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„Nicht erfüllbar“Als Spahn die Grünen „Migrationsleugner“ nennt, wird es hitzig bei „Hart aber fair“

Lesezeit 5 Minuten
Louis Klamroth (Mitte) sprach mit seinen Gästen zum Thema: „Die Migrationsdebatte - wie hart wird der Wahlkampf?“ (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Louis Klamroth (Mitte) sprach mit seinen Gästen zum Thema: „Die Migrationsdebatte - wie hart wird der Wahlkampf?“ (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Straftätern mit doppeltem Pass die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen: War der Vorschlag von Friedrich Merz nur Wahlkampfgetöse?

Die iranische Regierung werde sich „schön freuen“, wenn er mit seinem Mann und gepackten Koffern plötzlich auf dem iranischen Flughafen stehen würde. „Und drei Rennmäuse habe ich übrigens auch noch.“ Mit Humor („Muss sein, um Abstand zu bekommen“) nahm Bardia Razavi den Vorschlag des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, Straftäter mit doppeltem Pass nicht mit Instrumenten des Strafrechts wie Freiheitsentzug zu bestrafen, sondern ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen.

Nicht, dass der Jurist und Richter mit deutschem und iranischem Pass ein Verbrechen im Schilde führte. „Tierisch aufgeregt“ hatte ihn der Vorschlag dennoch, wie er als Gast im „Hart aber Fair“-Studio am Montagabend (13. Januar) im Ersten zum Thema „Die Migrationsdebatte - wie hart wird der Wahlkampf?“ pointiert deutlich machte. Noch dazu, wo Menschen aus Iran, aber auch aus Algerien, Marokko, Mexiko oder Syrien, ihre Herkunfts-Staatsbürgerschaft gar nicht ablegen könnten.

„Gibt es eine Grenze dessen, was die Gesellschaft leisten kann?“ Jens Spahn (links, mit Louis Klamroth) ging auf Konfrontationskurs mit den Grünen. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Gibt es eine Grenze dessen, was die Gesellschaft leisten kann?“ Jens Spahn (links, mit Louis Klamroth) ging auf Konfrontationskurs mit den Grünen. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Was machen wir mit denen?“, unterbrach Louis Klamroth den stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn, als der gerade ausholte, um die Position seines Kanzlerkandidaten zu verteidigen. „Das sind ja nicht alle“, blieb ihm der eine zufriedenstellende Antwort darauf schuldig. Und auch seine Erklärung, was Bardia Razavi nach dem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft machen würde, klang wenig überzeugend: „Er hat ja noch seine iranische Staatsbürgerschaft.“ Damit könnte er weiterhin in Deutschland leben, wie viele andere auch. „Die doppelte Staatsbürgerschaft als Regelfall“ hielten er und seine Partei als Privileg.

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„Rechtlich und politisch nicht erfüllbar“: Rechtsexperte watscht Merz-Vorstoß ab

Tatsächlich wirkte der Vorschlag von Merz eher wie eine „Abkehr von der doppelten Staatsbürgerschaft von hinten“, wie Journalist Christoph Schwennicke vermutet hatte. Auch wenn sich der Union-Kanzlerkandidat „schwer mit Impulskontrolle“ täte, wäre das seiner Ansicht nach die einzige Erklärung für dieses „Wahlkampfgetöse.“

Zu schwierig wäre die Umsetzung dieses Vorschlags, bestätigte zudem ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam, der aus Karlsruhe zugeschaltet wurde. Zwar wäre in Ausnahmefällen wie dem Beitritt in die Armee eines anderen Staats oder in eine terroristische Vereinigung im Ausland eine Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Grundgesetz Artikel 16 möglich. Um diese Ausnahme auch bei einer Straftat geltend zu machen, müsste aber das Grundgesetz geändert werden. Und dafür bräuchte man die berühmte Zweidrittelmehrheit im Bundestag: „Man weckt Erwartungen, die man rechtlich und politisch nicht erfüllen kann“, lautete sein Urteil zum Merz'schen Vorstoß.

„Man weckt Erwartungen, die man rechtlich und politisch nicht erfüllen kann“, sagte der zugeschaltete ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam zum neusten Vorschlag von Friedrich Merz. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Man weckt Erwartungen, die man rechtlich und politisch nicht erfüllen kann“, sagte der zugeschaltete ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam zum neusten Vorschlag von Friedrich Merz. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Ich glaube, wenn wir die nächste Stunde auf dem Niveau diskutieren, verlieren wir die Menschen weiter und schaffen es nicht, in der Mitte der Bevölkerung anzukommen“, riss Tanja Schweiger der Geduldsfaden. Als Landrätin des Landkreises Regensburg und „Frau von der Basis“, wie Louis Klamroth die Vertreterin der Freien Wähler nannte, plagten sie ganz andere Sorgen: Bevor man über die Staatsbürgerschaft redete, sollte man sich damit beschäftigen, wie man weniger Straftäter als Asylbewerber ins Land und ins Sozialsystem aufnähme. Sie forderte, nur diejenigen in die Kommunen weiterzuleiten, „die bleiben dürfen, die arbeiten dürfen, die eine geklärte Identität haben“, richtete sie sich an die politische Führung. Jetzt kämen einfach zu viele Menschen!

Jens Spahn: „Die AfD wäre ohne die grüne Leugnung des Problems nicht so stark“

„Wir sind über dem Limit, was geht“, der Meinung war auch Jens Spahn und wusste, wen er dafür verantwortlich machte: Im Nachrichtenmagazin „Cicero“ hatte er kürzlich die Grünen als „Migrationsleugner“ bezeichnet. Dass er es einer Parteivertretererin auch ins Gesicht sagen würde, bewies er Louis Klamroth ohne mit der Wimper zu zucken.

Bardia Razavi (rechts) ist Richter mit deutschem und iranischen Pass. Gegenüber Louis Klamroth gab er zu Protokoll, der Merz-Vorschlag habe ihn „tierisch aufgeregt“. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Bardia Razavi (rechts) ist Richter mit deutschem und iranischen Pass. Gegenüber Louis Klamroth gab er zu Protokoll, der Merz-Vorschlag habe ihn „tierisch aufgeregt“. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Gibt es eine Grenze dessen, was die Gesellschaft leisten kann - in Kitas, Schulen, beim kulturellen Zusammenhalt“, stellte er Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) gleich die Gretchenfrage. Zeit zu antworten hatte die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages aber nicht: „Die meisten Grünen antworten, Grenzen gibt es nicht“, fuhr Spahn fort, „das ist eine Leugnung des Problems.“ Und damit nicht genug: „Das befeuert die AfD“, meinte er, „die AfD wäre ohne die Grünen und die grüne Leugnung des Problems nicht so stark.“

„Wir sollten über Probleme reden“, ließ Göring-Eckardt das nicht auf sich sitzen, „aber das Falscheste ist, dass wir unsere Probleme auf Migrantinnen und Migranten schieben. Das ist der Anfang von allem Übel.“ Während sie dafür Applaus bekam, war der Zuspruch zu einer nächsten Aussage schon verhaltener: Man dürfe die Migrantinnen und Migranten nicht in Mithaftung für Terroranschläge oder andere Straftaten jener Bevölkerungsgruppe nehmen.

Auch wenn sie den Wunsch nach Klarheit und Sicherheit nachvollziehen könnte, wäre es falsch zu glauben: „Wenn wir Hatischa abschieben, kann Oma Gerda die Butter bezahlen.“ Und auch das Schließen der Grenzen würde nicht dazu führen, dass Deutschland keine Probleme hätte.

„Subsidiär Schutzberechtigte haben ein großes Potenzial“

„Das nenne ich Migrationsverweigerung“, sah sich Spahn in seiner Äußerung bestätigt und betonte, die illegale Migration auf null reduzieren und Menschen an der Grenze zurückweisen zu wollen. Parallel dazu könnten UNHCR-Kontingente gezielt aufgenommen werden. „Aber illegale Einreisen nach Europa, das funktioniert auf Dauer nicht und muss beendet werden“, ergänzte er, denn schon jetzt hätte es „überall mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun“, widersprach er der Grünen: „Wo leben Sie?“

„Bitte nichts sagen, was ich nicht gesagt habe“, verteidigte Göring-Eckardt - zum wiederholten Mal an diesem Abend - ihre Argumente. Man müsste sehr wohl über Fragen der Migration sprechen, aber nicht wie Merz meinte, zuerst dieses Thema lösen und dann über alles andere reden.

„Ich hoffe, dass wir erkennen, dass wir einen Mehrwert haben durch die Geflüchteten“, lenkte Nahla Osman (Rechtsanwältin, Vorsitzende Verband deutsch-syrischer Hilfsvereine) zum Abschluss den Blick aufs Positive und bezog sich dabei auf den Fachkräftemangel. Statt die „Rassismuskeule“ zu nutzen oder Unsicherheit zu verbreiten, appellierte sie an Politikerinnen und Politiker, in Deutschland anwesende Menschen schneller zu integrieren und ihnen Zugang zu Bildung und Arbeit zu erleichtern. Denn: „Subsidiär Schutzberechtigte haben ein großes Potenzial.“ (tsch)