Köln – Vor über einer Woche hat die Führung Russlands die Ukraine angegriffen. Viele Menschen müssen fliehen oder sich in Bunkern und U-Bahn-Stationen verstecken. Die Zukunft ist ungewiss. Die Situation vor Ort bewegt auch in Deutschland viele Menschen. Deshalb fragte Moderator Frank Plasberg in seiner Sendung „Hart aber fair“ am Montagabend: „Wohin führt dieser Krieg noch?“
Mit ihm diskutierten folgende Gäste:
- Omid Nouripour, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Grüne
- Gesine Dornblüth, Journalistin, ehemalige Moskau-Korrespondentin des Deutschlandradios
- Marina Weisband, deutsch-ukrainische Publizistin, Mitglied der Grünen
- Christian Hacke, Politikwissenschaftler mit unter anderem den Fachgebieten Außenpolitik sowie transatlantische Beziehungen
- Erich Vad, Brigadegeneral a.D.
Die aktuelle Situation ist wenig hoffnungsvoll. Festgefahren. In der Sendung möchten Plasberg und seine Runde die Fragen der Menschen beantworten – „soweit es aktuell geht.“ Nach den ersten Nachrichten über den Grenzübertritt der russischen Truppen dachten viele, die Ukraine könnte unter der militärischen Übermacht Russlands zusammenbrechen. Diese Entwicklung ist allerdings bislang nicht eingetreten und die „Hart aber fair“-Runde glaubt auch nicht, dass dies passieren wird.
Der Brigadegeneral a.D. Erich Vad vergleicht die Situation mit den Kriegen in Vietnam oder Afghanistan, wo sich ein hochmodernes US-Militär letztendlich gegen vergleichsweise laienhaft ausgerüstete Kämpfende vor Ort zurückziehen musste. Ähnliches könne passieren, „wenn Russland den Krieg nicht schnell zu Ende bringt“, so Vad. Mit diesem Ende meint er einen Führungswechsel im Land.
Weisband: Die Solidarität hilft
Doch der Glaube in der Ukraine, Russlands Militär standhalten zu können, wächst. Publizistin Marina Weisband, die bis zu ihrem sechsten Lebensjahr in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv lebte, glaubt das „mittlerweile“ auch. „Putin hat es in 72 Stunden nicht geschafft, die Ukraine einzunehmen. Das gibt Hoffnung.“ Die Menschen vor Ort versuchten, die Moral aufrechtzuerhalten. „Wenn wir telefonieren, dann lachen wir tatsächlich relativ viel“, sagt sie. „Die Leute helfen sich untereinander, diese Solidarität hilft.“
Wie mutig viele Ukrainerinnen und Ukrainer reagieren, liegt auch daran, dass die Situation keine ganz neue sei, wie Gesine Dornblüth einwirft. Schließlich herrscht schon seit 2014 Krieg in der Ukraine – damals hatte die russische Führung die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. „Putin will keine neutrale Ukraine, Putin will sich die Ukraine einverleiben.“
Nur ein roter Faden: Wladimir Putin
Nach einem recht strukturierten Beginn springt die Diskussion thematisch schnell hin und her. Nicht verwunderlich, schließlich gibt es unzählige Aspekte und Blickwinkel dieser Krise. Antworten auf Thesen gibt es manchmal erst, nachdem bereits drei weitere Fässer offen sind. Dazwischen erklärt Vad auf Nachfrage Plasbergs noch, was genau eine Flugverbotszone bedeute. Das ist wichtig und richtig, übersichtlicher macht es die Diskussion aber nicht. Die Flugverbotszone bleibt dann aber doch noch kurz Thema, Weisband wirft ein: „So sehr mir das Herz dabei blutet, glaube ich nicht, dass das viel bringen würde.“ Sondern eher der Weg in den dritten Weltkrieg sei.
Trotz des thematischen Slaloms gibt es dann doch so etwas wie einen roten Faden in der Sendung. Wladimir Putin, logisch. Der Befehl, diesen Krieg zu führen, geht von seinem Tisch aus. Die Meinungen zu dem in offizieller Bezeichnung Präsidenten Russlands gehen etwas auseinander. Christian Hacke sagt, es müsse eine gesichtswahrende Möglichkeit für Putin geben.
Angst habe er nicht, Putin sei „ein reiner Machtpolitiker, handelt – aus seiner Sicht – rational.“ Für ihn sei die Erweiterung der Nato die Erweiterung der westlichen Hemisphäre gewesen. Damit wiederholt er ein Stück weit Putins Rechtfertigung für diesen Angriff, das kritisiert Weisband: Putins Geschichte sei ein Scheinvorwand. Zwischen dem Versuch, ein wenig Verständnis zu zeigen, um eine politische Lösung herbeizuführen und dem infrage stellen der Rationalität Putins findet sich keine einheitliche Meinung.
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Oft fällt auch der Begriff Gesichtswahrung. Eine Lösung sei nur realistisch, wenn Putin dabei auch sein Gesicht wahre. Ein Balanceakt zwischen Dialog und Härte, den Politikwissenschaftler Hacke im Vorfeld des Angriffs Putins kritisiert. Vor allem die USA hätten nicht genug getan. Der Grünen-Vorsitzende Nouripour widerspricht, zu einem Frieden gehörten immer zwei, deshalb müsse weiter ein Dialog gesucht werden.
„Das geht aber nur mit Stärke im Hintergrund“, wirft die ehemalige Moskau-Korrespondentin Dornblüth später ein. Diese Stärke muss keine militärische sein, Weisband fordert vor allem ökonomische Stärke: „Wir bezahlen immer noch einen Teil der Bomben, die auf die Ukraine fallen. Es muss für Putin so unbequem werden, dass er einen Ausweg suchen muss.“
Atomwaffen schüren Angst
Die Rationalität in Putins Entscheidungen ist aktuell nur schwer einzuschätzen. Und sie ist ein Thema, weil Russland eben eine Atommacht ist. Seit dem Fall der Mauer sei die Angst vor einem Atomkrieg nicht so groß gewesen, sagt Moderator Plasberg. „Das soll uns einschüchtern, uns Angst machen. Aber wenn wir aus Angst nicht handeln, dann hat Putin gewonnen“, sagt der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour. Man müsse alles dafür tun, damit es nicht zu einer Konfrontation zwischen der Nato und Russland kommt, „das ist ein Ritt auf Messers Schneide.“
Europa hätte dabei allerdings nichts zu sagen, findet der ehemalige Brigadegeneral Vad: „Die Entscheidungen werden in Washington, Moskau und Peking getroffen.“ Das sieht Nouripour anders, „wir müssen uns nicht kleiner machen, als wir sind. Die EU hält zusammen wie nie, nimmt Menschen auf, verhängt eine Sanktion nach der anderen.“ Journalistin Dornblüth wirft noch die Frage ein, ob man nicht schon längst Kriegspartei sei. Damit meint sie Cyberangriffe, aber auch einen möglichen Blick Putins auf die baltischen Staaten, die Nato-Mitglieder sind.
All die politischen und militärischen Diskussionen treten mit einer Schalte an die ukrainisch-polnische Grenze in den Hintergrund. Von dort berichtet Isabel Schayani sehr bewegend, welche Szenen sich vor Ort abspielen. Die Zahl von über einer Million Geflüchteter, die lieber Reisende genannt werden wollen, begreife sie gar nicht. „Jeder Zweite, der hier ankommt ist ein Kind. Die stehen unter Schock.“ In den ersten Tagen hätten viele Menschen, die aus der Ukraine nach Polen gekommen sind, geweint. Eine Erleichterung sei in den Gesichtern nicht zu sehen, „nur das Erstarrte, das Ungewisse.“ Die Erzählungen von Schayani gehen nahe, auch Plasberg wird kurz nachdenklich.