites Spektrum, von betäubend bis hin zu letal, also tödlich. Im Häuserkampf braucht der Angreifer mindestens eine fünf- bis zehnfache Überlegenheit, um letztlich da erfolgreich zu sein. Und das kostet sehr viele Opfer – vor allen Dingen auf Seiten des Angreifers. Und da könnte er versucht sein, chemische Waffen einzusetzen. Das ist schon eine Gefahr. Aber ich muss ehrlich sagen, das jetzt ist anders als damals in Aleppo. Es ist auch anders als in Grosny. Denn hier geht es um Kiew. Das ist eine andere Situation. Und ich glaube, die Russen werden den Einsatz chemischer Waffen meiden wie der Teufel das Weihwasser. Chemische Kampfstoffe gegen die Ukraine einzusetzen, dazu sind die ethnisch, sprachlich, kulturellen Verbindungen zwischen beiden Völkern zu stark. Und dann ist Kiew noch das Zentrum der christlichen Orthodoxie. Das kann man nicht so plattmachen wie Grosny.

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Die Geheimdienste der USA und Großbritanniens berichten jetzt darüber, dass Putin wohl aus Angst fälschlich informiert wird von seinen Beratern. Was sagt das über die Situation im Kreml?

Putin steht da als Präsident, als Regierungschef. Und natürlich steht er sehr unter Strom aktuell. Er ist international isoliert, hat diese riesigen Pakete an Sanktionen. Er sieht, dass die Ukraine voll geflutet wird mit westlichen Waffen. Und er muss den Krieg jetzt irgendwie erfolgreich zu Ende bringen, sonst ist er auch politisch tot und weg vom Fenster. Und das ist natürlich ein wahnsinniger psychologischer Druck, das muss man einfach sehen. Und da kann schon sein, dass da seine Leute ihm nicht mehr alles sagen. Aber das Phänomen haben wir bei westlichen Regierungschefs auch. Heißt, ich weiß nicht, ob man jetzt so einfach sagen kann, dass Putin total isoliert sei. Die angebliche Tatsache, dass er nicht mehr richtig informiert werden soll, insinuiert eine Untergangsstimmung, bei der ich nicht meine, dass sie wirklich da ist. Ich glaube auch, die Generalität wird nicht gegen ihn aufstehen. Und einen Stauffenberg sehe ich da nicht. Und der Geheimdienst funktioniert auch noch. Alles in allem wäre ich also vorsichtig zu hoffen, dass sich im Kreml gerade etwas dreht.

Am Dienstag wurden erste Verhandlungsergebnisse aus den Friedensgesprächen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul bekannt. Da machte sich auch am Markt kurz Euphorie breit, der Ölpreis sank, der Rubel stieg an. Danach hieß es schnell aus dem Kreml, die Ziele des Krieges würden unverändert weiterverfolgt. Glauben Sie, Putin nimmt die Verhandlungen, wie sie aktuell laufen, überhaupt für voll oder ist das eine Finte?

Also ich würde das nicht so sehen. Es zeigt, dass er unter Umständen bereit ist zu politischen Lösungen. Das ist gerade schon ein bisschen Symbolpolitik. Aber dass es total sinnlos ist, das glaube ich eher nicht. Es geht schon ums Vorsondieren. Selenskyj hat die ukrainische Neutralität angeboten. Das ist ja auch ein Signal. Und ich finde, das sind gute Anzeichen. Wir sind gut beraten, wenn wir Putin da einen gesichtswahrenden Ausweg lassen, sonst geht es in die Richtung Eskalation.

Jetzt sind die Krim und Teile der Ostukraine Verhandlungsmasse. Darf man denn solche territorialen Verluste überhaupt zu einer Verhandlungsmasse machen? Oder ist das nicht ein viel zu großes Eingeständnis für jemanden, der in sein Nachbarland einmarschiert?

Wir sagen da aus unserer Position ja im Normallfall sehr knallhart: Das geht gar nicht. Und das ist natürlich auch ein Völkerrechtsbruch, den Putin da vollzogen hat. Und die damit verbundene Praxis, dass man mit Gewalt und Krieg einfach vollendete politische Verhältnisse schafft. Das ist schon nicht ohne. Aber ich muss ehrlich sagen, zuerst muss man raus aus dieser militärischen Eskalationslogik. Es bringt ja nichts. Wenn wir als Westen die rote Linie das Nato-Vertragsgebiet zeichnen und wenn wir uns weiter einig sind, dass wir nicht in einen Krieg, in einen Weltkrieg mit Russland reinwollen, dann gibt es ja nur die politische Lösung, dann muss man da raus. Dann kann man nicht mit dem militärischen Waffengang operieren. Eine Lösung kann nur bestehen, wenn sowohl Selenskyj als auch Putin gesichtswahrend das Thema hinter sich bringen. Und da muss man auch ein bisschen fantasievoll sein. Ich meine, die Neutralität ist ein Punkt oder Bündnis Freiheit. Wir haben ja auch Schweden und Finnland als gute Beispiele. Das sind ja auch Möglichkeiten, die dann zumindest die russischen Interessen auch berücksichtigen.

Müssen Putin als potenziellen Gesprächspartner erhalten

Selbst wenn es zu einem Friedensvertrag kommt: Wie kann Putin jemals wieder ein Gesprächspartner werden für den Westen?

Er muss es ganz einfach wieder werden. Wenn wir das nicht zulassen, dann rutschen wir in einen Krieg. Und das kann man machen. Aber damit ist uns ja nicht geholfen. Das wäre unvernünftig. Das heißt, wir müssen ihn als potenziellen Gesprächspartner, wenn er bereit ist Zugeständnisse zu machen, erhalten – ob wir es wollen oder nicht. Alles andere führt unweigerlich in einen Weltkrieg.

Aktuell wird in Deutschland die Einrichtung des Raketenabwehrsystems Iron Dome, wie es in Israel zum Einsatz kommt, diskutiert. Zuletzt waren deutsche Sicherheitspolitikerinnen und Politiker deswegen in Israel. Was halten Sie von der Einrichtung solcher Abwehrsysteme?

Der Iron Dome ist eine gute Abwehrarchitektur gegen kurze Raketen mit 70 Kilometern Reichweite maximal. In Israel bietet das einen Schutz gegenüber den Kassam-Raketen aus dem Gazastreifen. Nun muss man wissen, dass Kassam-Raketen technologisch nicht gerade State of the Art sind. Interkontinentalraketen fängt man mit dem Iron Dome aber nicht ab. Und vor allen Dingen bringt es nichts gegen neue technologische Entwicklungen wie Hyperschallwaffen. Wir brauchen – wenn – ein System gegen gegen Mittelstrecken- und Langstreckenraketen. Nicht nur von Deutschland, sondern auch von Europa.

Aber dass sich eine deutsche Delegation in Israel schlaumacht, halte ich trotzdem für sehr gut. Was sie dort hoffentlich auch gesehen haben, ist, dass in Israel der militärische Schutz kombiniert wird mit Zivilschutz. Die Israelis haben eben auch Schutzräume für ihre Bevölkerung und gehen nicht vom hundertprozentigen technologischen Schutz aus. Und so werden wir das auch angehen müssen. Wir machen jetzt mit den 100 Milliarden unter anderem einen Raketenschirm auf und dann haben wir nichts mehr zu befürchten? Das wird so nicht klappen. Wir müssen den Zivilschutz mitdenken. Dabei geht es um Schutzräume und auch Sirenen. Ohne Zivilschutz ist ein teures Raketenabwehrsystem nur ein relativer Schutz.

„Wenn wir nur 10 Prozent vom Mindset der Ukrainer hätten, wäre uns schon viel geholfen“

Sie sprechen die 100 Milliarden Euro Sondervermögen an. Geld allein reicht ja nicht.

Erst einmal wäre es so wahnsinnig wichtig, dass die Regierung ihre nationale Sicherheitsstrategie definiert. Das muss kein dickes Buch sein. Man muss Sicherheit eben ressortübergreifend denken, auch mit Blick auf diese 100 Milliarden Euro. Klar, wir haben den Engpass bei der Bundeswehr. Ich sehe auch, dass man die Masse des Geldes dafür aufwendet. Sicherheit ist aber eben auch Zivilschutz, oder auch Energiesicherheit. Wenn wir kein Gas und kein Öl mehr kriegen, dann brauchen wir uns über Raketenabwehr auch keine Gedanken mehr zu machen. Nur als Beispiel.

Deswegen ist der Weg von Kanzler Scholz meines Erachtens auch richtig, jetzt ein Gesamtpaket zu schnüren. Einfach nur das Geld ausgeben bringt keine Sicherheit. Und was man eben nicht mit Geld kaufen kann, ist der mentale Bereich. Uns nützen die besten Waffen nichts, wenn wir hierzulande überhaupt keine Bereitschaft haben, notfalls mit der Waffe in der Hand für unser Land zu kämpfen. Dieses Mindset, das fehlt ja total. Wenn wir nur 10 Prozent vom Mindset der Ukrainer hätten, ihren Patriotismus und ihren Wehrwillen, dann wäre uns schon viel geholfen. Der ist ja gar nicht da in Deutschland.

Weil er uns aberzogen wurde.

Das stimmt. Das ist natürlich historisch bedingt auch eine logische Folge. Doch Fakt bleibt, der Wille zur Verteidigung des eigenen Landes ist in Deutschland nicht da. Der Bundeswehr fehlt es am tragfähigen Narrativ, das junge Menschen motiviert, Soldat zu werden.

Herr Vad, abschließend der Blick nach vorne, worauf kommt es jetzt an, um durch diese Krise zu kommen?

Wir müssen jetzt schauen, dass wir politische Lösungen finden. Sonst sind wir auf der Rutschbahn in einen größeren Krieg oder auch in einen längeren Stellvertreterkrieg, der permanent umschlagen kann. Parallel dazu muss die Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses hochgefahren werden. Das ist für mich sehr wichtig. Und dazu gehört natürlich auch, die Mentalität hier in unserem Land zu verändern. Denn was, wenn nicht das, führt Putins Russland vor Augen, dass sie mit plötzlicher Gewalt und Krieg ein Land überziehen können und gar nicht mehr die Bereitschaft besteht, darüber zu diskutieren. Wir betrachten Außenpolitik mehrheitlich als Gespräch am runden Tisch. Und mit gutem Willen finden wir dann immer eine Lösung. Und dann kommt einer und setzt einfach Gewalt ein. Das ist für die Deutschen so ein Schock. Daraus müssen wir die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.